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"Bitte kommen Sie nicht in die Dienststelle"

Wie die Arbeitsagentur mit ihren Kunden umgeht: Wegen Corona sind alle Ämter geschlossen - und die Telefone überlastet. Das Protokoll einer Odyssee.

Von Jana Ulbrich
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Klingeln zwecklos: Die Arbeitsagentur in Zittau ist für Besucher geschlossen.
Klingeln zwecklos: Die Arbeitsagentur in Zittau ist für Besucher geschlossen. © Matthias Weber/photoweber.de

Das Warten in der Warteschleife dauert genau 17 Minuten und 31 Sekunden. Daniela Bäcker, so nennen wir die Mittvierzigerin in diesem Bericht, hat sie mit ihrem Handy aufgezeichnet: Es ist der sie-weiß-nicht-wie vielte Anruf bei der Arbeitsagentur in Bautzen. In aller Kürze zusammengefasst, hört er sich so an:

"Willkommen bei der Agentur für Arbeit. Wir helfen Ihnen weiter." Es folgen Informationen zum Datenschutz, der Hinweis, dass Gespräche zur Qualitätssicherung aufgezeichnet werden können, der Hinweis, dass alle Dienststellen aus Gründen des Gesundheitsschutzes - wegen Corona also - geschlossen sind, der Hinweis auf den Internetzugang www.arbeitsagentur.de/eService und noch ein paar andere Hinweise auf alles Mögliche.

Dann folgt der Satz: "Bitte kommen Sie nicht in die Dienststelle." Weiter geht es mit der Auswahlfrage: Wer Fragen zu Hartz IV hat, drücke bitte die Ziffer 4 auf seinem Telefon, für Fragen zum Kurzarbeitergeld die Ziffer 2 und so weiter. Daniela Becker muss sich neu registrieren lassen. Das fällt unter "alle anderen Anliegen": Ziffer 8.

Die Stimme der automatischen Ansage ist männlich. Sie sagt jetzt: "Bitte geben Sie Ihre Postleitzahl ein." Daniela Bäcker drückt 0-2-7-6-3 für Zittau. "Die Wartezeit beträgt mehr als vier Minuten", sagt die Stimme. "Bitte legen Sie nicht auf."

Eine gefühlte Ewigkeit später bittet die Stimme Daniela Bäcker, ihre Kundennummer zu nennen. Die Zittauerin spricht weder oberlausitzisch noch sächsisch noch sonst einen Dialekt. "Ich habe Sie leider nicht verstanden", sagt die Stimme. Daniela Bäcker muss die Nummer dreimal wiederholen. Dann hört sie eine dieser typischen Warteschleifen-Melodien: Sie ist drin.

Einfach vor der Tür stehengelassen

Daniela Becker ist hoffnungsfroh. Bis zu dieser Stelle  hat sie es bei den vielen Anrufen zuvor noch nie geschafft. "Sonst kam dann immer nach einer Weile ein Besetzt-Zeichen", erzählt sie. Deswegen hat sie es nach tagelangen Fehlschlägen ja auch persönlich bei der Arbeitsagentur an der Zittauer Kantstraße versucht. Hätte sie das mal lieber bleiben lassen und den Satz "Bitte kommen sie nicht in die Dienststelle" wirklich ernst genommen:

"Die lassen einen wie einen Trottel vor der Tür stehen", so die Erfahrung, die die Mittvierzigerin vor der Dienststelle gemacht hat. Und nicht nur sie, sondern auch die SZ-Mitarbeiter, die das ausprobiert haben: Die Drehtür ist verschlossen, ebenso die Tür daneben. Auf einem Zettel stehen lediglich Hinweise auf Telefonnummern und die Internetadresse.

Wir sind weiter für Sie da: Zettel an der Drehtür zur Arbeitsagentur in der Zittauer Kantstraße.
Wir sind weiter für Sie da: Zettel an der Drehtür zur Arbeitsagentur in der Zittauer Kantstraße. © Matthias Weber/photoweber.de

Die Klingel an der Tür klingelt nicht. Sie schaltet auf eine automatische Telefonansage: "Bitte warten! Sie werden verbunden" im Wechsel mit der Warteschleifen-Melodie,   nach ein paar Minuten das Besetzt-Zeichen.  

In den Büros arbeiten Mitarbeiter, mehrere Fenster sind geöffnet. Ab und zu läuft auch jemand durchs Foyer. Aber niemand kommt an die Tür, niemand fragt aus dem Fenster: Was möchten Sie denn? Daniela Bäcker steht so fast eine Stunde.

Dabei will sie sich nur neu identifizieren lassen - so wie es in dem Brief steht, den ihr die Arbeitsagentur geschickt hat: Um weiter Leistungen beziehen zu können, müsse eine Identitäts-Bestätigung im Internet durchgeführt werden. Daniela Bäcker hat aber keinen Computer, kein Tablet und kein Internet. 

Auch bis auf weiteres kein Publikumsverkehr im Amt

Dass sie niemanden in der Arbeitsagentur persönlich sprechen könne, diene auch ihrem eigenen Schutz, so wird es Dana Kostroa, die Pressesprecherin der Bautzener Arbeitsagentur, später erklären. "Der gesundheitliche Schutz sowohl für Kundinnen und Kunden als auch für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hat oberste Priorität", antwortet sie auf Nachfrage der SZ. Konkret heißt das erst einmal: Kein Publikumsverkehr im Amt - höchstens in Ausnahmefällen nach vorherigem Termin. 

Deswegen gebe es ja auch das neue „Selfie-Ident-Verfahren“, bei dem sich Arbeitssuchende im Internet ohne persönliches Erscheinen registrieren können. Kunden hätten in den zurückliegenden Monaten fast alle Anliegen über das Telefon oder online klären können. Die telefonische Erreichbarkeit und das Online-Angebot seien dafür "in einem Kraftakt ausgebaut" worden. So hätten also auch Kunden, denen kein internetfähiger PC zur Verfügung steht, die Möglichkeit, ihre Anliegen telefonisch zu klären.

Nach 17 Minuten und 31 Sekunden gelingt das bei diesem Anruf dann tatsächlich auch Daniela Bäcker. Die Frau vom Service-Center ist sehr freundlich. Sie kann Daniela Bäckers Identifizierung zwar auch nicht vornehmen, aber sie werde das Anliegen an die zuständigen Kollegen in Zittau weiterleiten. Daniela Bäcker werde einen Termin bekommen, an dem sie persönlich vorsprechen könne. Auf den wartet die Mittvierzigerin jetzt. Aktuell sind alle Dienststellen der Arbeitsagentur Bautzen auch weiterhin für den Publikumsverkehr geschlossen.

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