Meißen
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Politische Lesungen funktionieren in Meißen scheinbar nicht

Gleich die zweite Lesung des Meißner Literaturfestes war unerträglich. Allerdings aus anderen Gründen, als im Vorfeld kritisiert. Ein Kommentar.

Von Marvin Graewert
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© Kulturverein/SZ-Fotomontage

In der Urbanskirche ist die Stimmung aufgeheizt. Der ehemalige Stadtrat Reinhard Plüschke liest aus "Das Imperium USA". Eine Lesung, die schon im Vorfeld für Wirbel sorgte. Im Nachrichtenmagazin Spiegel wird angeprangert, dass "Verschwörungstheorien auf einem Literaturfestival Raum bekommen". Im Publikum sorgt die Diskussion für eine In-Meißen-lässt-man-sich-doch-nicht-das-Wort-verbieten-Stimmung. Eine Aufregung, die das Buch gar nicht verdient.

Die Passagen, die Plüschke vorliest, sind teilweise vereinfachend und selektiv, aber größtenteils unproblematisch. Die kritisierte "politische Unkorrektheit" dringt zwischen den Zeilen durch. Die USA-Regierungen machen es einem allerdings auch leicht, ein negatives Narrativ zu spinnen. Kurz aufhorchen lässt die Passage, dass Deutschland die alleinige Verantwortung für den Ersten Weltkrieg zugeschoben worden sei. Doch Plüschke stellt klar, dass es sich dabei um die Meinung des Autors handelt.

Im Vergleich zu Uwe Steimle hält sich der Autor des Buches, Daniele Ganser, an Fakten. Wobei sich ein Historiker und ein selbst ernannter Seismograf sowieso nur schwer vergleichen lassen.

Aber ganz klar: Ganser verunsichert seine Leser bewusst, indem er "nur" Fragen stellt. Vor allem, wenn es um die 9/11-Anschläge geht, wo Ganser alle Ungereimtheiten des Tages und der Berichterstattung zusammengetragen hat.

Zum Haareraufen ist allerdings die anschließende Diskussionsrunde. Ein Gast ist froh, endlich auch mal an einer gelabelten "Verschwörungsveranstaltung" teilzunehmen, und auf einmal wird über die Statik des World Trade Centers diskutiert. Eine Diskussion, an der ich mich nicht beteiligen würde, aber vielleicht war die Frau auch vom Fach. Wer weiß. Bevor die Diskussion die scharfe Abbiegung zur Impfpflicht nimmt, wird die Veranstaltung beendet.

Nein danke! Ich habe mich auf politische Lesungen gefreut, aber scheinbar funktioniert das in Meißen nicht. Vielleicht wäre der Abend konstruktiver verlaufen, wenn er im Vorfeld nicht so aufgeladen worden wäre. Allerdings ging es in vielen Wortmeldungen - wie so oft - darum, die eigene Weltsicht abzuladen.

Dabei bräuchte Deutschlands größtes eintrittsfreies Lesefest gar kein Skandälchen, um überregional für Aufmerksamkeit zu sorgen. Vielleicht klappts ja nächstes Jahr mit Gesellschaftsromanen und Geschichten, statt Geopolitik und Ganser.