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Warum werden gerade so viele Konzerte abgesagt?

Viele Künstler mussten sich während der Pandemie neue Berufe suchen. Wegen Krieg und Inflation trifft es jetzt die, die durchgehalten haben.

Von Marvin Graewert
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Vor der Pandemie tourte Joachim Schäfer durch Europa. Heute werden selbst Konzerte in der Region abgesagt. Der Radebeuler lächelt deshalb erst recht.
Vor der Pandemie tourte Joachim Schäfer durch Europa. Heute werden selbst Konzerte in der Region abgesagt. Der Radebeuler lächelt deshalb erst recht. © Norbert Millauer

Radebeul/Meißen. Konzertabsagen sind längst nichts Ungewöhnliches mehr, doch seit ein paar Wochen werden oft keine Gründe mehr genannt. An Corona kann es also nicht liegen – die Kulturbranche ist damit transparent umgegangen. Über das neue Problem wird nur ungern gesprochen: "Das Letzte, was Kulturveranstalter schreiben, ist, dass zu wenige Karten verkauft werden", sagt die Geschäftsführerin des Theaters Meißen Ann-Kristin Böhme, die sich nun doch zu diesem Schritt durchgerungen hat. Das Konzert am Sonntag mit dem Radebeuler Trompeter Joachim Schäfer samt 12-köpfigem Kammerorchester muss abgesagt werden, weil kaum mehr Karten verkauft wurden, als vor und hinter der Bühne stehen.

Vor Corona hatte Joachim Schäfer das Glück, von seiner Musik zu leben zu können. Mit dem Gedanken, nach der Pandemie wieder durchstarten zu können, hat er die letzten zwei Jahre durchgehalten. Eine Hoffnung, die nun schlagartig zerstört wurde; zwar waren im April Kulturveranstaltungen im Theater Meißen noch gut besucht: "Doch das bricht gerade zusammen", bedauert Böhme: "Selbst Veranstaltungen von Stars werden reihenweise abgesagt." Die Entwicklung sei beunruhigend. "Wir tun unser Bestes, aber wenn die Zuschauer ausbleiben, dann trifft es jetzt die Künstler, die Corona überlebt haben", befürchtet die Theaterchefin.

Schäfer macht das an zwei Ereignissen fest, mit denen keiner gerechnet hat: "Zum einen ist es die Inflation, die wir alle nicht einschätzen können und das andere ist dieser entsetzliche Krieg", sagt Schäfer, der eine Trompete mitgebracht hat, die nicht nur aus einer anderen Zeit stammt, weil sie 150 Jahre alt ist: Damals, als Schäfer die kleine Trompete auf einem italienischen Flohmarkt entdeckte, konnte er nicht einfach daran vorbeigehen, obwohl das Instrument gar nicht richtig bespielbar war. Ein Liebhaberstück. "So was würde ich mir heute nicht mehr leisten", sagt Schäfer, der durchaus nachvollziehen kann, wieso sich der Kauf einer Konzertkarte gleich dreimal überlegt werden muss. Ihm ist es nur wichtig, dass den Zuschauern bewusst wird, was gerade auf dem Spiel steht: Schon vor der Pandemie war die Situation für die meisten Künstler prekär. "Corona hat dieser Veränderung nur richtigen Turbo verpasst." Jetzt sei auch die erhoffte kulturelle Wiederbelebung ausgeblieben.

Kunst oder Arbeit – beides geht nicht

Viele von Schäfers Künstlerkollegen hätten sich längst neue Berufe gesucht und würden zum Beispiel als Musiklehrer arbeiten: "Wer unter der Woche nicht mehr regelmäßig proben kann, ist aus dem Betrieb raus", sagt Schäfer. Das Wochenende brauche man dann sowieso zur Regeneration: "Wer am Montagmorgen wieder in der Schule sein muss und noch ein paar Schularbeiten durcharbeiten muss, kann Samstag und Sonntag nicht auf eine Tournee nach Hamburg fahren", so Schäfer.

Vor der Pandemie bestand Schäfers Alltag darin, durch Europa zu touren. Heute ist auch daran nicht mehr zu denken: Mit dem Organisten Matthias Eisenberg hat sich Schäfer zumindest darauf verständigt, die Konzerte in Mitteldeutschland auch bei schlechtem Karten-Vorverkauf nicht abzusagen. Bis Oktober stehen deshalb noch über 100 Konzerte auf seinem Tourplan. Zum Beispiel am 22. Mai im Schloss Klippenstein oder am 26. Mai in der Ev. Kirche Reinhardtsgrimma in Glashütte – wenn sie denn nicht abgesagt werden.

Wie viel Geld bei diesen Konzerten hängen bleibt, ist fraglich: "Ich habe deshalb schon während der Pandemie mit Schülerkonzerten angefangen und versuche, mit Vorträgen Geld zu verdienen." Die musikalische Erziehung ist allerdings für ihn kein Notnagel: Kurz vor der Wende besucht Schäfer ein Orgel-Trompete-Konzert von Ludwig Güttler und Friedrich Kircheis in Dresden. "Nach dem Konzert hab ich zu meinen Eltern gesagt, ich will auch Trompete spielen", sagt Schäfer, der nun ebenfalls Kinder mit seiner Begeisterung fürs Trompete-Spielen anstecken möchte. Außerdem spielt er viele Konzerte in Kirchen – auf Spendenbasis, damit den Menschen in der Region gerade in diesen unsicheren Zeiten der Zugang zu Musik nicht verwehrt bleibt: "Ein Orchester kann ich da nicht mitnehmen", bedauert Schäfer.

Reihenweise Chöre aufgelöst

Wie es im November und Dezember weitergeht, kann Schäfer nicht einmal abschätzen, weil niemand Weihnachtskonzerte plant, berichtet Schäfer und identifiziert eine andere dramatische Entwicklung: "Die Chöre lösen sich reihum auf, weil man sich zwei Jahre nicht zum Proben treffen konnte und wer das als Hobby macht, der probt ohne seine Gruppe nicht." Die Situation sei einschneidend. Viele städtische, aber auch Kirchenchöre gebe es bald nicht mehr.

Besonders hart trifft ihn allerdings die Absage des "Unerhörte Romantik" Konzerts, das Sonntag seine Premiere gefeiert hätte: Ein Corona-Projekt, für das er zusammen mit dem befreundeten Kammerorchester die Klänge der Tiere imitierte – es wurde vergangenen Sommer nur einmal in Norddeutschland aufgeführt: Damals habe das Publikum mit Freudentränen in den Augen im Publikum gesessen: "So was hab ich noch nie erlebt. Nach dem Konzert kamen die Zuschauer mit Masken auf die Bühne, hielten die Luft an und haben uns umarmt. Das kann nicht nur an der Situation mit Corona gelegen haben", ist sich Schäfer sicher, dem nun immer wieder Erinnerungen an seine Studienzeit hochkommen, als die Älteren erzählt hätten, wie wichtig das Musizieren gewesen sei, um die Gefangenschaft zu überleben: "Damals hab ich das nicht so ganz verstanden. Aber in diesen schweren Zeiten weiß ich ganz genau, was sie damals meinten."