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Bambule im Rettungswagen

Ein Mann in Radeburg soll eine Schnittwunde haben. Es ist nur ein Vorwand. In Wirklichkeit will dieser den Krankenwagen nur als Taxi benutzen.

Von Jürgen Müller
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Wegen einer Schnittverletzung wird ein Rettungswagen nach Radeburg gerufen. Dort angekommen, stellt sich die Situation ganz anders dar.
Wegen einer Schnittverletzung wird ein Rettungswagen nach Radeburg gerufen. Dort angekommen, stellt sich die Situation ganz anders dar. © Symbolfoto: Egbert Kamprath

Meißen/Radeburg. Die Rettungswache in Thiendorf wird in jener Novembernacht 2020 alarmiert und ein Krankenwagen nach Radeburg gerufen. Dort soll ein Mann eine Schnittverletzung haben. Die Rettungssanitäter rasen los.

Was sie in der Wohnung des Patienten vorfinden, überrascht sie allerdings. Der Mann hat tatsächlich eine Schnittverletzung. An einem Finger. Die hat er mit einem Pflaster zugeklebt. Dennoch besteht er darauf, ins Krankenhaus nach Radebeul gefahren zu werden. Doch nicht wegen der Verletzung. Er habe dort in der Psychiatrie angerufen, man habe ihm gesagt, dass er kommen könne. Der Alkoholiker ist dort bestens bekannt, war schon mehrfach dort.

Als ihm die Sanitäter erklären, dass ein Rettungswagen kein Taxi ist, wird er aggressiv und beleidigend, droht an, sich etwas anzutun. Weil ein Arzt feststellen muss, ob der Mann suizidgefährdet ist, bringen ihn die Sanitäter nach Rücksprache mit der Klinik dann doch ins Krankenhaus.

Als der 42-Jährige seinen Willen bekommt, ist er plötzlich wieder friedlich, setzt sich in den Krankenwagen, schnallt sich brav an. Doch auf der Autobahn löst er plötzlich den Gurt, steht auf, geht zu dem Sanitäter, der ihm gegenübersitzt, holt zum Schlag aus. Der Mann hält seinen Arm schützend vors Gesicht, kann den Schlag so zwar abwehren, bricht sich aber dabei den Mittelhandknochen.

Sein Kollege stoppt sofort das Fahrzeug, hält auf dem Seitenstreifen an und alarmiert die Polizei. Die rückt gleich mit sechs Leuten und drei Streifenwagen an, eskortiert den Angeklagten ins Krankenhaus.

Als eine Krankenschwester den Radeburger zum Aufstehen auffordert, schlägt er einem der noch anwesenden Polizisten mit der flachen Hand ins Gesicht. Wegen Körperverletzung in zwei Fällen und Angriffs auf den Sanitäter und auf den Polizisten sitzt der Radeburger nun vor dem Meißner Amtsgericht.

Seine Verteidigerin räumt ein, dass sich die Taten so abgespielt haben könnten. Es täte ihrem Mandanten leid, er könne sich allerdings an nichts mehr erinnern. Seine letzte Erinnerung sei das Eintreffen der Sanitäter. Von da an habe er einem "Filmriss" gehabt, sei erst am nächsten Morgen im Krankenhaus zu sich gekommen. Nach eigenen Angaben habe der Angeklagte an jenem Abend Schlaftabletten genommen und dazu Alkohol getrunken. Ein Atemalkoholtest bei ihm ergab rund 2,5 Promille.

Dafür haben die Zeugen aber sehr gute Erinnerungen. Der Sanitäter kann sich nicht erklären, warum der Angeklagte plötzlich zuschlug. Er musste zweimal operiert werden, war bis März arbeitsunfähig. Auch der Polizist kennt keinen Grund, warum der Angeklagte zuschlug. "Er hat geschlagen, aber er hat mich nicht verletzt, es tat nicht weh", sagt er.

Alkoholiker jobbt in Gaststätte

Der Angeklagte ist mehrfach vorbestraft, wurde schon achtmal verurteilt. Vor allem das Amtsgericht Riesa hat den Mann schon mehrfach verurteilt, zuletzt 2019 unter anderem wegen Körperverletzung und Bedrohung zu einer Haftstrafe von einem Jahr, die für drei Jahre zur Bewährung ausgesetzt wurde. Bei den jetzigen Taten stand der gebürtige Riesaer also unter Bewährung.

Bereits 2009 verurteilte ihn das Landgericht Dresden wegen Freiheitsberaubung, gefährlicher Körperverletzung und Führens einer Schusswaffe zu einer Haftstrafe von fünf Jahren und acht Monaten. Von 2010 bis 2013 befand er sich im Maßregelvollzug, wurde fünf Jahre unter Führungsaufsicht gestellt und ihm die bürgerlichen Rechte aberkannt. 2018 kam er erneut in eine Entziehungsanstalt.

Nach seiner Lehre als Gebäudereiniger hat er mal gearbeitet, mal nicht, sagt er. Die Selbstständigkeit scheitert, die Krankenkasse forderte 11.000 Euro Beiträge zurück, die er nicht gezahlt hatte. "Ich war doch nie krank", sagt er.

Hin und wieder jobbte der Alkoholiker - in einer Gaststätte. "Dort gab es Bier umsonst". Das ist natürlich ein Argument für jemanden, der seit dem siebenten Lebensjahr Alkohol trinkt. Bei der Oma gibt's "Grüne Wiese" und Eierlikör. "Das ist doch kein Alkohol", so der Angeklagte, der seit Jahren Arbeitslosengeld II bezieht.

Doch, welche Überraschung, ausgerechnet ein paar Tage nach der Verhandlung will er ein Vorstellungsgespräch haben. Bei welcher Firma, diese Frage soll er auf Anraten seiner Verteidigerin lieber nicht beantworten.

Ein Psychiater, der den Angeklagten schon 2009 und 2018 begutachtet hatte, soll die Schuldfähigkeit feststellen. Er kommt zu dem Schluss, dass der Radeburger zwar, "lebenspraktische Einschränkungen" hat. Doch er kann bei ihm weder eine schwere seelische Störung, noch eine abnorme Affektreaktion und auch keine Bewusstseinsstörung feststellen. Allerdings sei nicht auszuschließen, dass seine Steuerungsfähigkeit erheblich eingeschränkt gewesen sei.

Bewährung für den Bewährungsbrecher

Darauf beziehen sich Verteidigung und Gericht, gestehen ihm verminderte Schuldfähigkeit zu. Verurteilt wird er zudem nur wegen des Angriffs auf den Rettungssanitäter, und zwar zu einer Haftstrafe von acht Monaten. Obwohl er Bewährungsbrecher ist, wird die Strafe für zwei Jahre erneut zur Bewährung ausgesetzt.

Zum Tatvorwurf gegen den Polizisten wird er freigesprochen. Das Gericht sieht hier keine Körperverletzung. Zudem sei fraglich, ob er sich zu dem Zeitpunkt noch in Obhut der Polizei befand, so die Begründung.

Der Riesaer befindet sich nun also unter zweifacher Bewährung. Denn im August vorigen Jahres wurde er vom Amtsgericht Dresden wegen Körperverletzung zu einer Haftstrafe von einem Jahr und vier Monaten verurteilt, die ebenfalls zur Bewährung ausgesetzt wurde. Er hatte einen Mann in der Straßenbahn mehrfach vom Sitz gezerrt, gegen die Fensterscheibe gedrückt und ins Gesicht getreten. Auch damals behauptete er, einen "Filmriss" gehabt zu haben.