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Neustadts Raritäten kommen unter Verschluss

Nur noch bis zum 31. Oktober ist das Stadtmuseum in Neustadt geöffnet. Hier ein letzter Blick auf originelle Erinnerungsstücke.

Von Anja Weber
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Diese Reproduktion zeigt eine historische Aufnahme vom legendären Café Wochenpost am Markt in Neustadt.
Diese Reproduktion zeigt eine historische Aufnahme vom legendären Café Wochenpost am Markt in Neustadt. © Repro

Die Querelen um ein neues Museum in Neustadt laufen seit Jahren. Bislang ist es nicht gelungen, einen neuen Ausstellungsort für Neustadts Geschichte festzuzurren. Viel wurde geredet, konkret wurde nichts. Bis auf eins. Die Stadtverwaltung hatte dem Stadtrat vor der Sommerpause vorgeschlagen, die Einrichtung aus wirtschaftlichen Gründen zu schließen, und zwar schon ab dem 31. Oktober. Das wurde mehrheitlich auch so angenommen. Dann werden die historischen Exponate für viele Jahre nicht zu sehen sein. Erst in zehn Jahren könnte in Neustadt wieder ein Museum öffnen, so die Pläne der Stadt. Zum Abschied hat die SZ gemeinsam mit Museumsleiterin Ulrike Hentzschel einige für Neustadt ganz typische Gegenstände und Geschichten zusammengestellt und präsentiert sie hier.

Um das ehemalige legendäre Café Wochenpost am Markt kommt man nicht herum beim Blick in die Geschichte. Es galt als Treffpunkt für Schriftsteller und Literaturfreunde. Im Oktober 1959 wurde es eröffnet. Beliebt bei den Gästen waren nicht nur die Lesungen, sondern auch das Eis, der Kuchen und das Ragout fin, wenn man Überlieferungen glauben kann. Die Idee für ein Lesecafé hatten Herta Steinert, die damalige Bibliotheksleiterin, und Rudolf Maschke, der beim Rat der Stadt gearbeitet hatte.

Eine Speisekarte aus dem legendären Café Wochenpost am Markt in Neustadt.
Eine Speisekarte aus dem legendären Café Wochenpost am Markt in Neustadt. © Stadtmuseum

Das Prinzip ist einfach: Ein Leseraum, in dem man in aller Ruhe in Büchern stöbern, lesen und dazu Kaffee trinken konnte, ohne das Buch auch kaufen zu müssen. Gelesen hatten die beiden das in der DDR-Zeitschrift "Wochenpost" - daher auch der Name. Im November 1989 war Schluss mit dem Lesen. Das Café wurde noch bis 1994 privat weiterbetrieben. Neben Plakaten und Fotos ist im Museum noch eine Speisekarte zu sehen. Heute befinden sich in dem Gebäude Geschäfte, Büros und Wohnungen.

Wie Hempels modernes Tanzcafé Olivia zur HO-Kneipe wurde

Rund um Neustadts Markt reihten sich offenbar Geschäfte und Gaststätten aneinander. Diesen Eindruck dürfte man zumindest bei einem Blick auf die Lieblingsplätze der Neustädter haben. Ulrike Hentzschel fallen da gleich mehrere bekannte Namen ein. Allen voran Familie Hempel, welche die Schankwirtschaft mit Bäckerei an der Ecke Markt/Böhmische Straße betrieben hatte. Später in Neustadt auch als HO-Kneipe "Ecke" bekannt. So manches Eheglück der Neustädter dürfte in der Tanzbar seinen Ursprung haben.

1852 erwarb der Bäcker Ernst Ferdinand Hempel die Schankwirtschaft und Bäckerei an der Ecke Markt/Böhmische Straße. Neben der Bäckerei und der beliebten Schankwirtschaft betrieb er außerdem noch ein erfolgreiches Kutsch–Fahrgeschäft. 1882 starb Ernst Ferdinand Hempel und am 1. Januar 1883 übernahm seine Witwe Marie das Geschäft. Ihr folgten Carl Ernst Hempel und Karl Bruno Hempel.

Das Café hatte damals schon den klangvollen Namen "Olivia". Im Jahr 1909 entschloss sich Bäckermeister Karl Bruno Hempel zum Abbruch des alten Gebäudes und errichtete einen mehrstöckigen Neubau, in dem im Erdgeschoss das neue Café entstand. 1929 endete der Bäckereibetrieb und die Bäckermeisterwitwe Margarethe Hempel veranlasste einen Umbau der Innenräume zu einem modernen Konzert- und Tanzcafé.

Ab September 1945 begannen wieder die Nachmittags- und Tanzabende. Meist spielten dreiköpfige Kapellen, weil für Kapelle und Tänzer insgesamt nur begrenzt Platz zur Verfügung stand. Arthur Hempel verließ mit seiner Frau und seinem Sohn die DDR, später ging auch sein Bruder Rudolf. Damit einher ging die Aufgabe des Geschäftes im Jahr 1955.

Unschwer zu erkennen: Aus diesen Kännchen wurde im Café Hempel oder später "Olivia" der Kaffee ausgeschenkt.
Unschwer zu erkennen: Aus diesen Kännchen wurde im Café Hempel oder später "Olivia" der Kaffee ausgeschenkt. © Stadtmuseum

Kleine und große Industriegeschichte

Die Produkte aus der Töpferei Tittel stehen oder standen nicht nur in den Regalen der Neustädter. Ihre Töpferwaren waren in der gesamten Region beliebt und zu DDR-Zeiten auch ziemliche Raritäten. Die Werkstatt des Familienbetriebs befand sich am Rugiswalder Weg. Verkaufstage wurden zu DDR-Zeiten an Aushängen bekannt gegeben. Und da die Waren schnell vergriffen waren, standen sich die Kunden schon in den frühen Morgenstunden die Beine in den Bauch, um einen der berühmten Krüge, eine Vase, Schale oder andere Gebrauchsgegenstände zu ergattern. Zu Hause wurden diese dann wie ein Schatz gehütet.

Das waren die begehrten Produkte aus der Töpferei Tittel in Neustadt.
Das waren die begehrten Produkte aus der Töpferei Tittel in Neustadt. © Stadtmuseum

Neben den kleineren Handwerksbetrieben schrieb Neustadt auch die ganz große Industriegeschichte, und zwar mit dem Landmaschinenbau. Der VEB Kombinat Fortschritt Landmaschinen war in der DDR einer der größten Kombinate überhaupt. Hier entstanden unzählige Typen von Landmaschinen, der Anspruch des Betriebs waren hohe Qualität und Robustheit. Während Fortschritt längst Geschichte ist, fahren die Landmaschinen in einigen Ländern der Erde heute noch über die Felder. Mit einem neuen Museum wollte man eigentlich auch die größeren Neustädter "Produkte" mit zeigen. Ob dies jemals möglich sein wird?

Da noch immer kein Platz für die große Schau an Landmaschinen gefunden, müssen es Modelle für das Museum richten.
Da noch immer kein Platz für die große Schau an Landmaschinen gefunden, müssen es Modelle für das Museum richten. © Stadtmuseum

Das Goll'sche Rad

Bei den verschiedensten Festen drehten die Neustädter immer wieder am "Goll'schen Rad". Daraus entwickelten sich tatsächlich immer wieder sehenswerte, lustige und spannende Wettkämpfe. Die Geschichte, die dahinter steckt, ist eine ähnliche. Das Goll'sche Rad wurde vom Handwerker Michael Goll aus Neustadt gefertigt, der mit seinen Innungsbrüdern eine Wette eingegangen war. Er behauptete, dass er in der Zeit von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang ein großes Wagenrad fertigen könne und es einhändig nach Dresden rolle, dort verkaufe und vor Sonnenuntergang den Gewinn auf den Kopf hauen könnte. Das gelang ihm und er war sternhagelvoll. Die sonderbare Wette verbreitete sich wie ein Lauffeuer.

Mit dem Goll'schen Rad schrieb ein Neustädter Handwerker Geschichte.
Mit dem Goll'schen Rad schrieb ein Neustädter Handwerker Geschichte. © Stadtmuseum

Das letzte Geschenk vor der Schließung

Eine weitere Rarität ist bereits in mehreren Kisten verstaut. Nur ein Foto existiert vom "Neustädter Leuchter". Alles daran ist in echter Handarbeit entstanden. De vielen kleinen Figuren wurden alle von Fritz Winkler aus dem Neustädter Ortsteil Polenz geschnitzt. Seine Frau Christa hat sie liebevoll bemalt.

Dieser Neustädter Leuchter ist Handarbeit und gehört zu den letzten Schenkungen.
Dieser Neustädter Leuchter ist Handarbeit und gehört zu den letzten Schenkungen. © Stadtmuseum

Die einzelnen Bilder geben Einblick in die Neustädter Gewerke und das Leben in der Stadt. So sind unter anderem Bierbrauer, Kunstblumenarbeiterinnen, Töpfer, Zimmerleute, Drechsler und Bergleute zu sehen. Fritz Winkler hat den Leuchter vor kurzer Zeit an das Stadtmuseum übergeben - wann man das Original sehen kann, bleibt zunächst unklar. Die Fotos davon zeigt die Museumsleiterin aber sicherlich gerne.