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Bye-Bye, Baby-Fernsehen

Warum kommerzieller Ultraschall in der Schwangerschaft künftig verboten ist – und in der Diagnostik nicht.

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Guck mal, es winkt! Echte Aufnahmen aus Mamas Bauch sehen zwar etwas anders aus als in dieser Illustration – eine Faszination üben sie dennoch aus.
Guck mal, es winkt! Echte Aufnahmen aus Mamas Bauch sehen zwar etwas anders aus als in dieser Illustration – eine Faszination üben sie dennoch aus. © Illustration: 123rf/Oleg Begizov

Zum ersten Mal das Herz des eigenen Babys schlagen zu sehen, die Umrisse eines Füßchens zu erahnen oder das Gesicht im Profil zu erkennen – das sind für die meisten werdenden Eltern ganz besondere Momente. Ausdrucke, die der Gynäkologe von den Ultraschallbildern macht, werden dann oft stolz herumgezeigt oder als erste Fotoaufnahmen in Alben geklebt, bevor das Kind überhaupt auf der Welt ist.

Ursprünglich war das Baby-Gucken nichts anderes als die Begleiterscheinung einer medizinisch notwendigen Untersuchung. Während der Arzt den körperlichen Zustand des Ungeborenen überprüfte, konnten Eltern einen ersten Blick auf ihr Kind erhaschen. Diesen Rahmen hat es aber längst verlassen. Inzwischen hat es sich auf dem freien Gesundheitsmarkt als Baby-TV, Baby-Viewing oder Baby-Watching etabliert. Ab 2021, so hat es das Bundesumweltministerium nun entschieden, ist das Baby-TV verboten. Die SZ erklärt die Hintergründe.

Was wird verboten?

Alle Ultraschallanwendungen, die über das medizinisch Notwendige hinausgehen und nur dem Zweck dienen, das Ungeborene anzuschauen, sein Geschlecht zu bestimmen oder Erinnerungsbilder von ihm zu machen. „Damit bekommt der Verbraucherschutz Vorrang vor wirtschaftlichen Interessen“, sagt Irene Behrmann vom Verein Greenbirth.

Was ist Baby-TV eigentlich?

Darunter versteht man besonders deutliche Aufnahmen des Ungeborenen. Verschiedene Gynäkologen und Hebammen bieten den werdenden Eltern 3-D- (Fotos) und 4-D-Ultraschall (Filme) als Selbstzahlerleistung an. Viele Krankenkassen gewähren einen Zuschuss. Die Barmer wirbt zurzeit sogar im Fernsehen dafür. In manchen Praxen gibt es Kinosessel, wo sich neugierige Familienangehörige die Ultraschallaufnahmen des Ungeborenen live auf einer großen Leinwand anschauen können. 45 Minuten von diesem Baby- oder Bauchzwergkino sowie vier Farbfotos für zu Hause kosten etwa 90 Euro. Schwangere können sich das Baby-TV sogar nach Hause holen. Eine niederländische Firma vermietet dafür per Internet auch für den deutschen Markt tragbare Ultraschallgeräte, die werdende Mütter ohne medizinische Grundkenntnisse nach eigenem Gutdünken anwenden können. Die Aufnahmen werden auf einem Laptop gezeigt und in der Cloud gespeichert.

Warum werden diese Aufnahmen verboten?

Sie könnten die Gesundheit des Ungeborenen gefährden. Ein deutliches Ultraschallbild, das sich für 3-D- oder 4-D-Aufnahmen eignet, benötigt eine hohe Schallintensität. Je besser das bildgebende Verfahren, umso größer das Risiko für das Baby, „insbesondere, da mit Beginn der Knochenbildung wesentlich mehr Schallenergie am Knochen absorbiert wird“, sagt Carolin Zerger vom Bundesumweltministerium. Wie sich die hochintensiven Ultraschallwellen auf die Ungeborenen auswirken, ist unklar. Es gibt nur wenige Studien – und die beschränken sich auf die einfache 2-D-Ultraschalldiagnostik. Daher hatte die Strahlenschutzkommission schon 2012 „restriktive Maßnahmen“ empfohlen. Das heißt: So wenige Untersuchungen wie nötig mit so wenig Schallbelastung wie möglich.

Warum wird in der Schwangerschaft Ultraschall angewendet?

Regulär schallen Gynäkologen in jedem Schwangerschaftsdrittel einmal. Diese drei Basisuntersuchungen dienen dazu, mögliche Komplikationen oder Mehrlingsschwangerschaften frühzeitig zu entdecken. „Das erste Screening ist das wichtigste, um hochspezifische Risikoabschätzungen vornehmen zu können“, sagt Dr. Cahit Birdir vom Uniklinikum Dresden. Die Screenings werden zwischen der neunten und der zwölften, der 19. und der 22. sowie zwischen der 29. und der 32. Schwangerschaftswoche gemacht. Dabei wird unter anderem kontrolliert, ob die Schwangerschaft normal verläuft und sich das Kind altersgerecht entwickelt. Das regelt die Mutterschaftsrichtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses. Sie verpflichtet Ärzte dazu, über Risiken der Untersuchungen aufzuklären. Gibt es Auffälligkeiten oder handelt es sich um eine Risikoschwangerschaft, kann ein Arzt weitere Ultraschalluntersuchungen vornehmen, die auch mit besseren bildgebenden Verfahren durchgeführt werden dürfen.

Wie oft lassen sich Schwangere denn mit Ultraschall untersuchen?

Eine Bertelsmann-Studie von 2015, für die Wissenschaftler 1300 junge Mütter befragt hatten, ergab, dass 80 Prozent von ihnen vier und mehr Ultraschalluntersuchungen erhalten hatten. „Der Spitzenwert lag bei 29 Untersuchungen, im Schnitt waren es 7,6“, heißt es darin. Vermutlich sind diese Zahlen aufgrund der Zuschüsse von den Krankenkassen in den vergangenen Jahren noch gestiegen.

Gefährde ich mein Baby mit einer regulären Ultraschalluntersuchung?

Nach bisherigem Erkenntnisstand nicht. Denn bei den Basisuntersuchungen wird das sogenannte B-Mode-Verfahren (Brightness-Mode) angewendet, das zweidimensionale Bilder liefert. Dafür reicht eine einfache Leistung der Geräte aus. Generell ist die Frage aber sehr umstritten.

Was kann schlimmstenfalls passieren?

Prof. Dr. Otwin Linderkamp, Neonatologe in Heidelberg, kam nach der Analyse von 39 Studien zur pränatalen Ultraschalldiagnostik auch an Tieren zu dem Schluss, dass Ultraschall im ersten Schwangerschaftsdrittel das Risiko zu Autismus und zu Entwicklungsstörungen insbesondere des Gehirns erhöht. Häufige Ultraschalluntersuchungen beeinflussen einer australischen und einer italienischen Studie zufolge auch Körpergewicht und Wachstum des Babys. Kinder mit intensiver pränataler Diagnostik waren leichter und kleiner. „Die Unterschiede waren aber mit ein bis acht Jahren nicht mehr vorhanden“, so Linderkamp. „Selbstverständlich kommen nicht alle Kinder durch Ultraschall zu Schaden. Aber das Risiko von medizinisch nicht notwendigem Ultraschall ist mit großer Wahrscheinlichkeit erhöht“, sagt er.

Dürfen Schwangere komplett auf Ultraschallscreenings verzichten?

Ja. Allerdings muss die Entscheidung beim Arzt unterschrieben werden, um ihn von der Informationspflicht zu entbinden. „Dadurch kann er nicht mehr in jedem Fall haftbar gemacht werden“, heißt es in der Mütterrichtlinie. Der Krankenversicherungsschutz bleibt bestehen.

Was sagen Ärzte und Hebammen zum Verbot?

Stephanie Hahn-Schaffarczyk vom Sächsischen Hebammenverband sieht es positiv. „Die Reglementierung auf drei Untersuchungen finde ich gut. Frauen werden dazu angehalten, sich wieder mehr auf ihr Körpergefühl zu verlassen“, sagt sie. „Baby-TV ist medizinisch nicht notwendig und sollte nicht durchgeführt werden“, sagt auch Dr. Birdir.

Das zahlen die Kassen

Die Basis-Screenings sowie alle medizinisch indizierten Ultraschalluntersuchungen werden von den gesetzlichen Krankenkassen getragen.

Zahlreiche Kassen bieten Leistungen an, die über die gesetzliche Pflicht hinausgehen.

Die AOK Plus zahlt ein Budget von 500 Euro, über das die Schwangere selbst verfügen kann, u. a. für Dopplersonografie.

Barmer und Knappschaft gewähren für weiterführende Untersuchen wie Feindiagnostik oder 3-D- bzw. 4-D-Ultraschall bis zu 200 Euro.

Bei IKK classic und DAK-Gesundheit gibt es bis zu 100 Euro.

Die TK erstattet Zusatzuntersuchungen im Rahmen der Gesundheitsdividende. 

Quelle: rnw/sp

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