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Neugersdorferin reist mit zwei Koffern in die Türkei - um zu bleiben

Etliche Löbau/Zittauer hat es ins Ausland gezogen, wo sie teils ungewöhnliche Lebenswege gehen. SZ hat einige aufgespürt. Ines Reichardt-Ince lebt seit neun Jahren in der Türkei.

Von Andrea Thomas
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Ines Reichhardt-Ince aus Neugersdorf lebt mit ihrem Mann Ertan Ince in der Türkei.
Ines Reichhardt-Ince aus Neugersdorf lebt mit ihrem Mann Ertan Ince in der Türkei. © Andrea Thomas

Oberlausitzer, die Kusadasi besuchen, sollten es nicht versäumen, im Ephesian Hotel am Rande der quirligen Altstadt "Hallo" zu sagen. Die Stadt gilt als Einflugschneise zu den kulturellen Highlights der Türkei. Im Hotel weist die blau-gelbe Oberlausitzfahne an der Eingangstür den Weg ins Foyer, wo Fotos mit Umgebindehäusern ins Auge fallen. In die hat sich Geschäftsführer Ertan Ince direkt verliebt, als er im Januar 2023 erstmals die Heimat seiner Frau Ines besuchte. Mit gewinnenden Lachen verspricht er, dass auf Gäste aus der Oberlausitz eine besondere Überraschung wartet.

"Das Schicksal meinte es gut mit uns", sagt Ines Reichardt-Ince schmunzelnd, als sie sich an ihre erste Begegnung vor mehr als neun Jahren erinnert. Damals war die Neugersdorferin Lehrerin am Oberland-Gymnasium und musste für eine kranke Kollegin bei einem internationalen Bildungsprojekt in der Türkei einspringen. Ertan Ince, ihr heutiger Ehemann, war in dem Hotel angestellt, in dem die Schülergruppe beherbergt wurde.

Das Ehepaar führt gemeinsam ein kleines Hotel.
Das Ehepaar führt gemeinsam ein kleines Hotel. © Andrea Thomas

Er spricht von einer magischen Anziehung, die beide vom ersten Moment an fesselte. Ohne dass ihnen die Themen ausgingen, redeten sie die ganze Nacht, wobei sie immer mehr Gemeinsamkeiten feststellten. "Es war, als würden wir uns schon eine Ewigkeit kennen", pflichtet die Frau an seiner Seite bei, die kurz darauf bereit war, vieles für ein Zusammenleben mit ihm aufzugeben.

Die Lehrerin war bei den Schülern beliebt, mochte ihren Beruf. Dennoch fasste sie kurzerhand den Entschluss zu kündigen, was bei vielen auf Unverständnis stieß. "Ich zweifelte nicht eine Sekunde an meiner Entscheidung", stellt sie klar und führt das auf "intuitives Urvertrauen" zurück, was die offene und warmherzige Art des Mannes in ihr ausgelöst hatte.

Mit dem Auto und zwei Hunden quer durch die Türkei

Mit zwei Koffern kam die damals 53-Jährige Anfang 2015 nach Kusadasi, wo sie eine schöne Wohnung mit Meerblick bezog. In der Saison arbeitete Ertan sieben Tage die Woche im Hotel, oft auch nachts. Dann leisteten ihr Flocki, die Mischlingshündin, und Gismo, der Terrierrüde, Gesellschaft. Sie freute sich auf die Marktbesuche mit Ertan, nach denen sie gemeinsam kochten.

"Seine Kochkünste sind genial", schwärmt die Deutsche, die Hausmannskost mit frischen Fischgerichten, Lamm und Kebab besonders mag. Dazu Auberginen sowie jegliches sonnengereiftes Obst und Gemüse. Bald wurde aus der Veganerin eine Allesesserin. "Liebe geht durch den Magen", bekennt sie augenzwinkernd. Inzwischen ist sie selbst ein Kochprofi der türkischen Küche.

Sie schmiss den Haushalt, kam bei Spaziergängen mit den Hunden ins Gespräch mit anderen Leuten, lernte dabei nicht nur die Gegend kennen, sondern auch türkisch und begann wieder zu malen. Außergewöhnliche Bilder, Seelenlandschaften, in denen kräftige Farben und lebensfrohe Motive dominierten. Nur vom Land, in dem sie lebte, hatte sie bisher wenig gesehen.

Das änderte sich, als im Winter der Hotelbetrieb für drei Monate eingestellt wurde und das Paar, begleitet vom regelmäßig wiederkehrenden Gesang des Muezzins, im Auto mit den Hunden quer durch die Türkei reiste. Ertan führte Ines an die schönsten Orte seines Heimatlandes.

Die Landschaft Kappadokien gehört zu den Sehenswürdigkeiten der Türkei.
Die Landschaft Kappadokien gehört zu den Sehenswürdigkeiten der Türkei. © Andrea Thomas

Ihre Begeisterung und Freude zu erleben, sei für ihn das Schönste gewesen, gesteht er. Sie staunte über die landschaftliche und kulturelle Vielfalt, war beeindruckt von der Offenheit der Menschen und deren Nationalstolz. „Mir ist man stets mit Toleranz und Respekt begegnet. Von wegen Kopftuchzwang!“, räumt sie mit Vorurteilen auf.

Mit leuchtenden Augen erzählt sie von ihrer abendlichen Ankunft in Kappadokien: "Ich kam mir vor wie auf einem anderen Planeten, als ich die beleuchteten Tuffsteinhäuser, die Feenkamine, sah. Wie im Märchen!". In Büchern von Erich von Däniken hatte sie von solchen unterirdischen Städten gelesen, die sie unbedingt sehen wollte. Damit hatte sich ihr Traum erfüllt.

Corona stellte die Weichen neu. Die Hotels waren geschlossen, man hatte Zeit. Gemeinsam begannen beide mit der Vollsanierung des 100-jährigen Hauses, das Ertan gehört. Lange Zeit stand es leer und war in desolatem Zustand. Mit Kreativität, handwerklichem Geschick und Lust an der Arbeit verwandelten sie das marode Gebäude in ein Schmuckkästchen, ihre Ruheinsel und Wohlfühloase im Herzen der Altstadt.

2022 bekam Ertan das Angebot, das um die Ecke gelegene Hotel Ephesian als Geschäftsführer zu übernehmen. Der 50-Jährige erkannte das Potenzial des in die Jahre gekommenen Hauses. Er vertraute auf seine 25 Jahre Berufserfahrung in allen Hotelbereichen sowie die Unterstützung seiner optimistischen Frau.

Unter seiner Leitung wurde das Hotel renoviert und modernen Ansprüchen angepasst. Seit der Wiedereröffnung nach dem Umbau wird es als Familienunternehmen geführt. Ines kümmert sich um das Frühstücksbuffet und die Wäsche, Ertan um das Management.

Blick über die ganze Stadt

Über Mangel an Arbeit können beide nicht klagen. Ines hat sichtbar abgenommen. Doch ihr Strahlen zeigt, der Job macht ihr Spaß. "Treppauf und -ab von früh bis spät, das hält fit", lacht die immer Fröhliche. Mit 14 Zimmern ist das Hotel überschaubar. Dazu die Dachterrasse, von der man die ganze Stadt überblicken kann. "Wir waren fast ständig ausgebucht", so der Geschäftsführer.

Die Gäste sind meist Bildungsreisende aus der ganzen Welt, sie wollen die berühmten antiken Stätten von Ephesos und Didyma oder die Kalksinterterrassen in Pamukkale besichtigen. Das Paar ist stolz auf das Erreichte und freut sich über Bewertungen, wie "Ein modernes, sauberes Hotel mit leckerem Frühstücksbuffet. Doch erst die Betreiber sind es, die hier den Aufenthalt unvergesslich machen."

Die Saison ist vorbei, das Hotel zu. Endlich Zeit zum Durchatmen! Jetzt, wenn die Tage kürzer sind und die Sonne weniger scheint, leuchten die kleinen Herrnhuter Sterne in ihrem gemütlichen Innenhof und erinnern an Weihnachten, das dieses Jahr erstmals gemeinsam mit Kindern und Enkeln in Deutschland gefeiert wurde.