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Seniorenbeauftragte Meißen: "Wir stehen vor einer Katastrophe!"

Die Kosten sind deutschlandweit gestiegen, trotzdem behauptet eine Studie, den Rentnern im Osten gehe es gemessen an ihrer Kaufkraft besonders gut. Warum das nicht der Fall ist, erklärt die Seniorenbeauftragte in Meißen.

Von Natalie Stolle
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Senioren würde es im Osten besser gehen, titelte eine Studie. Warum das nicht unbedingt stimmt, erklärt die Seniorenbeauftragte in Meißen.
Senioren würde es im Osten besser gehen, titelte eine Studie. Warum das nicht unbedingt stimmt, erklärt die Seniorenbeauftragte in Meißen. © Claudia Hübschmann

Landkreis Meißen. Der Ausspruch: „Im Osten sind die Mieten geringer, also ist das Leben dort auch günstiger“, hält sich hartnäckig in der Bevölkerung. Eine Studie zum finanziellen Leben von Rentnern bekräftigt das ebenfalls. Das Wirtschaftsforschungsunternehmen Prognos hat im Auftrag des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft im Januar eine Studie veröffentlicht, die belegen soll, dass die Kaufkraft der Rentner in Ostdeutschland besonders gut ausgeprägt sei. Die Rente sei im Osten besonders hoch, die Preise und Mieten gering, daher zieht die Studie daraus Schlussfolgerungen, dass Rentner im Osten besonders viel von ihrem übrigen Geld nutzen können.

Die Zahlen beziehen sich noch auf das Jahr 2021 und berücksichtigen keinerlei Kapital- und Mieteinkünfte oder private Rentenbezüge. Für die Studie wurden regionale Lebenserhaltungskosten und Rentenhöhen von 400 Landkreisen und kreisfreien Städten verglichen, die Ergebnisse überraschen jedoch. So kommt der Landkreis Meißen für 2021 auf einen Rentenbetrag von 1.166 Euro und auf einen Kaufkraftwert von 1.314 Euro. Damit steht Meißen an sechster Stelle und noch vor Dresden.

Für viele ist der Eintritt in die Rente ein Schock

„Es ist für mich nicht wirklich nachvollziehbar, was damit gesagt wird“, so Sabine Murcek, Gleichstellungs- und Seniorenbeauftragte der Stadt Meißen. „Zusätzliche Einkünfte werden nicht berücksichtigt, wir haben da aber einen deutlichen Unterschied zwischen Ost und West. Im Osten, wo die Situation eine ganz andere ist, was Vermögen betrifft. Andere Lebenssituationen, Lebensbrüche oder Möglichkeiten der Einzahlung in die Rente – das wird ja gar nicht betrachtet.“

Sie ist selbst in der Beratung von Rentnern im Landkreis aktiv sowohl als Seniorenbeauftragte der Stadt als auch als Mitglied im Verein Gemeinnütziger Sozialer Förderkreis (GSF), der auch einige Projekte mit und für Rentner anbietet. Sie berichtet, momentan würde die Rente im Landkreis um die 1.200 Euro betragen, was sowohl die Studie als auch der Rentenatlas belegen. Doch, was die Prognos-Studie außen vor lässt und was Murcek auch anprangert, ist die Inflation, die in der Studie keinerlei Erwähnung findet. „Wenn man die Abzüge mit bedenkt, bleiben hier im Landkreis vielleicht noch 1.000 Euro übrig. Was sind heute noch 1.000 Euro?“, fasst sie zusammen.

Der Eintritt in die Rente sei für viele auch ein Schock, erzählt sie aus Erfahrung. Trotz jahrzehntelanger Arbeit würde das Geld nicht mehr reichen, einige würden, wenn es die Gesundheit zuließe, auch noch nebenbei versuchen Geld zu verdienen. Obwohl sie eigentlich in Rente sind. Im letzten Jahr seien auch viel mehr Leute zur Beratung zu ihr gekommen, berichtet Murcek. „Die Situation ist schlechter geworden. Man muss finanziell viel mehr rechnen, um über die Runden zu kommen.“

Niedrige Mieten aber gestiegene Kosten

Problematisch sei aber auch die Scham, die manche ältere Menschen verspüren würden. Viele würden erst zur Beratung gehen, wenn die Situation schwierig würde. „Die Menschen sagen, ich will doch nicht betteln, ich will doch allein klarkommen. Aber dann kommt halt der Punkt, wo sie doch fragen müssen wegen Wohngeld oder ob sie Chancen auf einen Zuschuss haben“, so Murcek.

Auch die Mieten und der Wohnraum in Meißen sei bei Weitem nicht so, wie die Studie das darstellen würde, erklärt Murcek. „Auch, wenn wir im Landkreis niedrigere Mieten haben, haben wir ja genauso die Energie-, Strom, Lebensmittel und Mobilitätskosten. Es ist doch alles teurer geworden!“ Selbst die Tafel in Meißen sei schon komplett ausgelastet und würde keine Bewerber mehr annehmen, berichtet Murcek.

"Es ist mir ein Rätsel wie das gelöst werden soll"

Die Stadt Meißen tut momentan schon einiges für die Ältesten, das ist Murceks Eindruck, aber die Lage der Rentner sei deswegen trotzdem keineswegs gut. Menschen, die sich dem Rentenalter nähern, sollen ihrer Meinung nach das Beratungsangebot frühzeitig nutzen, um zu schauen, was möglich ist.

In die Zukunft blickt sie jedoch eher pessimistisch. „Wir stehen hier vor einer Katastrophe“, bringt sie es auf den Punkt. „Der Arbeitsminister Hubertus Heil hat gesagt: Bis 2025 sind die Renten sicher, das bedeutet, sie sind es nur noch dieses Jahr. Es ist ein Debakel schlechthin und dass man davor die Augen verschlossen hat, das ist für mich nicht nachvollziehbar.“

Viele Menschen würden mittlerweile auch merken, dass die Rente eben nicht mehr sicher ist, so Murcek. In den nächsten zehn Jahren würden mehr Rentner dazu kommen, die Anzahl der Erwerbstätigen würde aber perspektivisch abnehmen. "Mit Blick auf die Rentensituation müssen die Karten auf den Tisch. Es ist mir ein Rätsel, wie das gelöst werden soll", fasst Murcek die Situation zusammen. Die Prognos-Studie selbst zieht lediglich ein Fazit. Das Einzige, was die niedrige Rente im Alter aufbessern könnte, sei eine frühzeitige private Vorsorge.