Vier alte Damen stehen am Sportplatz von Oberschlottwitz. Dass sie nicht zum Sport machen hier sind, ist offenkundig. Große Taschen baumeln an den Handgelenken, darin die Portmonees und die Einkaufszettel. Fehlt nur noch der Laden. Noch ist nichts zu sehen. Aber der Laden wird kommen, Viertel nach zwei. Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche. "Für uns Schlottwitzer ein ganz großer Segen."
Der Segen kommt in Zitronengelb
Und da kommt der Segen angefahren. Er ist zitronengelb und von Mercedes. "Pflug's mobile Frische" steht darauf. Gesteuert wird er von Kersten. Das weiß Marlene Brand, 81 und Stammkundin, schon längst. Weil es ganz groß über dem Verkaufsfenster steht. Seit Neustem sagt sie wirklich du zu ihm. Kersten ist sehr freundlich. Und er hat alles, was sie braucht. Alles? Sie lacht. "Das sieht man dem Wagen gar nicht an, wie viel da reinpasst."
Mobile Läden sind nichts Besonderes auf dem Land. Pflug's ist die Ausnahme. Es ist so ziemlich der einzige Lieferdienst, der den Warenbestand eines kleinen Supermarkts durch die Gegend fährt. Auf zehn Touren zwischen Dresden, Leipzig und Chemnitz bringt Pflug's das zu den Leuten, was sie vor ihrer eigenen Haustür nicht mehr zu kaufen kriegen, vom Apfel bis zur Zahnpasta.
Wiedersehensfreude an der Ladenluke
Firmenchef Steve Weiner nennt es "Home Shopping analog". Der Vogtländer, der studierter BWLer ist und lange in der Medizintechnik unterwegs war, führt Pflug's mit Sitz in Schleinitz in der Lommatzscher Pflege seit fünf Jahren. Das Konzept der rollenden Tante-Emma-Läden soll den Menschen wieder ein "reales Einkaufserlebnis" verschaffen, sagt er, als Gegenentwurf zu den Weiten der Discounterhallen und des Internets. Das kommt an, sagt er. "Die Leute finden den Service genial."
In Oberschlottwitz hat Kersten Vießmann seinen Wagen geparkt, Seitenwand und Ladentisch aufgeklappt und sich selbst im Fensterchen postiert. Es wird geschnattert und gescherzt. Wiedersehensfreude. Vießmann kennt praktisch jeden Kunden, wenigstens das Gesicht, oft auch weit mehr, ganze Lebensgeschichten. Er weiß, dass sein Auftauchen für viele ein Highlight ist. Er will seine Kunden zufrieden machen. "Wenn die Kunden zufrieden sind, ist der Tag gerettet."
Ein bisschen quatschen tut gut
Zum Beispiel der Tag von Marlene Brand. Sie kauft Obst und Gemüse, Brot, Butter, Kekse, Kapern, ein Suppenhuhn samt passenden Nudeln, Kaffeesahne und Buttermilch. Außerdem vier Kisten Eier. Sie kocht täglich, bäckt viel, abends kommt immer ein Salat auf den Tisch. Frau Brand wohnt nur ein Stück die Straße rauf. Warum soll sie dieses Angebot nicht nutzen? "Bequemer geht es doch gar nicht."
Es geht ihr aber nicht nur um die Bequemlichkeit. Es geht ihr auch um die Begegnung, darum, die Neuigkeiten auszutauschen oder auch mal ein Kochrezept. Sie könnte sich ins Auto setzen, mit ihrem Mann zum Netto fahren. Macht sie auch. Aber da steigt man eben vor der Haustüre ein, und dann wieder vor der Haustüre aus. "Wenn man ein bisschen quatschen kann, tut das gut."
Große Märkte sind zu weit weg
Einkaufen geht in Schlottwitz auch ohne mobile Emma. Mit Penny und Netto gibt es gleich zwei Discounter im Dorf. Nur: Schlottwitz ist lang, und beide Kaufhallen stehen am unteren Ende, anderthalb bis zwei Kilometer entfernt von den Oberschlottwitzern. Leere Einkaufstaschen hintragen ginge vielleicht noch an, sagt Frau Brand. Aber die vollen zurück schleppen? "Das wäre unmöglich."
In Oberschlottwitz stehen viele Wohnblocks der Genossenschaft. Etliche Mieter leben hier seit Anfang der 1960er, waren in der Feinmechanik oder im Uhrenbau beschäftigt. Jetzt sind sie um die Achtzig und kaum noch mobil. Ingeborg Roskosch zum Beispiel, 83, ist stark sehbehindert. "Wie soll ich da runter einkaufen gehen", fragt sie, an die großen Läden im Unterdorf denkend. "Das schaffe ich nicht."
Sorge, wenn ein vertrautes Gesicht fehlt
Der Bus ist Frau Roskosch zu riskant. Erst neulich ist sie im Bus gestürzt, weil sie einen Absatz übersah. Und die Müglitztalbahn? Auch ein Stück zu laufen bis zum Haltepunkt. So ist Pflug's Wagen für sie die Rettung. Viel hat sie nicht im Beutel. Brot, Butter, Walnüsse, Tunfisch in Dosen, einen Camembert. Überfluss ist ihr fremd. Als Kriegskind kann sie bis heute auch nichts wegwerfen. "Wenn man sieht, was manchmal in der Tonne landet, könnten einem die Tränen kommen."
Verkäufer Vießmann hat den ersten Andrang gebändigt. Aber es geht weiter. Er kennt seine Pappenheimer. "Ein paar fehlen noch." Wenn jemand länger nicht kommt, macht er sich seine Gedanken, ob vielleicht etwas passiert sein könnte. So wird er am nächsten Haltepunkt von einer Oma, die lange ausblieb, erfahren, dass sie sechs Wochen im Krankenhaus lag, mit Lungenentzündung, und fast gestorben wäre.
Wie erwartet: Gegen drei wird es noch einmal betriebsam vor der Ladenluke. Auch der alte Uhrmacher Werner Briesemann ist da, mit einem selbst gereimten Loblied auf den gelben Wagen. "Ob Sonne, Regen, Schnee oder Wind, Pflug's Mobil kommt ganz bestimmt", deklamiert er, um anschießend ungarische Salami und Hering in Sahne zu ordern.
Pflug's-Chef sieht gigantisches Potenzial
Kersten Vießmann, eigentlich gelernter Bäcker, ist seit 25 Jahren mit dem rollenden Supermarkt auf Achse. "Silberhochzeit", scherzt er. Was auch gewünscht wird - zielsicher greift er an die Orte seines gedrängten Universums, wo das Verlangte lagert. Über 2.000 Artikel hat er an Bord. Seit Corona sind es noch mehr geworden. Neue Kunden mit neuen Wünschen kamen dazu. Nicht alle konnte er gleich erfüllen. Aber Toilettenpapier, sagt er, gab es immer.
Die mobile Tante Emma hat Zukunft. Daran glaubt Pflug's-Chef Steve Weiner fest. Nach den kleinen Dorfläden schließen auch schon manche Discounter wieder, sagt er. So wie in Schlottwitz. Penny will Anfang des nächsten Jahres dicht machen. Kein Platz für die neuen Verkaufskonzepte, ist die Begründung. Umso mehr Platz für Pflug's. "Es gibt so viele weiße Flecken, wo wir noch gar nicht sind", sagt Weiner. "Ein gigantisches Potenzial."
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