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Neues von Autorin Sabine Ebert: Die mordenden Brüder von Meißen

Erzählt die sächsische Autorin vom Mittelalter, ist sie nicht auf vordergründige Parallelen zur Gegenwart aus. Doch man kann sie finden.

Von Karin Großmann
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Die eine der erfolgreichsten Autorinnen für Historisches: Sabine Ebert.
Die eine der erfolgreichsten Autorinnen für Historisches: Sabine Ebert. © PR

Die Sympathie der Autorin Sabine Ebert gilt den Frauen in der Geschichte. Sie porträtiert die Bedürftigen ebenso aufmerksam wie die Betuchten. Die einen bringen ihre Familien mit wässrigen Suppen durch. Den anderen nützt selbst ein Mantel mit Eichhörnchenfell nichts. Schon im Kleinkindalter werden sie als Verhandlungsmasse im Kampf um Macht und Einfluss missbraucht. Auch für Jutta von Thüringen war Liebe bei der Hochzeit nicht vorgesehen. Nun ist ihr Mann tot, der Markgraf von Meißen, und sie steht als junge Witwe mit ihrem dreijährigen Sohn allein da. Damit beginnt der neue Roman von Sabine Ebert.

Es ist der Auftakt für eine Trilogie, die unter dem Titel „Der Silberbaum“ ein spannendes Kapitel vor allem regionaler Geschichte vermittelt. Der kleine Markgrafensohn wird berühmt werden als Heinrich der Erlauchte mit exquisiter Hofhaltung. Er wird Karriere machen als Minnesänger und wichtigster Territorialfürst Mitteldeutschlands. Ein Platz auf dem Dresdner Fürstenzug wird dem Wettiner so sicher sein wie in der Manessischen Liederhandschrift.

Das neue Buch: "Der Silberbaum".
Das neue Buch: "Der Silberbaum". © Arvid Müller

Die in Dresden lebende Schriftstellerin Sabine Ebert kehrt nach Ausflügen ins 19. Jahrhundert in das Mittelalter zurück. Manche Figuren erinnern an ihr Bestseller-Debüt „Das Geheimnis der Hebamme“, andere traten in den Bänden des Zyklus „Schwert und Krone“ auf. Jetzt spannt sich ein Bogen ab 1221 über knapp fünfzehn Jahre, von Meißen, Freiberg, Eisenach bis zu einem Kreuzzug nach Jerusalem. Anders als bei vorangegangenen heiligen Missionen von Papst und Kaiser fließt diesmal kein Blut. Diplomatische Verhandlungen führen zum Frieden. Wie erfreulich liest sich das doch.

In dieser Zeit unternimmt Jutta von Thüringen alles, um ihren Sohn und sein Erbe zu schützen. Die Markgrafschaft von Meißen und der Lausitz weckt Begehrlichkeiten nach Silber und Siedlungsgebiet. Juttas Bruder lässt sich seine Ansprüche als Heinrichs Vormund schon mal vom Kaiser bestätigen, sollte der Junge vor seiner Volljährigkeit sterben. In ähnlichen Fällen wurde gelegentlich nachgeholfen.

So ein Fürstensprössling musste viel lernen auf dem Weg zum Thron. Was passierte beim Ritterschlag, was bei einer höfischen Hochzeit, und was kam auf den Tisch bei hohem Besuch in der Fastenzeit? Sabine Ebert kann die Details konkret und bildhaft beschreiben. Das macht den Reiz ihrer Bücher aus. Die 65-Jährige benutzt die Vergangenheit nicht als Kulisse für austauschbare Gemetzel und Liebeleien, sondern steigt tief hinab. Das begründet sie mit ihrem Respekt vor der Geschichte. Ihrer Recherche kann man vertrauen. Sie zaubert nichts aus dem Ärmel. Und sie würde den Ärmel auch nicht orange nennen, falls man Orangen zu der Zeit noch nicht kannte.

Als Johann Alexander Thiele 1750 dieses Bild von Meißen malte, hatte sich die Stadt schon sehr verändert seit der Zeit des Mittelalters, in der Sabine Ebert ihren neuen Roman in der alten Bischofsresidenz an der Elbe spielen lässt.
Als Johann Alexander Thiele 1750 dieses Bild von Meißen malte, hatte sich die Stadt schon sehr verändert seit der Zeit des Mittelalters, in der Sabine Ebert ihren neuen Roman in der alten Bischofsresidenz an der Elbe spielen lässt. © Marko Förster

Man kannte andere Wörter. Heimlichkeit meinte die Toilette auf der Burg, Fliete hieß ein Instrument für den Aderlass. Bis auf wenige Fachbegriffe passt die Autorin die Sprache der heutigen an. Glossar, Personenregister, Landkarte und Stammbaum erleichtern den Überblick.

Im umfangreichen Ensemble mischen sich reale historische Figuren und erdachte. Was wäre die Königsebene ohne Knappen und Küchenmägde? Stammleser werden etwa Änne aus Freiberg wiedererkennen, Enkelin der heilkundigen Hebamme Marthe und eine schöne literarische Erfindung: selbstbewusst, widerständig und aufopferungsvoll zugleich. Änne wird nach Meißen beordert. Sie soll den alten Hofmediziner ersetzen. Anschaulich wird vom Leben auf der Burg erzählt. Die künftigen Ritter üben Lesen und Schreiben. Mancher würde lieber mit der Lanze kämpfen, statt Minnelieder zu dichten. Die wenigsten werden den eingeübten Idealen gerecht. Wie drei adlige Brüder in die Dörfer bei Meißen einfallen, morden, brandschatzen und selbst Schwangere misshandeln, wird so eindrücklich heutig beschrieben, dass einem graust.

In der Kemenate besticken die Mädchen derweil mit frostklammen Fingern Almosenbeutel. Oft werden Knochen als Nadeln benutzt. Die Slawin Milena bekommt eine Nadel aus Freiberger Silber geschenkt. Das Mädchen besitzt ein besonderes Talent. Milena kann Geschichten erzählen. Sie soll alles bewahren, was sich in Freiberg seit Ankunft der ersten Siedler ereignete. „Spätere Generationen sollen wissen, wie und weshalb hier ein Dorf entstand und so schnell eine Stadt daraus wuchs.“ Damit gibt Sabine Ebert dem Mädchen ihr eigenes Schreibmotiv mit: „Geschichten erhalten Menschen und Begebenheiten in der Erinnerung lebendig.“

Frappierend neues, provozierendes Bild

Doch manchmal verklärt sich die Erinnerung beim Weitersagen. Das gilt zum Beispiel für die Heilige Elisabeth. Wie wurde die Thüringer Landgräfin 2007 gefeiert anlässlich ihres 800. Geburtstages! Und wie anders erscheint sie jetzt im Roman. Da hilft sie nicht nur den Armen und Kranken – mit ihrer fanatischen Frömmigkeit drangsaliert sie die Untergebenen. Sie sollen ihr folgen in gläubiger Hingabe und im Verzicht auf Essen, Schlaf und die kleinste Bequemlichkeit. Einer lebenslustig tanzenden jungen Frau schneidet sie das Haar ab und erklärt sie damit zur Hure. Sie brüskiert andere Adlige, wenn sie beim Festmahl ihrer Gastgeber das Essen verweigert. Sabine Ebert zeigt ein frappierend neues, provozierendes Bild. Es erscheint durchaus glaubhaft.

Mit kritischem Blick beschreibt die Autorin auch das unsäglich brutale Treiben von Elisabeths Beichtvater Konrad von Marburg, der als eifriger Ketzerverbrenner in die Chroniken einging. Mehrfach kontrastiert der Roman dürftigstes Alltagsleben mit der Prunksucht der Kirche. Der Widerspruch galt damals als gottgegeben, schreibt Sabine Ebert im Nachwort. Heute prangere man „die Obszönität“ an, dass Milliardäre Riesenjachten und Dutzende Villen besäßen, während ein Großteil der Menschheit nicht mal Zugang zu sauberem Wasser habe. Wer mag, kann manche Parallele zur Gegenwart in dem Roman entdecken. Aber wer käme auf die Idee, wie Markgraf Heinrich seiner Braut als Hochzeitsgabe ein Buch zu schenken?

Sabine Ebert: Der Silberbaum. Die siebente Tugend. Knaur Verlag, 492 Seiten, 24 Euro