Feuilleton
Merken

Der Ost-Ort und sein West-Investor

Der Film „Wem gehört mein Dorf“ erzählt von Göhren auf Rügen, einem Großgeldgeber, engagierten Bürgern - und dem Wesen der Demokratie.

Von Oliver Reinhard
 6 Min.
Teilen
Folgen
NEU!
Bernd Elgeti wollte dem „Ausverkauf“ seiner Heimat Rügen nicht länger zusehen. Also kandidierte der 73-Jährige als Gemeinderat, wurde gewählt und bestimmt nun mit.
Bernd Elgeti wollte dem „Ausverkauf“ seiner Heimat Rügen nicht länger zusehen. Also kandidierte der 73-Jährige als Gemeinderat, wurde gewählt und bestimmt nun mit. © Foto: Jip-Film

Die Geschichte, um die es hier geht, spielt in Göhren auf Rügen. Doch sie könnte so oder ähnlich an vielen Orten erzählt werden, im Westen und noch mehr im Osten der Republik. Denn es geht um eine Gemeinde, die Grund und Boden hat, aber Geld braucht, und um einen Investoren, der Geld hat, aber Grund und Boden braucht. Der Ort benötigt Wohnungen für Anwohner und vor allem für Touristen, die der Gemeinde Geld bringen. Der Investor baut das Benötigte, was ihm selbst Geld einbringt. Für ihn ein Win-Win-Geschäft. Für den Ort, so sehen es viele Bewohner, ein Win-Lose-Geschäft. Denn das Grün, die Natur, die „Schönheit“ der Gemeinde bleiben auf der Strecke. Das gilt für Dresden ebenso wie auf Rügen, Usedom oder in Singapur; es ist ein weltweites Phänomen.

Warum es diese Entwicklung gibt, wohin sie führen kann und wie schwer es ist, sie abzubremsen, zeigt der gebürtige Göhrener Filmemacher Christoph Eder nun in seinem bemerkenswerten Dokumentarfilm mit der Gretchenfrage im Titel: „Wem gehört mein Dorf?“ Und obwohl sie sich so oder ähnlich an vielen Orten stellt, kennzeichnet das Schicksal von Göhren einige typische Ost-West-Besonderheiten: Der Ort war bis 1990 in Sachen moderner Massentourismus unerschlossenes Brachland und sehr schnell verschuldet. Er brauchte Geldgeber, und die saßen meistens dort, wo damals noch mehr als heute das meiste Geld war: in Westdeutschland.

Nadine Förster (m.) engagiert sich mit ihrem Vater und vielen Gleichgesinnten in einer Bürgerinitiative. Sie wollen die Pro-Investor-Gemeinderatsmehrheit brechen - und schaffen das auch.
Nadine Förster (m.) engagiert sich mit ihrem Vater und vielen Gleichgesinnten in einer Bürgerinitiative. Sie wollen die Pro-Investor-Gemeinderatsmehrheit brechen - und schaffen das auch. © Jip Film

Der Baulöwe West braucht die Abnicker Ost

Dorther stammt auch Göhrens „Retter“ Wilfried Horst. Anfang der Neunziger entdeckte der vielfache Millionär Göhren. Er sah die Bedürfnisse der Gemeinde und deren Potenzial, kaufte Grundstücke, baute Ferienhäuser und Hotels und dringt dabei bis heute immer weiter durch Wälder, auf Felder und an Strände vor. So sehr, dass immer mehr Dorfbewohner sich immer mehr Sorgen machen und dem nicht länger tatenlos zusehen wollen.

Doch ihr Gegner – und hier bekommt „Wem gehört mein Dorf?“ seine besondere Qualität – ist nicht nur der reiche Wessi. Schließlich könnte Horst die Gegend nicht zubauen ohne den Gemeinderat der Ossis von Göhren, der die meisten seiner Anträge abnickt. In diesem kleinen Gremium aber haben die „Vier von der Stange“ kraft Sitzmehrheit das Sagen und stimmen den meisten Baubegehren des Investors zu. Weil sie von der bebauten Zukunft ihres Ortes überzeugt sind und wohl auch – das deutet der Film nur an –, weil zumindest einige der vier persönlich von ihrem Engagement für Horst profitieren. Christoph Eder „interessiert vor allem das Spannungsfeld zwischen den Interessen Einzelner und den Interessen der Gemeinschaft und welche Rolle dabei Kapital spielt“.

Die "Vier von der Stange" um den Gastronomen Markus Pigard (2. v. r.) winken fast alle Bau-Anträge des Investors zu, weil sie im Gemeinderat die Mehrheit haben.
Die "Vier von der Stange" um den Gastronomen Markus Pigard (2. v. r.) winken fast alle Bau-Anträge des Investors zu, weil sie im Gemeinderat die Mehrheit haben. © Foto: Jip-Film

"Nicht wegen drei Monaten Urlauber alles zerstören"

Zum Glücksfall wird der auch journalistisch famose Film durch den Zeitpunkt seiner Entstehung: Als der Bürgermeister zurücktritt, kandidiert die Initiative selbst für den Gemeinderat. Was das Finale von „Wem gehört mein Dorf?“ zum Provinz-Politdrama macht. Als wäre das nicht genug des Glücklichen, findet respektive kennt Eder obendrein hervorragende Protagonisten für seine Doku: Nadine Förster reiste jahrelang um die Welt, bis sie 2014 nach Göhren zurückkehrte und dort mit Vater Bernd Elgeti die Initiative „Lebenswertes Göhren“ gründete.

Sie beide werden zu treibenden Kräften jener Gruppe, die sich schließlich als „Bürger für Göhren“ zur Gemeinderatswahl aufstellt. Ihr Hauptziel formuliert der 73-Jährige so: „Wir dürfen nicht wegen drei Monaten Urlauber alles zerstören.“ Dabei geht es nicht nur um die Erhaltung des Biosphärenreservats, vielmehr auch um Göhrens fortschreitende Gentrifizierung. 2.300 Einwohner hatte der Ort 1990, heute leben dort noch 1.200, den „Rest“ machen Nutzer von Zweit. und Ferienwohnungen aus.

Wie man ein Luxushotel als "Gesundheits-Ressort" verkauft

Als regelrecht tragische Figur zeigt sich im Filmverlauf der wie alle Ratsmitglieder ehrenamtlich tätige Bürgermeister. Nach etlichen Jahren voller zermürbender Erfahrungen mit dem meist geschlossen pro Horst abstimmenden „Vier von der Stange“ schmeißt Wolfgang Pester das Handtuch. Weil die Abnicker sich keinen Argumenten der Gegenseite zugänglich zeigen und sogar einem Beschluss zugestimmt haben, der die Gemeinde viel Geld kostet: Herrn Horst wurde erlaubt, ein Parkhaus zu bauen, das dem Ort 20.000 Euro Jahrespacht einbringt. Da ihm auch noch „Konkurrenzfreiheit“ zugesichert wurde, muss die Stadt ihre eigenen Parkplätze am Parkhaus allerdings schließen – die Göhren jährlich 80.000 Euro eingebracht hatten.

Es sind unsinnige Entscheidungen wie diese, der Wunsch von Horst und den „Vier von der Stange“ nach einem neuen Hafen und die Höchstwahrscheinlichkeit, dass die vom Investor offiziell als klinikähnliches Gesundheitsressort verkaufte und genehmigte Großanlage mitten im Grünen tatsächlich ein Luxushotel ist, die die Situation offenbar ins Rutschen bringen. Bei der Wahl holen die „Bürger für Göhren“, verstärkt durch Ex-Bürgermeister Pester, die meisten Sitze. Frustriert beobachtet das der Wortführer der „Vier von der Stange“ in seiner Kneipe, trinkt aus und geht mit den Worten „Das war‘s, tschüss Politik“.

Der Tourismus ist die einzige Einnahmequelle von Orten wie Göhren auf Rügen. Doch je mehr von ihnen kommen, desto mehr verändert sich das Antlitz des Dorfes und der Umgebung.
Der Tourismus ist die einzige Einnahmequelle von Orten wie Göhren auf Rügen. Doch je mehr von ihnen kommen, desto mehr verändert sich das Antlitz des Dorfes und der Umgebung. © Foto: Jip-Film

Brandstiftung beim Investor

Selbst wenn es ihm spürbar nicht immer leicht fällt, geht Regisseur Eder auch mit den Durchwinkern fair um, inklusive Wortführer Markus Pigard. Der hemdsärmelige Anpacker, Gastronom und Veranstalter glaubt tatsächlich wie seine Mitstreiter, Horsts Pläne würden Göhren das Beste bringen, mehr Touristen, mehr Wohlstand, mehr Umsätze, höhere Steuereinnahmen. Was man als Zuschauer von ihm hält, dafür sind allein die Bilder mit und die Töne von ihm entscheidend. Und vielleicht die Information, dass Pigard nachträglich den Vorwurf der Wahlfälschung erhoben und gegen das Votum geklagt hat, erfolglos.

Das Team hatte auch den Investor um Mitwirkung im Film gebeten, der aber wollte nicht. Immerhin bekommt man Wilfried Horst zu sehen und zu hören, als er einen Grundsteinlegungsfeier-Pavillon besucht, den Unbekannte verwüstet haben; auch das gehört zu dieser Geschichte.

Der Südstrand ist der einzige unberührte Küstenabschnitt von Göhren. Auch er soll erschlossen werden. Doch die neuen Ratsmitglieder können das verhindern.
Der Südstrand ist der einzige unberührte Küstenabschnitt von Göhren. Auch er soll erschlossen werden. Doch die neuen Ratsmitglieder können das verhindern. © Foto: Jip-Film

Ein Liebeslied an die Mitbestimmung

So erhellend er als Sichtbarmacher seines vordergründigen Themas im Mikrokosmos eines kleinen Ostseebades ist; man darf diesen Film vor allem als Liebeslied an und als Loblied auf die Demokratie verstehen. Weil gerade auf kommunaler Ebene und vor allem in kleinen Gemeiden die Hürden für eine aktive Mitbestimmung niedrig und die Chancen hoch sind. Vorausgesetzt, es finden sich Bürger, die außer der Lust am Kritisieren und Unmutäußern hinaus auch noch den Willen und die Kraft haben, Zeit zu opfern und sich für das Gemeinwohl zu engagieren.

Wie die „Bürger für Göhren“, die es tatsächlich geschafft haben, dass ihr Südstrand erhalten bleibt und kein privater Wohnraum mehr in Ferienwohnungen umgewandelt wird. Wie es in Touristenhochburgen wie Berlin, München, Dresden oder San Francisco fast ungebremst geschieht.

„Wem gehört mein Dorf“ läuft in Dresden in der Schauburg (Sa. und Di.) sowie im Zentralkino (Sa., So., Di.) und im Leipziger Club Passage.