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Nach tödlicher Messerattacke in Pirna: Noch immer kein Ergebnis im Fall Jura

Am 24. September 2022 kam ein 20-Jähriger in der Innenstadt von Pirna gewaltsam zu Tode. Die Ermittlungen erweisen sich als schwierig – und ziehen sich weiter hin.

Von Thomas Möckel
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Gedenkort für Jura in Pirna: Freunde haben ein Holzkreuz aufgestellt.
Gedenkort für Jura in Pirna: Freunde haben ein Holzkreuz aufgestellt. © Norbert Millauer

Die ersten Bilder, die am 24. September 2022 in den sozialen Netzwerken kursierten, verhießen nichts Gutes. Polizei war darauf zu sehen, Rettungskräfte, eine Menge Blaulicht, Scheinwerfer, später auch Spurensicherer in weißen Anzügen. Nachrichten machten die Runde, etwas Schreckliches sei passiert. Auch der Ort des Geschehens ließ sich ausmachen: der kleine Park vor der Commerzbank am Dohnaischen Platz, mitten in der Pirnaer Innenstadt.

Die Fotos waren stumme Zeugen einer Tragödie, die sich kurz zuvor an diesem Platz abgespielt hatte. Gegen halb zehn starb an dieser Stelle der 20-jährige Jürgen, Spitzname Jura, ein russischstämmiger Deutscher, der mit seiner Familie schon viele Jahre in Pirna lebt. Sein Tod war offenbar die Folge eines oder mehrerer Messerstiche in den Unterleib, die ihm ein anderer zugefügt haben soll. Über eine halbe Stunde kämpften eine Notärztin, Rettungskräfte und Polizisten um das Leben des jungen Mannes, doch es half alles nichts. Seitdem wird in dem Fall ermittelt.

Ein Jahr ist das nun her, doch die regelmäßigen Nachfragen bei der Staatsanwaltschaft nach einem Vierteljahr, nach einem halben Jahr und nach einem Dreivierteljahr ergaben die immer gleichen Aussagen. Die Ermittlungen in diesem Fall, so teilte die Behörde schon mehrfach mit, seien noch nicht abgeschlossen und würden noch etwas Zeit in Anspruch nehmen. Angaben zum Zwischenstand machte die Anklagebehörde keine, um die Ermittlungen nicht zu gefährden. Über den Abschluss der Ermittlungen werde die Staatsanwaltschaft Dresden zu gegebener Zeit in einer Medieninformation informieren. Die aktuelle Aussage lautet: „Es handelt sich im vorliegenden Fall um ein umfangreiches Verfahren mit einer komplexen Beweislage“, so Oberstaatsanwalt Jürgen Schmidt. So gibt es auch nach zwölf Monaten noch kein offizielles Ergebnis in einem Fall, der sich offenkundig als kompliziert erweist – sowohl hinsichtlich des Hergangs als auch hinsichtlich des Tatverdächtigen.

Gestorben wegen einer Flasche Bier?

Aufmerksam auf die Tragödie, die sich da gerade abspielte, wurde die Polizei eher beiläufig. Jugendliche hatten am 24. September 2022 kurz vor halb zehn einen Streifenwagen gestoppt, der gerade zufällig über den Dohnaischen Platz fuhr. Die Gruppe lotste die Beamten zu dem Verletzen, die sofort begannen, Jura zu reanimieren. Später suchten Kriminaltechniker stundenlang den Tatort und die nähere Umgebung ab.

Schon zu diesem Zeitpunkt zeichnete sich ab, dass es nicht ganz einfach wird, den Tathergang und die weiteren Umstände zu recherchieren, die zum Tod des 20-Jährigen führten. So gibt es wohl keine Zeugen, die die Tat unmittelbar gesehen haben. Denn wie Freunde von Jura damals erzählten, hätten sie den jungen Mann bei ihrer Suche – als er nach einer ganzen Weile nicht wieder zum Treffpunkt im nahen Friedenspark zurückgekehrt war – bereits verletzt auf dem kleinen Querweg gefunden.

Auch der Auslöser der Tat ist offiziell nach wie vor unklar, viele Aussagen widersprechen sich. Einige aus Juras Umfeld berichteten, Ursprung sei der Streit um eine Flasche Bier gewesen. Jura habe sie in der Hand gehalten, ein anderer habe ihm das Getränk weggenommen. Daraufhin sei der 20-Jährige dem anderen hinterhergerannt, um es wiederzubekommen. Dabei sei die Situation vermutlich eskaliert. Andere schilderten wiederum, das Opfer und der mutmaßliche Täter hätten sich im Vorfeld gegenseitig provoziert – bis dann alles außer Kontrolle geriet. Den tatsächlichen Hergang herauszufinden, ist nun schon seit Monaten Teil der langwierigen Ermittlungen.

Tatort im Park am Dohnaischen Platz in Pirna: Polizisten sichern in der Tatnacht Spuren.
Tatort im Park am Dohnaischen Platz in Pirna: Polizisten sichern in der Tatnacht Spuren. © Daniel Förster

Notwehrlage nicht ausgeschlossen

Der Tatverdacht fiel damals schnell auf einen 15-Jugendlichen, der ursprünglich aus Heidenau stammen soll und dort auch noch in der Tatnacht vorläufig festgenommen wurde. Das Opfer und der mutmaßliche Täter sollen angeblich einander gekannt haben. Kurz nach der Festnahme kam der Tatverdächtige aber wieder frei, Untersuchungshaft wurde nicht angeordnet.

Polizei und Staatsanwaltschaft gingen kurz nach der Tat zunächst dem Verdacht eines Tötungsdelikts nach, das änderte sich aber wenig später. Anderthalb Tage nach der Tat gaben die Ermittler bekannt, dass sie nun wegen des Verdachts einer Körperverletzung mit Todesfolge ermitteln. Gegen den Beschuldigten bestehe laut der Staatsanwaltschaft ein Anfangsverdacht, dem 20-jährigen Jura in Verletzungsabsicht mit einem Messer in den Bauch gestochen zu haben.

Laut dem Ermittlungsstand kurz nach der Tat hätte nach Aussage der Ermittler auch eine Notwehrlage nicht ausgeschlossen werden können. Somit war ein dringender Tatverdacht vom Tisch, damit fiel auch eine entscheidende Grundlage für einen Haftbefehl, um Untersuchungshaft anzuordnen, weg. Zudem kommt eine Untersuchungshaft bei Minderjährigen unter 16 Jahre bis auf wenige Ausnahmefälle ohnehin nicht in Betracht.

Juras Tod hatte damals tiefe Trauer und große Anteilnahme ausgelöst, Freunde trafen sich noch viele Abende danach im Park am Dohnaischen Platz zu Trauerfeiern, zur ersten kamen über 200 Menschen. Und auch, wenn das Kerzen- und Blumenmeer inzwischen kleiner geworden ist, wird eines immer an den 20-Jährigen erinnern: Freunde haben an der Hecke neben dem kleinen Querweg ein Holzkreuz aufgestellt, das auf Dauer dort stehenbleiben soll.