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Abseits des Gedränges auf dem Meißner Weinfest

Vier Orte, die zeigen, dass Sachsens größtes Weinfest nicht nur laut, sondern auch lauschig sein kann. Die Feierorte abseits der Festmeile.

Von Marvin Graewert
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Nach zwei Jahren war die Erleichterung über ein Weinfest wie früher groß. Das hieß allerdings auch wieder Gedränge, doch nicht überall.
Nach zwei Jahren war die Erleichterung über ein Weinfest wie früher groß. Das hieß allerdings auch wieder Gedränge, doch nicht überall. © Claudia Hübschmann

Meißen. Begleitet von dröhnenden Bässen wurde man dieses Wochenende in Meißen von einem zum nächsten Weinstand getragen. Doch abseits der Meile hat Sachsens größtes Weinfest mehr zu bieten. Gleich in einer Seitenstraße zur Bühne auf dem Heinrichsplatz zeigt das Weinfest sein anderes Gesicht. Michaela Mayer hat einfach ihr Sofa auf die Straße gestellt und so ein öffentliches Wohnzimmer geschaffen – ansonsten hätte es in der Lorenzgasse gar keinen Weinstand gegeben.

Michaela Mayer nahm zum ersten Mal am Weinfest teil.
Michaela Mayer nahm zum ersten Mal am Weinfest teil. © Claudia Hübschmann

2016 hatte Michaela Mayer das Haus in der Altstadt gekauft und es Stock für Stock ausgebaut. Gerade ist das Erdgeschoss dran – dort soll bald ein Weinlese-Café entstehen. Ihr allererster Stand auf einem Weinfest war sozusagen die Generalprobe. Und die ist geglückt.

Ihr Wein und die Parmesan-Waffeln – die nur gegen selbst gewählte Codewörter von Katze bis Pisse verteilt wurden – waren für die Besucher eine willkommene Abwechslung zum Getümmel. Zur musikalischen Untermalung war ein Teil der Dresdner Band 'The Mockingbird Men' dabei; die sich bei einer Folk-Session zusammengefunden haben – in dieser Besetzung allerdings noch nicht gespielt haben und während des Weinfests auch nicht vor einer Bierflasche als Instrument zurückschreckten.

Uwe und Nadine Gaitzsch aus Leipzig haben ihren Hochzeitstag in Meißen gefeiert.
Uwe und Nadine Gaitzsch aus Leipzig haben ihren Hochzeitstag in Meißen gefeiert. © Claudia Hübschmann

Die Abwechslung auf dem Weinfest hat auch ein Leipziger Ehepaar überzeugt: Ihr erster Besuch in der Meißner Altstadt war ein Hochzeitstag-Geschenk. Aufgrund der super Stimmung und der offenen Art der Meißner konnten Uwe und Nadine Gaitzsch – über den Dächern Meißen im Gartenlokal 'Kiosk S6' – auf ein Wochenende anstoßen, das ihre Erwartungen sogar übertroffen hatte: "Überall war spürbar, wie groß die Erleichterung war, wieder wie in alten Zeiten feiern zu können", sagte Uwe Gaitzsch.

Auf der anderen Elbseite war es hingegen fast ein bisschen zu ruhig. Trotz des Drangs nach Kulturveranstaltungen ohne Einschränkungen war es am Sonnabendabend in der Kleinkunstbühne Kallaputschni überschaubar: "Solche Veranstaltungen sind seit Corona generell eine Herausforderung geworden – nicht nur in Meißen", sagt Peter Braukmann. Sich der dröhnenden Musik auf der anderen Elbseite entgegenzusetzen, war für die Künstler allerdings selbstverständlich. Schließlich war der Auftakt der Konzertreihe vielversprechend. Braukmann: "An Abenden, an denen es richtig gut läuft, ist es vom Gefühl her wie bei einer Familienaufstellung. Bei der ersten Vorstellung nach Corona hat das Publikum direkt beim ersten Lied mitgesungen."

Auf der Rollschuhbahn in Spaar spielte, umgeben von beleuchteten Weinbergen, die Band Sachsenfolk.
Auf der Rollschuhbahn in Spaar spielte, umgeben von beleuchteten Weinbergen, die Band Sachsenfolk. © Claudia Hübschmann

Auch in der Alten Rollschuhbahn in Meißen-Spaar schien es am frühen Abend etwas weniger belebt zu sein als noch vor einem Jahr. "Gefühlt sind auf dem diesjährigen Weinfest 30 Prozent weniger Gäste gekommen als letztes Jahr", sagt Gerd Wegner, Schatzmeister der "Bürger für Meißen", die das Weindorf Spaar organisierten und fünf verschiedene Weine aus Spaar zum Verkosten anbiete. "Das macht sich auch bei uns bemerkbar." Es wird sich zeigen, was vom dezentralen Konzept der beiden Corona-Jahre übrig bleiben wird.

Etwas ganz anderes hatte sich das Theater Meißen ausgedacht und zum dritten Mal vor dem Weinfest ganz tief im Kostümfundus gekramt und einige Teile ihrer mehreren Hundert Kostüme versteigert hatte.

Rainer König führte durch die Versteigerung und pries als Erstes einen echten Pelzmantel an, wie es damals üblich war, als das Theater Mitte des 19. Jahrhundert noch eine eigene Schneiderei hatte. Der ehemaligen Theaterchefin Renate Fiedler fiel es nicht leicht, sich von Teilen aus dem Fundus zu trennen. Für ein reines Gastspiel-Theater, das die Kostüme ausschließlich für das Amateurtheater bereithält, waren die Lager allerdings zu voll.

Zum Ersten, zum Zweiten... Rainer König versteigert Theaterkostüme aus dem Kostümfundus.
Zum Ersten, zum Zweiten... Rainer König versteigert Theaterkostüme aus dem Kostümfundus. © Claudia Hübschmann

Wenn abends die letzten Stände hochgeklappt wurden, war nur noch im Gastraum der Burgstraße 27 bzw. Sachsens ältester Zinngießerei Licht: Seit Freitagabend konnten Jens Mahlows Gäste in eine weinlastigere Zeit reisen, wie er scherzte. Für ihn war es die erste Möglichkeit, die Räumlichkeiten mit einer größeren Veranstaltung zu präsentieren. Obwohl bereits zehn Kubikmeter Müll rausgeschaufelt würden, ist es immer noch eine Baustelle – die Besucher mussten aufpassen, wo sie hintraten. Klappt das auch nach dem dritten Weinglas? „Meine Gäste sind von Haus aus sehr vorsichtig“, versichert Jens Mahlow, der miterleben konnte, wie sie sich in seinem Ambiente wohlfühlten und blieben: "Am Freitagabend war um uns herum schon lange nichts mehr los, da war es bei uns noch voll." Die letzten Gäste gingen um zwei Uhr.

Beim Wein ließ sich schließlich wunderbar über die unglaubliche Baugeschichte des 1605 erbauten, 1635 zerstörten und 1661 wieder aufgebauten Bauhaus sinnieren: "Zwischendrin hat sich hier drin ganz viel Geschichte und Geschichten abgespielt", so Mahlow. Den Trinkenden blieb dazu jede Menge Interpretationsspielraum. Was sich vor der Nutzung als Zinngießerei in den Kellergewölben abspielte, lässt sich nur erahnen. Der sehr tiefe Brunnen im Keller, bis zur Elbe, und der sehr hohe Dachboden sprächen für Tuchmacher, weil die sich das leisten konnten.