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"Gebt uns Handys und Spardosen zurück"

Bei der Abschiebung sollen persönliche Gegenstände der georgischen Familie aus Meißen verloren gegangen sein. Eine Spurensuche.

Von Marvin Graewert
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Im georgischen Dorf der Großeltern gibt es kaum freien Wohnraum. Die siebenköpfige Familie Pareulidze-Gardasvili ist notgedrungen bei den Großeltern unterkommen - auf engstem Raum.
Im georgischen Dorf der Großeltern gibt es kaum freien Wohnraum. Die siebenköpfige Familie Pareulidze-Gardasvili ist notgedrungen bei den Großeltern unterkommen - auf engstem Raum. ©  privat

Meißen. Eine Abschiebung findet unangekündigt statt. Zu groß ist die Gefahr, dass sich sonst eine Familie aus dem Staub macht. Es ist kurz nach 5 Uhr, als ein Stampfen die Pareulidze-Gardasvilis in Meißen aus dem Schlaf reißt. Es bleiben 25 Minuten, um die wichtigsten Dinge einzupacken - aber eben nicht alles: Die Smartphones und Tablets der Familie dürfen nicht selber eingepackt werden, sondern werden von der Polizei zu den persönlichen Gegenständen genommen. Gleiches gilt für die Kinder-Spardosen. "Da habe ich widersprochen", erzählt Aishat, die älteste Tochter der Familie. "Darauf kann ich doch selber aufpassen." Doch die Polizei versichert: Am Flughafen in Tiflis wird alles zurückgegeben.

Bis zu diesem Punkt deckt sich die Darstellung der Familie mit den Ausführungen der Polizei. In einer schriftlichen Antwort der Sächsischen Polizei vom 5. Juli wurde erst von einem eingezogenen Handy geschrieben - allerdings unter Vorbehalt: Wie die Polizeisprecherin Kirstin Ilga am selben Tag telefonisch mitteilte, müsste erst in persönlichen Gesprächen mit den beteiligten Beamten geklärt werden, wie viele Handys und Tablets tatsächlich eingezogen worden sind. Vollständige Listen - über die Abschiebung vom 26. Mai - hätten noch nicht vorgelegen.

Die schriftliche Antwort vom 9. Juli ist aussagekräftiger und bestätigt die Version der 13-jährigen Aishat, bis hin zur Farbe der technischen Geräte: Zwei Samsung-Handys und zwei Tablets seien an die Bundespolizei übergeben worden. Die Bundespolizei berichtet allerdings nicht mehr von zwei, sondern nur noch von einem Smartphone: "Das Handy der Familie wurde, nachdem sie sich wichtige Telefonnummern herausschreiben konnten, ebenfalls (Anm. d. Red. genau wie die Spardosen) im Beisein der Familie im Großgepäck verstaut."

Wenn Rückzuführende nach der Gepäckaufgabe mit einem Angehörigen telefonieren wollen würden, wäre das mit einem Diensthandy der Bundespolizei möglich. Davon hat die älteste Tochter am Flughafen in Leipzig Gebrauch gemacht - und deshalb eine Nummer herausgeschrieben, nämlich die von Nachbarin und Ersatz-Oma Brigitte Hoffmann: "Wir wollten einfach wissen, ob unser Vater am Leben ist."

Alle Erinnerungen futsch

Die Familie Pareulidze-Gardasvili wurde nämlich ohne Vater abgeschoben. Der hatte im hektischen Durcheinander der nächtlichen Abschiebung Schnittverletzungen erlitten und musste zur Behandlung in die Elblandkliniken nach Meißen gebracht werden. Erst nach einem Aufenthalt im Krankenhaus und Abschiebehaft wurde er am 10. Juni nach Georgien zurückgeführt. "Die Landesdirektion Sachsen hat damit, schon allein aus Kindeswohlinteresse, eine falsche Entscheidung getroffen", sagt Juliane Nagel, die asylpolitische Sprecherin der Linksfraktion, die sich seit Jahren mit der sächsischen Abschiebepolitik beschäftigt. Ihr Eindruck nach den viel besprochenen Abschiebungen von Pirna und Meißen nach Georgien: „Es ist nicht so, dass Abschiebungen nun gehäufter auftreten. Anders ist nur, dass die Unterstützer damit an die Öffentlichkeit gehen", so Nagel.

In Tiflis am Flughafen durchwühlt die Familie ihre Taschen, doch die Handys lassen sich nicht finden, auch die Kinder-Spardosen sind nicht mehr da. "In den Prozess der Übergabe des Großgepäcks sind die Personenbegleiter Luft nicht mehr eingebunden", erklärt die Bundespolizei. Dieser erfolge durch die dortigen Behörden des Flughafens.

In Tiflis wurden die Taschen in einer Ecke beim Gepäckausgabeband abgestellt: "Ich weiß, das klingt so, als wurden wir am Flughafen beklaut. Wir sind uns da nicht so sicher: Unser Gepäck war weder geöffnet noch zerrissen", sagt Aishat, die eins gar nicht oft genug betonen kann: "Wir möchten unsere Handys und Spardosen zurück - vor allem die Handys: Da sind all meine Erinnerungen drin; die Telefonnummern meiner Freundinnen und die Fotos von unserem Leben in Meißen."

2.000 Euro Spende

Mitglieder verschiedener Vereine und Initiativen, Stadt- und Kreisräte aus Meißen haben in den letzten Tagen dazu aufgerufen, Geld für die Familie zu sammeln. Innerhalb weniger Tage sind bereits 2.060 Euro zusammengekommen, berichtet Pfarrer Bernd Oehler, über dessen Konto die Spendenaktion läuft. Doch dabei soll es nicht bleiben. Am Mittwoch, 14. Juli, wird vom Bündnis Buntes Meißen - Zivilcourage, eine Protest- und Solidaritätsveranstaltung für die Familie im Zentrum Meißens durchgeführt.

Mit Geld ließe sich die beschwerliche Wohnungssuche in Georgien allerdings auch nicht beschleunigen: "Vor ein paar Jahren gab es in unserem Dorf noch freie Häuser", berichtet Aishat. Doch nach den vielen Abschiebungen der letzten Jahre - vor allem aus Deutschland und Dänemark - gäbe es kaum noch freie Wohnflächen. "Vielleicht müssen wir in eine weit entfernte Stadt ziehen, wo wir dann gar niemanden mehr kennen. Nicht einmal unsere Verwandten."