Angst vor Krebs – so testen Sie Ihr familiäres Risiko

In Sachsen erkranken pro Jahr rund 27.000 Menschen neu an Krebs. Bei jedem Zehnten liegt die Krankheit in den Genen. Bei jedem Vierten häufen sich Krebsfälle in der Familie. Wie man diese Patienten erkennt und besser behandeln kann, wird auf dem am Sonnabend in Chemnitz beginnenden Sächsischen Krebskongress diskutiert, zu dem rund 200 Teilnehmer erwartet werden. Die SZ sprach darüber mit der Humangenetikerin Professor Ursula Froster aus Zwenkau bei Leipzig. Sie ist Kongresspräsidentin und Präsidentin der Sächsischen Krebsgesellschaft.
Wenn sich in der Familie Krebskrankheiten häufen, macht das Angst. Wann sind Angehörige wirklich gefährdet?
Vor allem, wenn die erkrankten Familienmitglieder noch jung sind oder waren. Jung heißt bei Brustkrebs unter 50 Jahre, bei Darm- oder Prostatakrebs unter 60 Jahre. Auch die Anzahl der Krebskranken in der Familie ist maßgeblich: In beiden Linien, also entweder mütterlicher- oder väterlicherseits, müsste mehr als ein Angehöriger betroffen gewesen sein. Traten die Krebserkrankungen erst mit 70 oder 80 Jahren auf, spricht man ab zwei Erkrankungen von einem familiären Risiko. Doch auch der Tumor selbst kann Aufschluss geben. Sprechen Brustkrebszellen zum Beispiel nicht auf Hormone oder Herceptin an, sprechen Ärzte von triple-, also dreifach negativen Tumoren. Das kann auf einen erblichen Gendefekt hinweisen.
Zahlt mir die Kasse einen Gentest?
Jeder Versicherte hat das Recht auf eine genetische Beratung, zum Beispiel beim Facharzt für Humangenetik. Dort wird ausführlich die Familiengeschichte erhoben und das Risiko für einen Gendefekt berechnet. Das Risiko, an Krebs zu erkranken, ist bei den einzelnen Tumorarten unterschiedlich hoch. Für Brustkrebs kann auch der Frauenarzt anhand einer Checkliste einen Score errechnen und das Risiko erkennen. Er überweist dann an einen Humangenetiker für weitere Tests. Gibt es auch hier Auffälligkeiten, sind die folgenden Gentests und Untersuchungen Kassenleistungen. Doch es hat sich gezeigt, dass durch die Familienanamnese nur 30 Prozent der Betroffenen entdeckt werden.
Wie kommt das?
Heutzutage sind die Familien meist zu klein. Echte familiäre Häufungen sind da kaum auszumachen. Britische Forscher haben deshalb vorgeschlagen, alle Frauen ab 30 Jahre zumindest auf die beiden Brustkrebsgene BRCA1und BRCA2 zu testen, um eine Veranlagung zu Brust- oder Eierstockkrebs zu finden. Der Kostenaufwand, besonders durch die Vermeidung der Folgekosten einer Therapie, soll nicht einmal höher sein als bei den heutigen Auswahlverfahren. Wichtig ist aber immer eine genetische Beratung.
Was wird beim Krebs vererbt?
Nicht der Krebs selbst, sondern die Anlage für ein höheres Krebsrisiko. Bei Betroffenen arbeiten dann entweder die tumorunterdrückenden Gene oder die Reparaturgene nicht richtig. Diese Veränderungen werden von Vater oder Mutter vererbt und sind von Geburt an vorhanden. Diese Menschen erkranken mit hoher Wahrscheinlichkeit an Krebs. Wann und wie schwer der Krebs ausbricht, weiß man heute noch nicht. Aber: Krebsfamilien haben häufig auch vergleichbare Lebensgewohnheiten, wohnen in der gleichen Umgebung oder haben ähnliche Riskofaktoren. Auch das kann Häufungen in der Familie erklären, ohne genetische Besonderheiten.
Wo können sich Patienten mit einem familiären Krebsrisiko untersuchen und behandeln lassen?
Netzwerke gibt es in Deutschland zum Beispiel für familiär bedingten Brust- und Eierstockkrebs sowie für Darmkrebs. In Sachsen sind es auch die Unikliniken Dresden und Leipzig. Betroffenen wird eine intensivierte Früherkennung angeboten, die fünf Jahre vor dem ersten Krankheitsfall in der Familie beginnt.

Angelina Jolie sorgte 2015 für Aufsehen, als sie sich aufgrund ihres Krebsrisikos Brust und Eierstöcke entfernen ließ. Sind viele Frauen ihrem Beispiel gefolgt?
Aus meiner Praxis kann ich sagen, dass etwa zwei Drittel der Frauen mit nachgewiesener Genveränderung eine solche Operation machen ließen. Viele nutzen ein paar Jahre die intensive Vorsorge, doch die belastet psychisch auch sehr und ist nicht hundertprozentig. Gerade für Eierstockkrebs ist das Risiko hoch, dass er zu spät erkannt wird. Die OP gibt mehr Sicherheit. Diese vorbeugende Entfernung der Eierstöcke und Eileiter ist in Leitlinien geregelt. Die Frauen kommen damit aber früher in die Wechseljahre. Die OP wird meist nach abgeschlossener Familienplanung empfohlen. Doch wer den Eingriff eher möchte, kann Eizellen auch konservieren lassen. Bei der Brust ist es wichtig zu wissen, dass nicht die gesamte Brust, sondern die Brustdrüse entfernt wird. Das Fettgewebe bleibt. Die Brust wird so aufgebaut,dass kosmetisch gute Ergebnisse erzielt werden.
Kann diesen Frauen auch der Bluttest zur Früherkennung von Brustkrebs helfen, der kürzlich so propagiert wurde?
Für die Empfindlichkeit des Bluttests gibt es nicht genügend Nachweise. Diese Tests spüren Tumorbestandteile im Blut auf. Sie haben durchaus Potenzial. Fortschritte sind aufgrund der intensiven Forschung bald zu erwarten. Derzeit laufen Studien, die untersuchen, wie familiär belastete Frauen vom Test profitieren können. Ein Ansteigen dieser Marker könnte dann zum Beispiel eine intensivierte bildgebende Diagnostik in Gang setzen.
Welche Krebsarten sind heute schon gut zu behandeln, welche sind noch Sorgenkinder?
Die großen Organkrebse, zum Beispiel an Brust, Prostata, Darm oder Haut haben bei entsprechend früher Erkennung eine sehr gute Prognose. Sorgen bereiten aber noch Tumore an der Bauchspeicheldrüse oder selten vorkommende Krebserkrankungen wie Sarkome. Wegen der Seltenheit fehlt die Erfahrung.

Die Immuntherapie sollte doch so ein Leuchtturm in der Krebsbehandlung sein.
Krebszellen entwickeln Techniken, um sich vor der körpereigenen Immunabwehr zu verstecken. Die Immuntherapeutika umgehen und unterbrechen diesen Vorgang. Das klingt nach Allheilmittel. Doch die hohen Erwartungen haben sich nicht bestätigt. Die besten Ergebnisse gibt es für den Schwarzen Hautkrebs – das Melanom. In einigen Fällen ist es damit gelungen, das Krebswachstum zu stoppen. Doch die Nebenwirkungen sind gravierend. Die Patienten haben oft Autoimmunkrankheiten oder Nebenwirkungen an Darm und Haut entwickelt, die die Lebensqualität stark beeinträchtigen. Einige hatten auch nur die Nebenwirkungen ohne den erhofften Krebsstopp. Die Immuntherapie wird aber weiter verfolgt. Eine interessante Beobachtung zeigt, dass die Besiedlung mit bestimmten Darmbakterien die Wirksamkeit der Immuntherapie reguliert. Der Darm ist ja unser größtes immunologisches Organ. Wenn es gelingt, herauszufinden, welche Bakterien gebraucht werden, ließen sich diese auch einfach übertragen. Doch dazu ist noch viel Forschung nötig.
Wie wirken sich denn solche neuen Erkenntnisse auf die Behandlung der Patienten aus?
Leider oft nicht schnell genug. Bis eine Krankenkasse die Kosten für eine neue Therapie übernimmt, vergeht eine viel zu lange Zeit. Die Patienten haben oft nur im Rahmen von Studien die Möglichkeit, solche neuen Behandlungen zu bekommen. Der Gesundheitsminister hat eine Dekade gegen den Krebs ausgerufen. Wir hoffen, dass das die Umsetzung beschleunigen kann.
Das Gespräch führte Stephanie Wesely.