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„Mehr Informationen bringen uns einer Behandlung näher“

Weltweit tragen den Defekt über 40 Menschen in sich. Die New Yorker Ärztin Dr. Jennifer Bain forscht seit Jahren daran.

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Jennifer Bain, Neurologin an der Columbia Universität in New York, beschäftigt sich intensiv mit Menschen aus aller Welt, die unter dem seltenen Gendefekt leiden.
Jennifer Bain, Neurologin an der Columbia Universität in New York, beschäftigt sich intensiv mit Menschen aus aller Welt, die unter dem seltenen Gendefekt leiden. © privat

Großenhain. Wenn sich ein Mediziner mit HNRNPH2 auskennt, dann sie: Jennifer Bain, Neurologin an der Columbia Universität in New York, beschäftigt sich intensiv mit Menschen aus aller Welt, die unter dem seltenen Gendefekt leiden. Eine Laune der Natur, die als Mutation im Gehirn aktiv ist und vor gut zwei Jahren das erste Mal in ihren Veröffentlichungen Erwähnung gefunden hat. 

Die Sächsische Zeitung hatte sich im Internet auf die Suche nach der Spezialistin für Kinderkrankheiten begeben und wegen Victoria Lenuweit Kontakt mit ihr aufgenommen. Jennifer Bain bot der Familie daraufhin ihre Unterstützung an. Jeden Sommer finde mittlerweile ein Treffen der Selbsthilfegruppe „The Yellow Brick Road Project“ statt und biete den Betroffenen aus verschiedensten Ländern eine Gelegenheit zum Austausch. Victoria und ihre Eltern, so Jennifer Bain, seien in diesem Jahr Ende Juli herzlich willkommen in New Jersey.

Frau Bain, wie lange beschäftigen Sie sich schon mit dem Gendefekt?

Wir haben erstmals im September 2016 eine Studie veröffentlicht, in der bei sechs Mädchen der Gendefekt nachgewiesen werden konnte. Seitdem haben wir mehr als 40 andere Menschen identifiziert, darunter auch einige Jungen.

Was bedeutet die Diagnose einer solchen Mutation für die Betroffenen?

Eine genetische Diagnose kann Familien zunächst einmal helfen zu verstehen, warum ihr Kind seit seiner Geburt Schwierigkeiten hat. Sie kann den Eltern die Schuld für diese Schwierigkeiten nehmen und Unterstützung von einer Gemeinschaft anderer betroffenen Familien bieten. Probleme, mit denen sich das Kind plagt, sind besser erklärbar und künftige vorhersehbar. Wir wissen beispielsweise, dass mehrere Kinder eine schwere Störung der Skelettmuskulatur aufweisen. Hinzu kommen Hüftprobleme und Skoliose. Daher empfehlen wir, dass alle Personen mit dieser genetischen Erkrankung regelmäßig einen Orthopäden aufsuchen. Darüber hinaus haben wir festgestellt, dass Anfälle ganz unterschiedlicher Art in Betracht gezogen werden müssen. Die medizinische Begleitung durch einen Neurologen und spezifische Tests sind daher wichtig.

Und was heißt das Ergebnis für Victorias Eltern? Wie wird sich der Zustand ihrer Tochter entwickeln?

Wir hoffen zunächst mal, dass die genetische Diagnose ihren Eltern nun dabei helfen kann, zu wissen, wie sie Victoria noch besser unterstützen können, wenn sie älter wird. Wir haben keine Beweise dafür, dass ihre Konstitution mit zunehmendem Alter schlechter oder rückläufig wird. Die älteste betroffene Person, die wir kennen, ist 37 Jahre alt. Wir gehen davon aus, dass auch Victoria durch gezielte Therapien Fähigkeiten erlernen und erhalten wird.

Frau Bain, wird es jemals eine medikamentöse Behandlung für Menschen mit diesem genetischen Defekt geben?

Es ist zunächst einmal wichtig gewesen zu wissen, was dieses Gen HNRNPH2 im Körper sowohl bei normaler Entwicklung als auch im Krankheitsfall tut. Es gibt mehrere Labore, sogar in Deutschland, die sich mit ihm beschäftigen. Mein Labor untersucht die an der Störung leidenden Menschen, um Ursachen und Verlauf während des Älterwerdens zu verstehen. Nur mit mehr Informationen kommen wir einer möglichen Behandlung näher.

Gespräch: Catharina Karlshaus