Meißen
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Meißen: Ein Platz für Gefühle

Im Meißner Ratssaal wurde die Ausstellung „Meine Ukraine!“ eröffnet. Der Andrang zur Vernissage war groß. Die Bereitschaft mitzumachen auch.

Von Andre Schramm
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Zur Eröffnung der Ausstellung "Meine Ukraine!" kamen mehr als 100 Gäste. Viele von ihnen hatten an der Schau persönlich mitgewirkt.
Zur Eröffnung der Ausstellung "Meine Ukraine!" kamen mehr als 100 Gäste. Viele von ihnen hatten an der Schau persönlich mitgewirkt. © Claudia Hübschmann

Meißen. Man hat es manchmal, dieses Gefühl, jemanden unbedingt etwas erzählen zu wollen. Etwas, das einen beschäftigt: ein Problem, ein Erlebnis oder vielleicht der Plot eines guten Films. Dieses Gefühl ist bei vielen ukrainischen Kriegsflüchtlingen allgegenwärtig. Und es ist stark. Nur ist es in ihrem Fall kein Film, sondern traurige Realität: Krieg in der Heimat. Leid, Wut, Schmerz, Ungewissheit, aber auch Dankbarkeit und im besten Fall ein bisschen Hoffnung tragen sie seit einem Jahr mit sich herum. Es sind schreckliche Bilder dabei. Bilder, die sich irgendwo einnisten. Dinge, die man nicht hören und erst recht nicht erleben will. Aber trotzdem da sind. So einschneidend, dass man sie vermutlich den Rest sein Leben nicht mehr los wird. Auch wenn das gerade erst fünf, sieben oder zehn Jahre alt ist.

Wahrscheinlich ist das auch der Grund, warum die Evangelische Akademie, der Meißener Kulturverein und das Bunte Meißen mit ihrer Idee offene Türen einrannten. „Wir wollten jenen Ukrainern, die nach Meißen und Umgebung geflohen sind, eine Stimme geben. Das sind gegenwärtig mehr als 2.600 Menschen“, sagte Julia Gerlach von der Evangelischen Akademie zur Eröffnung der Mitmach-Ausstellung.

Ehemann verloren, Operation, Flucht

So wurde zum Jahresanfang ein entsprechender Aufruf gestartet – in Deutschkursen und Telegram-Gruppen. Die Resonanz an Beiträgen war so groß, dass am Ende nicht alle eingereichten Arbeiten in den großzügigen Ratssaal passten. Es sind Fotos, Collagen, Berichte, Gedichte und Bilder, wie das von Vlad zum Beispiel. Es zeigt einen Traktor mit ukrainischer Fahne, der einen russischen Panzer abschleppt. An einer anderen Stelle ist das Foto einer Frau zu sehen, die in einem Bett liegt. Sie hat eine große Einschusswunde in der Schulter. Ihr Name ist Alina Kukina. Ihre Familie, so ist darunter zu lesen, geriet im Bezirk Buchansky unter Beschuss. Ihr Ehemann hat nicht überlebt. Sie und ihre Tochter mussten operiert werden. Sie leben heute in Radebeul.

Ein junges Mädchen vor Porträts ukrainischer Soldaten.
Ein junges Mädchen vor Porträts ukrainischer Soldaten. © Claudia Hübschmann

"Diese Perspektive ist wichtig für die Substanz in der Debatte, die wir hierzulande führen", findet Julia Gerlach. "Hinter jedem einzelnen Beitrag steht ein Mensch", fügt die Organisatorin noch hinzu. Vom Interesse an der Schau ist nicht nur sie überwältigt. Weit mehr als 100 Gäste sind in den Ratssaal gekommen, darunter auch viele Ukrainer. Eine von ihnen ist die Anthropologin Anna Oksiutovych. Sie arbeitete vor Kriegsbeginn im "War Childhood Museum" in Kiew.

Museum dokumentiert Kindheit in Kriegszeiten

Das Museum wurde 2020 infolge des Kriegs im Donbass (2014) gegründet und sammelt Berichte, Erlebnisse, Fotos von Kindern, die in Kriegszeiten aufgewachsen sind, auch im Zweiten Weltkrieg. "Wir versuchen zu zeigen, was es heißt, als Kind im Krieg groß zu werden. Die jungen Menschen wachsen ja trotzdem heran", sagt sie. Die Ausstellung in Meißen, so die Wissenschaftlerin weiter, erinnere sie sehr an ihre Arbeit früher in Kiew. Auffällig ist tatsächlich, dass viele Exponate von Kindern stammen. "Ich denke und hoffe, dass dieses Projekt ein wenig hilft, diese schweren Zeiten zu überstehen", sagt Frau Oksiutovych.

"Ich sehe sehr viele Kinder hier im Raum. Sie sind in Sicherheit, und beispielhaft dafür, dass die Ukraine eine Zukunft hat", sagt Daniel Bahrmann. Die Ausstellung, so erzählt er, sei noch längst nicht fertig und wachse stetig weiter. Bahrmann sieht das gesamte Projekt als wichtigen Beitrag, um für Verständnis zu werben, dass die Menschen, die zu uns gekommen sind, etwas Zeit brauchen, um hier anzukommen und ihre Erlebnisse zu verarbeiten.

Die Ausstellung ist am Freitag ins Foyer des Rathauses umgezogen. Dort ist sie bis zum 24. März zu sehen. Danach soll sie nach Nossen weiterziehen.