Wie Ritter Gabor den Bücherschatz vom Kuckuckstein hebt

Gabor. Warum Gabor? Als Junge will man nicht der Einzige sein in der ganzen Schule, der Gabor heißt. Man will sein wie die anderen, die Thomas heißen, oder Stefan. Es war wohl der Drang, sein Namensschicksal aufzuklären, und das seines Bruders Tibor - man nannte sie die Ungarnzwillinge, der Gabor Schusters Interesse für Geschichte weckte. "Ich begann Fragen zu stellen, nach dem Woher und Wohin."
Dass Gabor Schuster noch immer ein Fan davon ist, in der Vergangenheit zu graben, kann an diesem Tag jeder sehen. In Schnürhemd und Ritterhelm, das Schwert in Reichweite, steht er auf dem Dohnaer Marktplatz, der gerade ein Mittelaltermarkt ist. Schuster steht hier vor allem wegen der Zukunft, der Zukunft von Schloss Kuckuckstein.
Wegen der Bücher: Napoleon bläst Brandschatzung ab
Ritter Gabors Burg ist ein zur Bühne aufgeklappter Anhänger, mit Sound-Anlage und großem Videoschirm. Der Verein Schwarzes Kleeblatt, der die Sanierung des Liebstädter Zauberschlosses unterstützt, hat den Wagen mit Preisgeldern der Aktion "Verein des Jahres" bauen und mit Kuckucksteinbildern bekleben lassen. Wenn die Leute nicht zum Schloss kommen, dann kommt das Schloss eben zu ihnen.

Seit 2018 zwei Einheimische den Kuckuckstein kauften, geht es aufwärts mit dem lange vernachlässigten Gemäuer. Erst kürzlich hat der Bund 400.000 Euro für Reparaturen avisiert. Eigentümer und Förderverein wollen aber nicht alleine im Schloss hantieren. Die Menschen sollen sich mitgenommen fühlen, Teil des großen Werks werden. Das Mittel zum Zweck: Bücher.
Bücher retten ein Schloss? Warum nicht? Das ist schon mal passiert, erzählt Ritter Gabor. Als Napoleon im September 1813 in Liebstadt Quartier machte, habe er das Schloss, Besitz seines Widersachers Carl Adolf von Carlowitz, abbrennen wollen. In Ehrfurcht vor dessen Bibliothek habe er seinen Plan verworfen. "Er hat erkannt: Dies ist ein Ort des Geistes."
Ein Fund, spannend wie Schliemanns Troja
Die Buchsammlung derer von Carlowitz war womöglich die größte Privatbibliothek ihrer Zeit. Das genaue Ausmaß kennt man nicht. Es dürften mehrere Zehntausend Bände gewesen sein, sagt Gabor Schuster. Auf alten Fotos reihen sie sich bis zu den Decken. Als die Carlowitzens in der Zwischenkriegszeit verarmten, kam die Sammlung unter den Hammer. Nur ein Rest von etwa eintausend Büchern überdauerte im Schloss.

Von dort hat sie Mitte der 2000er die Liebstädter Gemeindeverwaltung geborgen, da der zwischenzeitliche Schlossherr, ein Unternehmer aus Österreich, nichts damit anfangen konnte. Seitdem ruhten die Bücher weitgehend unbeachtet in Schränken. Bis Gabor Schuster kam. Für ihn waren sie eine Entdeckung, in etwa so spannend wie Troja für Schliemann.
Carlowitz las auch Casanova
Dass Schuster das Buch-Troja von Liebstadt ausgräbt, ist eine glückliche Fügung. Eigentlich lebt er in Salzburg. Dort führt der gelernte Buchhändler und studierte Buchwissenschaftler einen Laden für schöne Literatur und antiquarische Bücher. Schusters Vorfahren waren Ungarndeutsche. 1946 wurden sie aus ihrer Heimat vertrieben. Sie strandeten in Pirna, im Aufnahmelager Graue Kasernen.
So kam es, dass Gabor Gabor heißt, aber nicht in einer Bauernwirtschaft bei Pécs in Südungarn aufwächst, sondern in einem Hochhaus auf dem Pirnaer Sonnenstein. Trotz Studium in München und Laden in Salzburg - zu Hause, sagt er, ist er immer noch in Pirna. "Heimat ist Heimat."

An den Kuckuckstein hatte er dennoch viele Jahre nicht gedacht. Dass es eines Tages doch passierte, kam ihm wie eine Eingebung vor. Am selben Abend sah er Peter Kersten im Fernsehen auf Kuckuckstein zaubern. Tags darauf fuhr er wegen einer Straßensperrung zufällig durch Liebstadt. Das seien der Zeichen genug, fand er. So trat er dem Schwarzen Kleeblatt bei. Im Sommer 2020 guckte er erstmals in Carlowitzens Bücherschrank.
Der Fund ist ein Glücksfall für den Buchmenschen Schuster. Dass ein derart großer Bestand unerschlossen zutage komme, sei äußerst selten. Die Breite der Themen ebenfalls: Mathematik, Geometrie, Militärwesen, Rechtswissenschaften, Forstwirtschaft, auch Astrologie und Esoterik - offenbar gab es kaum ein Fachgebiet, für das Carlowitz sich nicht interessierte. Selbst die Erinnerungen Casanovas finden sich in dem Konvolut.
Schuster sagt, dass Bücher ein Abbild ihrer Besitzer sind. "Sage mir, was du liest, und ich sage dir, wer du bist." Die Bibliothek von Carlowitz weist ihn als ungewöhnlich liberalen Adligen aus, der mit den Geistesgrößen der Romantik eng vernetzt war, und der einige von ihnen, speziell den Dichter Heinrich von Kleist, tatkräftig förderte. Werke Kleists, die erst mit Carlowitzens Hilfe gedruckt werden konnten, erreichten selbst Goethe.

Die Bücher stammen zum Großteil aus den Jahren zwischen 1780 und 1830. Gabor Schuster hat eine erste Bestandsaufnahme gemacht, eine sogenannte Autopsie. Dabei hat er jedes einzelne Exemplar in die Hand genommen und fotografiert. Am Computer entsteht jetzt der Katalog, mit Fotos, Angaben zum Inhalt, zur heutigen Verfügbarkeit in Bibliotheken und im freien Markt, und zu Preisschätzungen. Für manchen Band setzt Schuster mehrere Hundert Euro an.
Die Bücher suchen Freunde. Deshalb läuft schräg gegenüber von Schusters Event-Vehikel, in der ehemals Liebers'schen Druckerei, die Heidelberger Tiegelpresse an. Buchdrucker Dieter Meier vom Heimatverein stellt einen in diesem Umfang lange nicht mehr dagewesenen Auftrag fertig: tausend Urkunden für künftige Paten der Carlowitz-Bibliothek.
Jeder, der Bücher liebt, oder Schloss Kuckuckstein, oder beides, kann sich gegen eine Geldspende als Pate für ein Buch seiner Wahl eintragen lassen. Die Urkunde wird im Rittersaal feierlich überreicht. Zugleich wird der Patenname in ein Ehrenbuch eingetragen, das einmal Teil der Bibliothek werden soll.

Bisher hat der Verein rund fünfzig Paten gewonnen. Die Spendensummen bewegen sich zwischen fünf und 250 Euro. Anfragen für weitere Patenschaften liegen vor. "So hoffen wir, den Kreis der Schlossfreunde mehr und mehr zu erweitern", sagt Schuster. Dass das gelingt, steht für ihn außer Frage. Er sieht Bücher als Komplexe von magischer Kraft. "Bücher sind kleine Wunder."