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"Ich würde mit dem Teufel verhandeln, wenn ich damit auch nur ein Menschenleben retten könnte"

Mit 66 geht Dieter Höntsch in die Politik. Er tritt im Wahlkreis 7 für das Bündnis Sahra Wagenknecht an, und es sind seine drei Enkel, die ihn dazu motivieren.

Von Ines Mallek-Klein
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Er hat Informatik studiert und sich dann zum Trainer weitergebildet, unter anderem für gewaltfreie Kommunikation. Jetzt, mit 66 Jahren, geht Dieter Höntsch aus Weinböhla in die Politik.
Er hat Informatik studiert und sich dann zum Trainer weitergebildet, unter anderem für gewaltfreie Kommunikation. Jetzt, mit 66 Jahren, geht Dieter Höntsch aus Weinböhla in die Politik. © Claudia Hübschmann

Das Reihenhaus in Weinböhla ist sein Rückzugsort. Ein liebevoll gepflegtes Idyll mit vielen Pflanzen, das gerade jetzt im Frühling zu neuer Pracht erblüht. Dieter Höntsch ist Rentner. Er könnte einfach seinen Ruhestand genießen. Tut er aber nicht. "Weil ich mich sorge über die aktuelle Situation in unserem Land", sagt Dieter Höntsch und legt seine Mütze zur Seite. Sie ziert ein Anstecker mit einer weißen Taube auf blauem Grund. Ihre Botschaft: Frieden.

Und die Bemühung darum ist, was Dieter Höntsch am meisten vermisst. Er ist sich sicher, dass es mit immer neuen Waffenlieferungen in die Ukraine nicht gelingen wird, Frieden zu schaffen. Er fordert Verhandlungen. Und das tut auch das neu gegründete Bündnis Sahra Wagenknecht, kurz BSW. Er sei, sagt Dieter Höntsch, schon seit vielen Jahren von der Politikerin beeindruckt, von ihren Themen und von der Klarheit, mit der sie die anstehenden Probleme benennt. Persönlich getroffen hat er sie nur kurz, nach einer Lesung in Riesa, bei der sie ihr Buch für ihn signierte.

Nach der Wende das Parteibuch abgegeben

Dass die neu gründete Partei den Namen von Sahra Wagenknecht im Titel trägt, findet Dieter Höntsch allerdings weniger glücklich. Ja, sie sei zweifelsfrei das Zugpferd. Aber es gäbe auch nicht wenige in der neuen linksorientierten Gruppierung, die ein Problem mit der Namensgeberin hätten. "Ich hoffe, dass sich der Name noch ändert", so Höntsch. Aber bei den Inhalten, da gehe er größtenteils mit. Und eine zentrale Forderung des BSW ist eben die Einfrierung des Krieges zwischen der Ukraine und Russland - verbunden mit der Hoffnung, dass Gespräche ein Ergebnis bringen.

"Ich würde mit dem Teufel verhandeln, wenn ich damit nur ein einziges Menschenleben rette", sagt Dieter Höntsch. Ist Putin etwa der Teufel? "Nein, für mich nicht", so die klare Antwort des gebürtigen Riesaers, der an der TU Dresden Informatik studiert hat. Hier begann auch seine erste politische Erfahrung. "Ich war Mitglied der SED, eher aus formalen Gründen und anfangs mit der Illusion, dass man die DDR von innen heraus reformieren könne", so Höntsch. Dann kam die Wende, er gab sein Parteibuch ab und sich das Versprechen, nie wieder politisch aktiv sein zu wollen.

Aber kann man das? In Zeiten, in denen die Kriegsgefahr wächst, die Inflation die Familien und Unternehmen zunehmend belastet? In Zeiten, in denen in Kliniken und Altersheimen Fachkräfte fehlen, an Schulen massenweise Unterrichtsstunden ausfallen, weil es keine Vertretungslehrer gibt? Dieter Höntsch könnte die Aufzählung beliebig fortsetzen, aber er fasst knapp zusammen "das alles macht mir große Sorgen". Und er gesteht, dass er die Politik der Bundesregierung schlicht nicht mehr nachvollziehen kann.

16 Unterstützer sind eine Herausforderung

Doch nur jammern und wehklagen ist seine Sache nicht. Deshalb macht er nun mit beim BSW. Es war Uta Knebel, die lange Jahre für die Linkspartei im Riesaer Stadtrat saß, die auf Dieter Höntsch zukam und ihn fragte, ob er kandidieren wollte. Zuvor hatte er sich als Unterstützer beim Bündnis Sahra Wagenknecht registrieren lassen. Das entscheidende Gespräch fand im Februar statt. Er habe sich einen Tag Bedenkzeit erbeten und dann zugesagt, unterstützt von seiner Frau, Familie und vielen Freunden.

Mittlerweile ist Anfang April, um genau zu sein, der 4. April. Jener Tag, bis zu dem in den Rathäusern noch Unterstützerunterschriften für die Kandidaten neu gegründeter Parteien und Bündnisse abgegeben werden können. Dieter Höntsch braucht 16. Die Zahl richtet sich nach der Größe des Wahlkreises und der Zahl der Wahlberechtigten. Sie klingt nicht viel und sei trotzdem eine Herausforderung, sagt Dieter Höntsch. Müssen die Sympathisanten doch ins Rathaus kommen, ihren Personalausweis vorzeigen und unterschreiben.

An diesem Donnerstag hat Dieter Höntsch schon die 16 Unterstützer. Doch er geht auf Nummer sicher. "Unterschriften können auch ungültig sein, beispielsweise dann, wenn eine Person für mehrere Kandidaten unterschrieben hat", so Höntsch.

Das Ergebnis meldet die Gemeinde Weinböhla dann an den Kreiswahlleiter und der übermittelt es an Uta Knebel, die für das BSW als Vertrauensperson eingesetzt ist. Dieter Höntsch möchte für den Weinböhlaer Gemeinderat und den Kreistag kandidieren. Der Sächsische Landtag komme für ihn nicht infrage. "Dazu bin ich zu alt", sagt der Mann, der sich mit Wandertouren fit hält, außerdem gerne fotografiert und schreibt, seine Texte sogar auf einem Autorenportal im Netz veröffentlicht.

Sorge um die Zukunft der Enkel

Fragt man Dieter Höntsch nach seinen politischen Zielen, so weiß er, dass er das Bildungssystem nicht reformieren kann. "Das ist Ländersache, aber ich möchte auf kommunaler Ebene dazu beitragen, Angebote für die Kinder und Jugendlichen zu schaffen", so Höntsch. Die Rede ist von einem Bolzplatz in Weinböhla und einem Jugendclub. Und in den örtlichen Sportvereinen fehlt es an Trainern.

Dieter Höntsch treibt die Sorge, dass seine Enkel ihre Zukunft nicht mehr so sorgenfrei genießen können. Den Satz "Opa, warum hast du damals nichts gemacht", den möchte er nicht hören. Deshalb hat er auch einen Aufnahmeantrag gestellt und möchte ordentliches Parteimitglied beim BSW werden.