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"Das Risiko fährt jeden Tag mit"

Auch im Landkreis Görlitz mehren sich Angriffe auf Rettungskräfte oder Polizisten. Betroffene erzählen aus ihrem Alltag.

Von Markus van Appeldorn
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Felix Stürmer (l.) und Steven Kempe sind Rettungssanitäter an der Rettungswache Löbau.
Felix Stürmer (l.) und Steven Kempe sind Rettungssanitäter an der Rettungswache Löbau. © Rafael Sampedro/foto-sampedro.de

In manchen deutschen Großstädten - besonders Berlin - spielten sich in der vergangenen Silvesternacht teils bürgerkriegsähnliche Szenen ab. Polizisten und Retter wurden angegriffen, etwa mit Feuerwerk beschossen. In Berlin lockten Gewalttäter etwa die Feuerwehr und Rettungskräfte gezielt mit einem Alarm in einen Hinterhalt und attackierten sie dort. Die Gewalt gegen Helfer nahm in dieser Nacht ein zuvor ungekanntes Ausmaß an. Im Landkreis gab es solche Szenen nicht in solchem Ausmaß. Dennoch: Auch hier fühlen sich Rettungskräfte oder Polizisten zunehmend unwohl bei ihrer Arbeit.

Felix Stürmer (29) und Steven Kempe (20) arbeiten als Rettungs-, beziehungsweise Notfall-Sanitäter beim DRK in Löbau, sind auf der Rettungswache stationiert. Viermal täglich rücken sie und ihre Kameraden im Durchschnitt aus - und nicht immer wissen sie, was sie erwartet, auch wenn sie mittlerweile mit vielem rechnen. "Berlin-Neukölln kann man natürlich nicht mit Löbau vergleichen. Da ist ja quasi Anarchie und die Staatsgewalt hat nicht viel zu sagen", sagt Kempe, stellt aber für sich und seine Kollegen fest: "Man ist darauf vorbereitet, dass so etwas passiert. Die Hemmung und der Respekt gegenüber Einsatzkräften sind zurückgegangen."

Mit einem Messer an der Hilfe gehindert

Kempe trennt, ob hinter Aggressionen ein kriminelles Motiv steckt oder ob sie etwa durch geistige Verwirrtheit eines Patienten verursacht werden. "Es gibt welche mit Vorerkrankungen, etwa Schizophrenie oder Leute im Drogenrausch. Die erkennen uns womöglich gar nicht als Retter, sondern sehen uns als bedrohliche Zombies", sagt er. Das freilich macht die Situation in dem Moment für Retter nicht besser. Felix Stürmer sagt daher klar: "Für mich beginnt Gewalt mit Verbalität." Auch, wenn man bei Beschimpfungen mitunter ein dickes Fell entwickeln müsse. "Das muss zum einen Ohr rein und zum anderen wieder rausgehen. Im Vordergrund steht der Patient", sagt er.

Aber Stürmer erinnert sich noch gut an eine bedrohliche Situation. Er wurde mal nachts mit einem Kollegen alarmiert. Am Einsatzort lag eine junge Frau offensichtlich hilflos auf der Straße - und bei dieser Frau stand ein junger Mann. "Der hat gesagt: Die braucht keine Hilfe. Die ist bloß betrunken", erinnert sich Stürmer. Der Mann habe sich den Rettern in den Weg gestellt - und er hatte ein Messer in der Hand. "Er hat gesagt: Einen Schritt näher und ich steche Euch ab!" Das ist ein Moment, in dem es Rettern um die Eigensicherung gehen muss.

Wenn Retter selbst Rettung brauchen, kommt ein besonderes Ausstattungsmerkmal des Funkgeräts zum Einsatz. Das tragen sie direkt an der Jacke. "Mit einem roten Knopf löse ich einen Notruf zur Leitstelle aus. Ab dann kann ich eine Minute lang frei sprechen und alle anderen Kanäle sind blockiert", sagt er. So können die Kollegen in der Leitstelle mithören und sofort Hilfe zu den Sanitätern alarmieren. Nach rund zwei Minuten seien damals auch zwei Streifen der Bundespolizei gekommen, die in der Nähe waren. Stürmer weiß nicht, wie die Sache damals ausgegangen ist. "Wir haben keine Anzeige erstattet. Wir sind bedroht worden - aber der ganze Papierkram, der dann dahintersteckt. Wir haben so viel Arbeit."

Es sind diese Art von Aggressionen, die Steven Kempe nicht nachvollziehen kann: "Wir tun ja wirklich ausschließlich etwas Gutes für jemanden." Dennoch betont er, in seiner Zeit als Sanitäter beinahe nur Positives erlebt zu haben. Denn oft würden Menschen auch fragen, ob sie helfen könnten - Menschen aller Altersschichten. "Man kann die Gesellschaft so darstellen, dass sie schlecht sei. Aber das ist sie nicht. Viele sehen uns wirklich als Helden", sagt er, und: "Ich bin stolz auf Jugendliche. Die können differenzieren, dass wir Rettungskräfte sind."

Polizist: "Ich weiß nicht, wo das noch hinführt"

Auch Moritz Ramonat (23) rechnet täglich mit für ihn gefährlichen Situationen - er wusste allerdings von Anfang an, dass es zu seinem Beruf gehört. Ramonat ist bei der Polizei in Görlitz, dort, wo Einsätze mitunter massiv werden - beim Einsatzzug. "Wir sind für lebensbedrohliche Einsatzlagen zuständig", sagt er. Einsätze, bei denen man oft nicht nur die Hand an der Waffe, sondern auch die Waffe in der Hand hat. "Wir fahren zu Leuten, die nicht so gut auf die Polizei zu sprechen sind", sagt er. Bei Corona-Demos habe er regelmäßig den Mittelfinger gesehen, die Worte "Scheiß Bullen" gehört - Routine, keine große Sache. Aber er hat auch erlebt, dass scheinbare Routinekontrollen schnell eskalieren können.

So erinnert er sich an einen Vorfall, dass er mit Kollegen einen Mann auf der Straße kontrollieren wollte. Der sei sofort aggressiv geworden. So aggressiv, dass die Beamten ihn zu Boden bringen und ihm Handschellen anlegen mussten. "Es häuft sich. Die Hemmschwelle der Gewaltanwendung gegen uns ist gesunken", sagt er, und: "Es macht mich sauer. Ich weiß nicht, wohin das noch führt." Er fürchtet, dass es bald auch zu Schusswaffengewalt gegen Polizisten kommen könnte - aus Hass. "Solche Menschen sehen nicht, dass unter der Uniform auch ein Vater, ein Sohn, ein Ehemann oder Bruder steckt", sagt er. Aber eines will Moritz Ramonat nicht: resignieren. "Ich wollte einen Beruf ergreifen, in dem ich den Menschen helfen kann. Dafür ziehe ich jeden Tag meine Uniform an. Aber das Risiko fährt jeden Tag mit."