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Radebeuls OB widerspricht Wahl von Jörg Bernig

Vorausgegangen war auch ein offener Brief von Kulturschaffenden, die Entsetzen über die Wahl des Schriftstellers zum neuen Leiter des Kulturamts geäußert haben.

Von Nina Schirmer & Oliver Reinhard
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Radebeuls Oberbürgermeister Bert Wendsche hat Widerspruch gegen die Wahl von Jörg Bernig zum Leiter des Kulturamtes eingelegt.
Radebeuls Oberbürgermeister Bert Wendsche hat Widerspruch gegen die Wahl von Jörg Bernig zum Leiter des Kulturamtes eingelegt. © Norbert Millauer

Radebeul. Der Fall Jörg Bernig hat einen neuen Impuls bekommen: Am späten Montagnachmittag hat Radebeuls Oberbürgermeister Bert Wendsche (parteilos) auf einer Sitzung des Ältestenrats der Stadt seinen Widerspruch gegen die Wahl des neurechten Schriftstellers zum Leiter des Kulturamtes eingelegt, die am Mittwoch erfolgt war.

Wendsche erläuterte, dass er den Beschluss als nachteilig für die Stadt Radebeul erachte und legt diesen damit dem Stadtrat noch einmal zur Überprüfung vor. „Die durch den Beschluss bereits jetzt schon deutlich spürbare Polarisierung wirkt sich aus meiner Sicht negativ und nachteilig für die Stadt aus. Die Verantwortung liegt nun wieder dort, wo sie hingehört, beim Stadtrat“, so der OB.

Vorausgegangen war heftige öffentliche Kritik an der Entscheidung. Nur wenige Stunden vor Wendsches Veto hatten zahlreiche Kulturschaffende gegen die Wahl Bernigs in einem Offenen Brief protestiert. Jazz-Legende Günther Baby Sommer hat unterschrieben, ebenso wie Volksschauspieler Herbert Graedtke, Verleger Jens Kuhbandner, Autor Thomas Gerlach. Über 130 Personen gehören zu den Erstunterzeichnern, darunter Mitarbeiter der Landesbühnen Sachsen, Maler, Grafiker, Musiker, Veranstalter, Kantoren, auch Christof Heinze, Pfarrer der Lutherkirche. Eine ganze Szene begehrte auf gegen eine Personalie, gegen eine Wahl des Stadtrates und damit schlussendlich gegen die Entscheidung von Wendsche, der Jörg Bernig als Kandidaten zugelassen hatte.

Umtrittener Autor Bernig als Kulturamt-Chef: Künstler fürchten fatale Folgen

Vergangenen Mittwoch hatte der Stadtrat den umstrittenen Autor Bernig in einer geheimen Wahl in nicht-öffentlicher Sitzung mit knapper Mehrheit zum neuen Leiter des Kulturamtes gewählt. Vor allem CDU und AfD hätten für den Kandidaten votiert, verbreiteten aufgebrachte Stadträte nach der Wahl. Bernig gilt als Sympathisant der neurechten Szene und veröffentlichte auch in neoreaktionären und rechtsextremen Publikationen. Er ist Anhänger der These einer geplanten „Umvolkung“ Deutschlands und gehörte zu den Erstunterzeichnern der „Erklärung 2018“, in der rechtskonservative Intellektuelle ihre Ansichten zur „illegalen Masseneinwanderung“ äußerten.

„Mit Entsetzen und Unverständnis haben wir von der Wahl Dr. Jörg Bernigs zum neuen Kulturamtsleiter der Stadt Radebeul erfahren“, heißt es in dem offenen Brief. „Wir, Radebeuler Kunst- und Kulturschaffende, sehen in dieser Wahl fatale Folgen für die Stadt, deren Bewohner und die einzigartige Kulturlandschaft, die in ihrer Reichhaltigkeit und ihrem Facettenreichtum ihresgleichen sucht.“

Ganz oben auf der Liste der Unterzeichner steht Helmut Raeder, künstlerischer Leiter des Weinfestes, der Karl-May-Festtage und des Weihnachtsmarktes auf dem Kötzschenbrodaer Anger. Auf Honorarbasis für die Stadt beschäftigt, müsste er mit Bernig direkt zusammenarbeiten. Der hätte jedoch überhaupt keine Basis, wenn Kulturschaffende und Künstler nicht hinter ihm stehen, sagt Raeder. „Das wäre wie Regieren ohne Volk.“ Noch liefen die Vorbereitungen für die Stadtfeste weiter – das Herbst- und Weinfest sei mit Lockerungen der Corona-Vorschriften nicht undenkbar, sagt Raeder.

Auch langjährige Mitarbeiter des Kulturamtes gehören zu den Unterzeichnern des Offenen Briefes. Der Radebeuler Autor Thomas Gerlach, der eng mit der Stadtgalerie zusammenarbeitet, und dort häufig einführende Reden bei Vernissagen hält, sagt: „Wir können uns nur wünschen, dass diese Entscheidung revidiert wird.“ Zu Bernigs fachlicher Eignung, das Amt auszuüben, wolle er sich kein Urteil erlauben. Jedoch: „Er hat sich durch seine Äußerungen in den letzten Jahren von selbst in die rechte Ecke begeben. Damit möchte ich nichts zu tun haben“, macht Gerlach deutlich.

Jörg Bernig wurde vom Radebeuler Stadtrat zum neuen Kulturamtschef gewählt. Der umstrittene Autor gilt als Sympathisant der neurechten Szene.
Jörg Bernig wurde vom Radebeuler Stadtrat zum neuen Kulturamtschef gewählt. Der umstrittene Autor gilt als Sympathisant der neurechten Szene. © André Wirsig

Musiker Günther Baby Sommer, Schirmherr des Festival XJAZZ Edition Radebeul, befürchtet eine Einengung der freiheitlichen Ausübung von Kunst und Kultur, sollte Jörg Bernig tatsächlich Kulturamtschef werden. Neben der Unterzeichnung des offenen Briefes würde er im nächsten Schritt den Kunstpreis der Stadt zurückgeben, der ihm 2002 verliehen wurde, sagt Sommer. In einem eigenen offenen Brief an den OB wirft er ihm vor, wie er es zulassen könne „dass ein, der AfD, der Pegida und der Identitären Bewegung nahestehender Mann mit ausländerfeindlicher Gesinnung die Leitung des Kulturamtes, und damit die weitere kulturelle Prägung unserer Kunst -und Kulturstadt Radebeul übernimmt“. Auch andere Kunstpreisträger kündigten an, ihre Auszeichnung zurückzugeben, sollte Bernig das Amt antreten.

Bert Wendsche hatte vor seiner Entscheidung viele Gespräche geführt zur aktuellen Situation und dem offenen Brief. „Ich finde es gut und richtig, dass sich Künstler zur Wort melden“, so Wendsche. Die zentrale Frage aber bleibt: Könnte Bernig das Amt überhaupt ausführen, wenn beinah die komplette Szene ihn als Kulturamtschef ablehnt? Im Brief der Künstler heißt es, Sacharbeit und neue Impulse seien unter den gegebenen Voraussetzungen mit ihm nicht möglich. Jörg Bernig selbst war für die Sächsische Zeitung bis Redaktionsschluss am Montag nicht zu erreichen.

Offener Brief: Zahl der Unterzeichner wächst

Auch der Deutsche PEN-Schriftstellerverband, in dem Jörg Bernig Mitglied ist, hatte dessen Wahl kritisiert. Das PEN-Zentrum wende sich „mit aller Schärfe gegen nationalistische Bewegungen, insbesondere gegen Positionen, wie sie AfD, Pegida und ähnliche Gruppierungen vertreten“, so Präsidentin Regula Venske. Die Charta des Verbandes verpflichte jedes Mitglied, für das Ideal einer einigen Welt einzutreten.
Sachsens stellvertretender Ministerpräsident Martin Dulig (SPD) schrieb in einem Statement, der Vorgang in Radebeul sei ungeheuerlich, weil „der Schulterschluss von CDU und AfD kein Zufall ist, sondern von der Werteunion gezielt gesteuert wurde.“ Das unterlaufe die klare Position von Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU).
Im Laufe des Montags hatte sich die Zahl der Unterschriften unter dem Offenen Brief der Radebeuler Kulturszene nahezu verdoppelt. Auch Künstler aus Dresden, Berlin, Leipzig und anderen Städten haben unterschrieben. Außerdem viele Besucher der Kulturszene, ebenso wie Leute aus anderen Branchen, darunter Ärzte, Gastronomen, Lehrer, Theologen, Architekten und Wissenschaftler.

Wann der Stadtrat noch einmal über die Wahl beraten wird, ist noch offen.