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Mit Händen und Füßen nach oben

Klettern ist in Sachsen ein Volkssport. Manche Bergsteiger werden wie Helden verehrt - zum Beispiel Bernd Arnold aus Hohnstein. Der 68-Jährige gibt seine Erfahrungen im Fels weiter.

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Luise Binder

Hohnstein/Rathen. Die Beine angewinkelt sitzt Sigrid Engel auf dem Gestein. An ihren Kletterschuhen klebt Sand. Trotz der schwülen Luft ist es kühl zwischen den Felsen. Die Hälfte der gut 60 Meter langen Route hat sie geschafft. Jetzt schaut sie ihrem Vorsteiger zu. Bei jedem Tritt rieselt etwas Sand herunter. Dennoch sind die Schritte von Bernd Arnold nicht zu hören - er klettert barfuß. Über seiner Schulter hängen mehrere bunte Schnüre und Bänder von verschiedener Dicke. Arnold nimmt eine Schnur in die Hand und bindet einen Knoten. Den klemmt er ins Gestein und zieht die Schlinge nach unten. So verklemmt sich die Schlinge im Fels und Arnold kann sein Sicherungsseil mit einem Karabiner daran befestigen.

Kletter Bernd Arnold sortiert seine Kletterseile. Klettertechniken und Hilfsmittel, die andernorts erlaubt sind, gelten im Elbsandsteingebirge als verboten.
Kletter Bernd Arnold sortiert seine Kletterseile. Klettertechniken und Hilfsmittel, die andernorts erlaubt sind, gelten im Elbsandsteingebirge als verboten. © dpa
Arnold klettert seit vielen Jahren - und am liebsten barfuß.
Arnold klettert seit vielen Jahren - und am liebsten barfuß. © dpa

In Sachsen ist Klettern nicht nur Sport. Wer in der Sächsischen Schweiz klettern will, muss kreativ sein. Es gibt keine Bohrhaken, an den ein Sportler alle paar Meter „sein Leben hängen kann“. Viele sächsische Kletterer basteln sich ihre Sicherungen selbst. Dazu fädeln sie Schlingen durch Felslöcher, klemmen sie zwischen das Gestein oder legen sie über herausragende Gesteinsköpfe. Hilfsmittel wie Klemmkeile aus Metall sind nach sächsischen Kletterregeln verboten. „Das Besondere im Elbsandstein ist das Freiklettern“, sagt Arnold, eine Kletterikone. Freiklettern bedeutet das Klettern mit Händen und Füßen - ohne künstliche Hilfsmittel. „Anders als in den Alpen ist das in der Geschichte kontinuierlich bestehen geblieben“, so Arnold.

„Vor so etwas habe ich echt Schiss“

Bisher kletterte Sigrid Engel nur in Hallen, jetzt wollte sie fern von künstlichen Klettergriffen echten Fels anfassen. Da soll ein einwöchiger Kurs bei Kletterprofi Arnold helfen. Doch die Höhe und Länge der Route lassen ihre Handflächen schwitzen. „Vor so etwas habe ich echt Schiss“, sagt sie und meint damit das Klettern in einer Seilschaft. Dabei klettert eine Gruppe nacheinander eine Route bis alle auf dem Gipfel sind. Dann seilen die Bergsteiger nacheinander ab. Toprope, das Klettern mit einem Seil von oben, wäre ihr lieber. Das kennt sie aus der Halle. Engel steht auf. „Du kannst kommen.“ Die Stimme Arnolds bahnt sich den Weg durch die Risse des Elbsandsteins.

Wie Engel geht es vielen Kletterern, die das erste Mal in der Sächsischen Schweiz sind. Klettertechniken und Hilfsmittel, die andernorts erlaubt sind, gelten im Elbsandsteingebirge als verboten. Methoden wie das Toprope-Klettern sehen die Sachsen nicht gern. Toprope ist eine Sicherungsmöglichkeit im Klettersport. Dabei läuft das Seil durch die oberste Sicherung der Route. In einem Seilende ist der Kletterer eingebunden, in der anderen Seilhälfte sichert der Partner mit einem Sicherungsgerät. Dabei kann es vorkommen, dass das Seil ungünstig auf dem Fels reibt und diesen beschädigt.

Heute gibt es ein Regelwerk

Die weltweit ersten verbindlichen Kletterregeln schrieb der Rechtsanwalt Rudolf Fehrmann vor etwa 100 Jahren nieder. Der Sachse kletterte selbst vor allem im Elbsandstein. Schon damals sollte die Oberfläche des Felsens gewahrt und Sicherungsringe nur bei der Erstbegehung in den Fels geschlagen werden. „Als Fehrmann die Regeln aufschrieb war das vielleicht eine Seite in DIN A5“, sagt Arnold: „Heute gibt es ein ganzes Heft.“

„Wir klettern jetzt den Hartmannweg, den der Gefängnisbauer Friedrich Hartmann 1886 erstbegangen hat“, sagt Arnold zu seiner Seilschaft am Fuße des Gipfels Vorderer Gansfels. Der gelernte Buchdrucker legt Wert auf die Klettergeschichte der Region und will diese auch seinen Kursteilnehmern näher bringen. „Wer die Geschichte kennt, der klettert ganz anders“, ist sich Arnold sicher. Während er sein Material zusammensucht, blättern einige Teilnehmer im Kletterführer. Eine Wegbeschreibung gibt Arnold als Erstbesteiger an.

Arnold ist längst selbst ein Teil der sächsischen Klettergeschichte geworden. Hunderte Erstbegehungen gehen auf sein Konto. Noch immer klettert der 68-Jährige in höchsten Schwierigkeiten und gibt Kletterkurse. „Ich bin der Letzte, der die Tradition nicht hochhält“, sagt Arnold. Zugleich wolle er aber auch offen sein für andere Spielarten seines Lieblingssports. Ob er für eine Lockerung der Kletterregeln in Sachsen eintrete? Er blickt über den dünnen Goldrand seiner runden Brille. „Ich bin für eine Erweiterung der Regeln“, sagt der Bergsteiger und muss nicht lange überlegen. Schließlich beschäftigt ihn diese Idee schon lange.

An frei stehenden Türmen sollten die Regeln weiter gelten wie bisher, sagt Arnold. „Dafür soll der Sächsische Bergsteigerbund (SBB) aber durchaus großzügig dem neuen Trend, dem Sportklettern, Rechnung tragen.“ Nach Angaben des SBB machen die Felstürme zwischen zwei bis fünf Prozent der Gesamtfläche aus. Es gebe also noch genug Felsen, die Sportkletterer nutzen könnten, findet Arnold. Seine Ausführungen zielen auf die Massive ab. An den nicht frei stehenden Felsmassen ist Klettern jedoch verboten. „Nur weil das ein Gesetz ist, müssen wir die Augen nicht vor menschlichem Denken verschließen“, sagt Arnold.

Wunsch nach mehr Kletterfläche

Constance Jacob vom SBB versteht diese Forderung. Der Wunsch nach mehr Kletterfläche sei vorhanden. Als Aktive freut auch sie sich über neue Gipfel mit neuen Wegen. So wird es vielen der knapp 12 000 SBB- Mitglieder gehen. Doch der Naturschutz gebietet den Kletterern Einhalt. „Wenn wir noch mehr Fläche verlangen würden, besteht die Gefahr, dass uns mehr Einschränkungen erwarten“, sagt Jacob. Schließlich sei ein Teil der Sächsischen Schweiz Nationalpark: „Der Park steht immer unter Druck der EU, mehr Ruhezonen einzurichten“. Zudem habe eine Meinungsumfrage des SBB gezeigt, dass die Mehrheit mit der aktuellen Situation zufrieden ist. Nur acht Prozent legten Wert auf die Öffnung der Massive. Fast der Hälfte der 2 500 Befragten lag der Erhalt der Traditionen mehr am Herzen.

Bei vielen auswärtigen Kletterern stoßen derartige Diskussionen auf Unverständnis. „Ich bin nur wegen der Felsen hier. Der Rest ist Theorie“, sagt Herbert Meindl, ein Teilnehmer an Arnolds Kletterkurs, und blickt sich um. Wie Kleckerburgen ragen Sandsteintürme zwischen den Bäumen hervor. Doch auf dem Gipfel des Vorderen Gansfelsens erwartet die Kletterer nicht nur eine atemberaubende Aussicht. Es regnet. Die Bergsteiger verschwenden keine Zeit. Sie verzichten auf einen Eintrag ins Gipfelbuch ein und seilen sich schnell wieder ab. Nicht Angst vor nassen Klamotten zwingt sie zur Eile. Feuchter Sandstein ist brüchig, weshalb bei Regen das Klettern nicht erlaubt ist. Den Fels zu schonen ist ein Anliegen des SBB und Arnolds. Die Frage, wie man einen Gipfel erklimmen darf, scheint Arnold eher lästig: „Es ist doch ganz einfach: Du hast Hände und Füße und du musst hoch.“ (dpa)