Gemächlich tanzen weiße Flocken an diesem eisigen Montagmorgen durch die Luft. Der Himmel präsentiert sich wolkenverhangen, die Quecksilbersäule ist weit unter den Gefrierpunkt gerutscht. Drei Männer stehen am Straßenrand. Sie grüßen und strecken den Daumen nach oben. In diesem Moment quält sich eine scheinbar endlose Fahrzeugkolonne an ihnen vorbei. Angeführt von mehreren grünen Traktoren mit gelben Rundumlichtern geht es nur in Schrittgeschwindigkeit durch den Plauenschen Grund in Richtung Freital.
In vielen Ecken im Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge (SOE) lassen sich zur gleichen Zeit ähnliche Szenarien beobachten. So kommt unter anderem auf den Autobahnzubringern bei Pirna oder Dresden-Südvorstadt der Verkehr mitunter nur recht schleppend voran. Ein Fotoreporter der SZ berichtet von Solidaritätsbekundungen zahlreicher Autofahrer. Es herrsche keineswegs eine aggressive Stimmung wie im Fall der sogenannten Klimakleber. Viele scheinen sich rechtzeitig auf die Situation eingestellt zu haben.
"Wenn man den stationären Protest nicht genehmigt bekommt, ist das eine Möglichkeit, seinen Unmut kundzutun", verlautete aus den Reihen des Sächsischen Landesbauernverbandes (SLB). Und so geht es ohne Hast und Eile an diesem 8. Januar durch weite Teile der Region. Bereits Tage zuvor war die Aktion angekündigt worden.
Solidarität aus großen Teilen der Bevölkerung
"Das Maß ist voll" ist in schwarzen Buchstaben auf einem weißen Laken zu lesen, das am Kühler eines grünen Kippers prangt. Längst schon stehen die Bauern nicht mehr allein auf weiter Flur mit ihrem Protest.
Spediteure haben sich diesem angeschlossen und darüber hinaus weitere Branchen, darunter das Gastgewerbe, das trotz eines früheren Versprechens durch den damaligen Bundesfinanzminister und jetzigen Bundeskanzler Olaf Scholz inzwischen anstelle sieben wieder eine Mehrwertsteuer in Höhe von 19 Prozent für Speisen abführen muss.
"Die Polizeidirektion Dresden begleitet mehr als 20 Versammlungen", weiß ein Sprecher am frühen Montagmorgen zu berichten. An zahlreichen Anschlussstellen seien die Auffahrten aufgrund von Versammlungen nicht möglich. Ausnahmen bilden auf der A 17 die Anschlussstellen Dresden-Prohlis, Heidenau und Bahretal.
Mit einem Polizeihubschrauber verschaffen sich die Beamten einen Überblick über die Verkehrslage. Der Verkehrswarndienst informiert über aktuelle Verkehrsbeeinträchtigungen. Autofahrern wird empfohlen, umsichtig unterwegs zu sein und deutliche Verzögerungen einzuplanen.
Landwirt spricht von Agrarkrise
Allein auf der B 170 zwischen Dresden und Bannewitz haben etwa 60 Traktoren und Lkw die Auffahrt zur Autobahn A 17 in Richtung Prag blockiert. Christoph Proft, Vorstandsvorsitzender der Agrargenossenschaft Reinholdshain, ist mit sechs Mitarbeitern vor Ort.
Angesichts steigender bürokratischer Hürden und der jüngsten Streichungen spricht er von einer Agrarkrise. Zunächst müsse Sachsens Landwirtschaftsminister Wolfram Günther (Bündnisgrüne) die überfällige EU-Agrarförderung aus dem vergangenen Jahr auszahlen. Das Fass zum Überlaufen hätten jedoch die jüngsten Subventionsstreichungen gebracht.
"Wir liefern gutes Getreide. Aber anstelle die regionale Landwirtschaft zu unterstützen, wird billig importiert", ärgert er sich über die ursprünglich angedachte Streichung von Vergünstigungen bei Agrardiesel und der Kfz-Steuer. SZ-Informationen zufolge würde dies in SOE 1.837 als steuerbegünstigt beziehungsweise steuerbefreit eingestufte Fahrzeuge, die über ein grünes Kennzeichen verfügen, betreffen. Das jüngste Einlenken der Bundesregierung betrachtet Christoph Proft als nicht ausreichend.
Nicht jeder kann sich mit Bauernaktion anfreunden
Unter die Landwirte haben sich Sympathisanten gemischt: die Mitarbeiterin einer Tierpension, ein Handwerker aus Kreischa. "Die Anliegen der Bauern betreffen uns alle. Nicht nur Essen, alles wird teurer. Die Regierung soll endlich aufwachen", sagt ein Taxifahrer aus Bannewitz, der bis zum Nachmittag an der Auffahrt der A 17 ausharren will.
Doch in den Chor der breiten Zustimmung mischen sich auch Stimmen, die die Proteste kritisch sehen. Ein Ehepaar aus Jena kann zwar nachvollziehen, dass die Landwirte eine klare Linie und keine ständigen Änderungen seitens der Regierung für ihre Arbeit benötigen. Allerdings müssten wie anderswo auch Subventionen gestrichen werden. Jeder sollte seinen Teil leisten. Schließlich würden bei Landwirtschaftsbetrieben ebenso Gewinne zu Buche schlagen, denken die beiden Thüringer.
Ähnlich sieht es Antonia Mertsching von Sachsens Linken. "Statt weiterhin auf Almosen wie die Agrardieselsubventionierung oder Kfz-Steuerbefreiung zu setzen, sollte die Agrarpolitik vom Kopf auf die Füße gestellt werden."
Unterdessen distanziert sich Christoph Proft angesichts der prophezeiten Trittbrettfahrer aus der rechten Szene von jeglicher Vereinnahmung durch irgendwelche Parteien oder Gruppierungen. Von denen ist hier an diesem Vormittag niemand zu sehen.
Blockaden auch in Sächsischer Schweiz
Unzufriedene Landwirte, Spediteure und Handwerker versammeln sich keinesfalls nur an Autobahnzufahrten. Bereits am frühen Morgen blockieren in Neustadt an die 20 Protestler die Ortsumfahrung in Richtung Bischofswerda. Bei minus elf Grad harren sie an einer Feuerschale aus.
So richtig in Sprechlaune ist keiner von ihnen. "Die Forderungen sind bekannt. Mehr wollen wir nicht sagen. Und sie sollen durchgesetzt werden", meint ein junger Landwirt. Auf Plakaten verleihen sie ihren Forderungen Nachdruck und begründen auch warum. "Niemand soll es vergessen, Bauern sorgen für unser Essen" steht auf einem der Banner.
Einige Lkw-Fahrer schließen sich offenbar spontan den Protesten an und bleiben ebenfalls stehen. Der Kreisverkehr in Neustadt wird zwar blockiert, aber den Kraftfahrern die Durchfahrt gewährt, sodass es nur zu kurzen Staus kommt. Der Regionalverkehr kann ebenso passieren.
Selbst hier erfährt die Aktion Unterstützung von den meisten Autofahrern. "Ich kann das durchaus verstehen. Die Regierung verschenkt Milliarden und will sich jetzt von den Bauern das Geld holen", sagt Thomas Menge, der auf dem Weg zu seiner Arbeit ist. Die kurze Pause nehme er da gerne in Kauf.
Protest basiert auf tiefgreifenden Gründen
Ein ähnliches Bild bietet sich an der Kreuzung Hocksteinschänke bei Hohnstein. Etwa 55 Traktoren und Lkw, Handwerker- und Bauhoffahrzeuge seien beteiligt, heißt es. Die Protestfahrzeuge fuhren langsam die Strecke Kreuzung Hocksteinschänke Richtung Rathewalde und zurück. Dadurch kam es kurzzeitig zu Verkehrsbehinderungen. An der Hocksteinschänke konnten sich die Protestler aufwärmen, aus einer Gulaschkanone gab es eine Stärkung.
Vor all dem Hintergrund lässt der Landesverband Sächsisches Obst wissen, dass es nicht nur um Agrardiesel und Traktorensteuer geht. "Das ist zu einseitig und eng gesehen", bringt es Geschäftsführer Udo Jentzsch auf den Punkt. Im Mittelpunkt des Protestes stehe auch die Gefährdung der Existenz zahlreicher Landwirte und Obstbauern "durch ein reichhaltiges Maßnahmenpaket von Verboten und Einschränkungen der Agrarpolitik sowohl aus Brüssel aber vor allem aus Berlin". Das habe Folgen: "Unsere Kinder verspüren kaum noch Lust auf Obstbau und Landwirtschaft. Uns fehlen Betriebsnachfolger in jeder Region."
Gegen 15.30 Uhr endet die Aktion im Einzugsbereich der Polizeidirektion Dresden. Ihre Bilanz fällt durchweg positiv aus. Es sei zwar zu Verkehrsbeeinträchtigungen gekommen. Darüber hinaus habe es allerdings keine Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung gegeben.