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Konstantin Wecker vor Konzert in Dresden: Wie könnte ich ein Freund Putins sein?!

Konstantin Wecker träumt von einer herrschaftsfreien Welt ohne Kriege und Waffen, ohne Patriarchat, Rassismus, Unterdrückung und Zerstörung.

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Der Sänger Konstantin Wecker verbindet seine  neue Tour „Utopie 2.0“ auch mit politischem Anliegen und gastiert am 16. Oktober im Dresdner Kulturpalast.
Der Sänger Konstantin Wecker verbindet seine neue Tour „Utopie 2.0“ auch mit politischem Anliegen und gastiert am 16. Oktober im Dresdner Kulturpalast. © dpa

Konstantin Wecker beschwört in seinem neuen Bühnenprogramm „Utopia 2.0 – Wir werden weiter träumen“ eine ideale Gesellschaft. Mit bekannten Liedern in frischen Arrangements und Lyrik aus seinem neuen Buch möchte der Münchner alte Denkweisen bekämpfen – am 16. Oktober auch im Dresdner Kulturpalast. Ein Gespräch über Poesie, Pazifismus, die Zusammenarbeit mit Filmregisseur Helmut Dietl und Ausflüge ins Erotikgenre.

Sind Utopien umsetzbar, Herr Wecker?

Utopien sind umsetzbar, aber eben nicht mit Ideologien oder Kriegen, sondern mit dem Engagement der vielen Einzelnen, die sich darauf besinnen, in ihrem Umfeld etwas bewegen zu können. Das einzelne und das gemeinsame Engagement ist viel wichtiger als wieder ein neues Weltbild zu entwerfen und zu versuchen, dieses der Menschheit überzustülpen. Das ist dem Kapitalismus leider viel zu lange gelungen – zum Preis der drohenden Zerstörung von Klima, Natur und Menschen für den Profit weniger. Ich habe ein YouTube-Video gemacht, bei dem ich mich für eine breite Solidarität mit der „Letzten Generation“ gegen deren Kriminalisierung einsetze.

Kann die „Letzte Generation“ die Gesellschaft wirklich verändern?

Ja, es wandelt sich bereits etwas. Wenn sich nichts wandelt, wird die Menschheit zugrunde gehen, auch wegen der grauenvollen Kriege. In den 1970ern und 1980ern waren wir mit den Friedensdemonstrationen noch auf einem guten Weg, auch von den Medien wurden wir sehr dabei unterstützt. Die damaligen Friedensdemos waren gleichzeitig eine antipatriarchale Idee. Die junge Generation ist überhaupt nicht mehr so machohaft wie wir früher, aber ich sehe die Gefahr, dass heute wieder ein Männlichkeitsbild in den Vordergrund rückt, was uns seit tausenden von Jahren schadet.

Im Frühjahr forderten Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer den Bundeskanzler auf, die Eskalation der Waffenlieferungen zu stoppen, und warnten vor einem russischen Atomschlag. Die AfD hat sofort versucht, das Manifest für sich zu kapern. Nimmt die Friedensbewegung dadurch Schaden?

Ja. Ich habe das Manifest nicht unterschrieben, weil ich den politischen Alleingang von Frau Wagenknecht nicht gut finde und der Meinung bin, dass hier zu wenig gegen rechts klargestellt wurde. Ich habe wenige Tage nach Kriegsbeginn ein Antikriegsmanifest veröffentlicht und einige andere Aufrufe unterschrieben. Auf einer ukrainischen Website werde ich deshalb als Feind der Ukraine und als Freund Putins diffamiert. Wie aber kann ein alter Anarcho wie ich Putin jemals gut gefunden haben?

Wofür sollte Europa sich schämen?

Seit 40 Jahren kämpfen Sie mit Ihren Liedern gegen drohenden Faschismus. Was kann Kunst bewirken?

Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen. Das gilt für jede Diskussion und jede Auseinandersetzung am Arbeitsplatz, in den Medien, der Politik und auf der Straße: Wir werden uns also gemeinsam Rassismus, Antisemitismus, Naziterror und dem gesellschaftlichen Rechtsruck entgegenstellen müssen. Dafür braucht es auch die Kraft der Kunst. Wir können das Problem nur mit Spiritualität lösen.

Eines ihrer neuen Lieder heißt „Schäm dich Europa“. Wofür sollte dieser Kontinent, sollten wir uns schämen?

Die buddhistische Lehre besagt, dass in jedem von uns entscheidende Punkte wie Mitgefühl geborgen sind. Tiefes Mitleid mit all den Milliarden, die nicht wissen, wie sie zu ihrer nächsten Mahlzeit kommen und in den bevorstehenden Hitzewellen keine Chance auf eine Klimaanlage haben. Es ist unerträglich, wie die Ampel-Koalition und die EU die Außengrenzen militarisieren, das Recht auf Asyl abschaffen, damit sich das Grauen außerhalb unseres Gesichtsfeldes abspielt. Mit dieser furchtbaren Entwicklung setze ich mich in meinem Lied „Schäm dich Europa“ auseinander.

Was müsste jetzt getan werden?

In vielen meiner Lieder drücke ich aus, dass wir alle wirklich eins sind. Wenn wir dieses Einheitsgefühl in uns wiederentdecken, werden wir auch eine menschlichere Welt erschaffen können. Im Endeffekt ist es auch ein Phänomen der Liebe.

Kriegsgeschrei kommt von denen, die selbst nicht an die Front gehen

Wie war es, für Helmut Dietls Klassiker „Kir Royal“ und „Schtonk!“ die Musik zu schreiben?

Sehr intensiv und lange habe ich an der Musik zur TV-Serie „Kir Royal“ gearbeitet. Wenn ich Dietl eine Idee vorgespielt habe, sagte er immer: „Dös is net lustig!“ – „Helmut, was ist denn lustig?“ – „Woas doch i net, du bist der Komponist!“ Nach zweijähriger Zusammenarbeit habe ich dann bei seinem nächsten Film „Schtonk!“ verstanden, was er mit lustig meinte: Die Musik zu der Szene musste so beschaffen sein, dass es dann lustig wirkt. Es konnte auch ein Adagio sein.

Hat der Skandal über die gefälschten Hitler-Tagebücher im Stern Ihr Verhältnis zu den Medien neu bestimmt?

Ja, vieles hat mein Verhältnis zu den Medien neu bestimmt. Ich habe mich aber nie an dem ganzen Quatsch wie „Lügenpresse“ beteiligt, weil ich viel zu viele großartige Journalistinnen und Journalisten kenne. Ich weiß, wie die im Moment leiden, weil sie bestimmte Dinge nicht so ausdrücken können, wie sie es gerne würden. Aber insgesamt sind die Medien im letzten Jahr einen gefährlichen Schritt gegangen.

Wie meinen Sie das?

Ich schaue mir jeden Abend das heute journal an, und es ist zum Teil zum Heulen. Damit meine ich die einseitige Berichterstattung über die Ukraine. Friedensbewegte Ukrainer sind noch nie in den Medien aufgetaucht. Es gibt auch eine russische pazifistische Bewegung. Nicht alle Russen stehen hinter Putin. Tausende Männer sind desertiert und aus Russland geflohen. Sie müssen endlich ein gesichertes Bleiberecht erhalten.

Haben Sie Ihre pazifistische Position angesichts des Kriegsverlaufs in der Ukraine geändert?

Ich habe Respekt vor einem Ukrainer, der zur Waffe greift, um sich zu wehren. Aber 99 Prozent derer, die hier für Waffenlieferungen sind, ziehen selbst nie in den Krieg. Sie schicken immer andere. Schon Stefan Zweig, der in „Die Welt von gestern“ über den Ersten Weltkrieg schreibt, sagte: „Das große Kriegsgeschrei kommt von denen, die nicht an die Front gehen“. Es ist sinnvoll, sich wieder mit dem Ersten Weltkrieg zu beschäftigen.

Ich gehe mit meinen Peinlichkeiten offen um

Zurück zum Thema Film: Sie haben mal Softpornos gemacht, weil Sie jung waren und das Geld brauchten. Hat es sich wirklich gelohnt?

Aber ja. Ich habe pro Drehtag 300 Mark gekriegt, das war der Wahnsinn. So viel hat man damals verdient, wenn man als Student wochenlang Möbel geschleppt hat. Es war ja auch lustig, denn diese Filme waren atemberaubend schlecht, die Witze unglaublich blöd. Aber wie Sie sicher wissen, haben da auch einige berühmte deutsche Schauspieler mitgemacht.

Haben Ihre Fans Ihnen die Ausflüge ins Erotikgenre krummgenommen?

Nein, ich habe nie einen Hehl daraus gemacht. Irgendwann wollte ich solche Filme nicht mehr machen. Eine Mädchenklasse in London sah in einem Schmuddelkino Plakate von meinen Filmen und mich in Lederhose. Die waren sowas von enttäuscht. Ich habe mich entschuldigt, und das war das Ende meiner Softpornokarriere.

Während Gorbatschows Perestroika in den späten 80er-Jahren wurde Ihr Film „Unterm Dirndl wird gejodelt“ im UdSSR-Fernsehen gezeigt und als romantische Liebeserklärung an das russische Volk wahrgenommen.

Auf YouTube gibt es diesen Film auch – auf Englisch mit deutschen Untertiteln. Ich bin immer offen damit umgegangen, genauso wie ich auch mit meinen Drogensachen und der Kunst zu scheitern offen umgegangen bin. Ich bin überhaupt mit all meinen Peinlichkeiten sehr offen umgegangen.

Interview: Olaf Neumann

Buchtipp: Konstantin Wecker: „Wir werden weiter träumen“; bene!-Verlag/Droemer Knaur. 144 S., 14 Euro