SZ + Pirna
Merken

Als in Pirna Geschäfte zerstört wurden - und keiner eingriff

Pirna gedenkt der Pogromnacht vom 9. November 1938. Der Verein Akubiz lädt zu Veranstaltungen ein.

Von Mareike Huisinga
 4 Min.
Teilen
Folgen
NEU!
Das Geschäft von Wolf Jurmann am Markt 14 in Pirna wurde in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 zerstört. Eine Gedenktafel erinnert heute an die Gewalt gegen Juden.
Das Geschäft von Wolf Jurmann am Markt 14 in Pirna wurde in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 zerstört. Eine Gedenktafel erinnert heute an die Gewalt gegen Juden. © Norbert Millauer

Der 9. November 1938 ist ein schwarzer Tag in der deutschen Geschichte. Damals brannten Synagogen, Juden wurden verhaftet und ermordet, Geschäfte sowie Wohnungen geplündert und zerstört. Auch den Pirnaer Juden wurde Gewalt angetan.

In den Morgenstunden des 10. Novembers schlugen SA-Trupps die Schaufensterscheiben des Herrenkonfektionsgeschäftes von Wolf Jurmann am Pirnaer Markt ein. Gegenüber dem jurmannschen Geschäft besaß Herr Weiner ebenfalls einen Laden. Auch er war Jude. Man hatte ihm ebenfalls in der Nacht die Schaufensterscheiben eingeschlagen und überall "Jude" auf die Scheiben geschmiert.

Zahlreiche Schaulustige standen am Morgen vor den Geschäften. Wolf Jurmanns Sohn Esra erinnert sich mit folgenden Sätzen an das Unfassbare. Er schreibt: „Ich ging am 10. November 1938, nachdem ich der Schule verwiesen wurde, in das Geschäft meines Vaters. Am Morgen, als ich in die Schule kam, bekam ich ‚Blicke‘, neugierig, interessiert, anders als sonst. Als Herr Gulemann, der Klassenlehrer, mich nach Hause schickte, wußte ich, daß etwas Außerordentliches geschehen war. Was, wußte ich nicht. Ich überhörte ein Geflüster, irgendetwas mit ‚der Laden‘. Meine ‚Beurlaubung‘ war einfach, daß Herr Gulemann mir sagte, ich könne nach Hause gehen und mir einen Brief für meinen Vater mitgab. Als ich die Schloßstraße hinunterging, sah ich, außer einer Menschenmenge bei unserem Geschäft, nichts. Als ich dann über den Markt ging und näher am Laden war, sah ich die zertrümmerten Scheiben. Meine Eltern waren im Geschäft. Die Menschen gafften und sagten nichts."

Dieses Bild zeigt den Pirnaer Wochenmarkt und das Geschäft von Wolf Jurmann um 1930.
Dieses Bild zeigt den Pirnaer Wochenmarkt und das Geschäft von Wolf Jurmann um 1930. © Sammlung Jensch

Mutter wird im KZ erschossen

Nach den Ausschreitungen am 9. November wurden die männlichen Juden in das Konzentrationslager Buchenwald deportiert. Tausende wurden dort inhaftiert. So auch Wolf Jurmann aus Pirna. Seine Frau und die beiden Söhne mussten Pirna verlassen und in ein sogenanntes Judenhaus nach Dresden ziehen. Wolf Jurmann wurde erst wieder freigelassen, nachdem seine Frau die Verkaufsverhandlungen für sein Geschäft zu Ende gebracht und sie die Versicherung abgegeben hatte, Deutschland zu verlassen. Jurmann konnte daraufhin zunächst zu seiner Familie nach Dresden zurückkehren.

Es war damals nicht einfach, als Jude in einem anderen europäischen Land unterzukommen. Schließlich gelang es ihm aber 1939, nach England überzusiedeln, wo er den Nachzug seiner Familie vorbereiten wollte. Dazu kam es indes nicht. Mutter und die beiden Söhne wurden 1942 in das Ghetto nach Riga und später in das Konzentrationslager Kaiserwald bei Danzig deportiert. Die Mutter wurde bei einer Selektion erschossen. Die beiden Brüder haben die Räumung des Lagers überlebt, aber Esras älterer Bruder starb bei dem anschließenden Todesmarsch. Esra selbst überlebte und konnte sich zu seinem Vater nach England durchschlagen. Er verstarb 2014.

Verein Akubiz will an das Unrecht erinnern

Dieses Unrecht soll nicht vergessen werden. Zum Gedenken an die Novemberpogrome 1938 in Pirna lädt das Alternative Kultur- und Bildungszentrum (Akubiz e.V.) am Dienstag, dem 7. November, zu einem Stadtrundgang auf den Spuren ehemaliger jüdischer Pirnaer ein. Der Rundgang führt durch die Pirnaer Innenstadt. Eine Station der Tour wird bei Rosalie und Max Goldschmidt in der Schloßstraße 13 sein, die hier ab Oktober 1879 ein Geschäft für Schnitt- und Modewaren betrieben. Ebenfalls in Pirna lebte die Schwester von Max Goldschmidt, Helene. Sie heiratete David Rosam und zog mit ihm 1888 aus Dresden nach Pirna. Dort wohnten sie Am Markt 16, einer weiteren Station auf dem Stadtrundgang. Ihr Sohn Hugo wurde 1890 in Pirna geboren.

Außerdem findet am 9. November eine Gedenkveranstaltung in Pirna statt. Auch diese wird vom Verein Akubiz organisiert.

Im Rahmen der „Aktionswochen gegen Antisemitismus“, die seit 2003 jährlich um den 9. November durch die Amadeu Antonio Stiftung veranstaltet werden, beteiligt sich der Verein Akubiz seit mehr als 15 Jahren mit eigenen Veranstaltungen vor Ort im Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge.

Weitere Informationen zu zerstörten jüdischen Geschäften in Pirna am 9/10. November 1938 stehen unter gedenkplaetze.info.

Gedenken an die Novemberpogrome 1938 in Pirna

  • Stadtrundgang "Jüdisches Leben in Pirna", 7. November, 17 Uhr, Treffpunkt Kulturkiste Pirna, Schössergasse 3, Pirna
  • Gedenkveranstaltung: 9. November, 17.30 Uhr, Gedenktafel Familie Jurmann, Am Markt 14, Pirna