"Die Gemeinschaft fehlt"

Meißen. Durch eine sonst verschlossene Pforte links des Haupteingangs bittet Lehrerin Claudia Portogallo die SZ herein. Wie kommt das sächsische Landesgymnasium auf dem Dom- und Burgberg über Meißen mit seinen Hochbegabten in der Corona-Krise zurecht? Welche Wege hat die Internatsschule St. Afra gefunden, ihre plötzlich abwesenden Schützlinge zu unterrichten? In einem Gespräch mit zwei Zwölftklässlern sollen diese und andere Fragen geklärt werden.
Der Wind pfeift um das klassizistische Schulgebäude und durch den parkähnlichen Seitenhof des Gebäudes. Normalerweise würde in der Pausenzeit hier lautes Stimmengewirr die Naturgeräusche übertönen. Auf dem Rasen würden sich Grüppchen von Schülern lagern. Sport und Spiel, Lachen und Labern würden das Gelände erfüllen. Die vergangenen Corona-Wochen haben allerdings ihre Spuren hinterlassen.
Wie aus dem Boden gewachsen taucht plötzlich Samira Hiller auf. Die 17-Jährige gehört zu den etwa 40 Abiturienten, welche wie die anderen Schulabgänger im Freistaat, zurückkehren durften, um ihre Prüfungen zu absolvieren. Der Einstieg in die Ausgangssperre Mitte März verlief allerdings eher ungewöhnlich.
Binnen kürzester Zeit mussten Schule, Eltern und rund 300 Schüler sicherstellen, dass alle Afraner nach Hause zurückkehren konnten. Für welchen Zeitraum auch immer.
Normalerweise leben die Landesgymnasiasten mit Lehrern und Betreuern in den Internatsgebäuden auf dem Schulgelände. Diese besonderen Verhältnisse ermöglichen ein besonders intensives Lernen und Lehren. Die Pandemie allerdings stieß alle bisherigen Gewissheiten um.
"Für mich war das schon erst einmal gewöhnungsbedürftig", gibt Samira zu. Im Internat wohnt sie normalerweise in einem Doppelzimmer. Zu Hause waren sie zu fünft. Struktur erhielt der Tag durch das Festhalten am gewohnten Stundenplan. Videokonferenzen ermöglichten eine gewisse Interaktion.
Trotzdem: "Skype oder Whatsapp ersetzen nicht das direkte Quatschen miteinander, das gemeinsame Kochen, das Lachen", sagt die Abiturientin. Die Gemeinschaft mit den Mitschülern fehlte. Schön sei es gewesen, sich direkt von Angesicht zu Angesicht wiedersehen zu können, freilich stets mit gebührendem Abstand. Statt der Doppelzimmer wurde jeder Zwölftklässler in einem eigenen Raum untergebracht.
Afraner Wilhelm Böttcher hat die vergangenen Wochen aus einer anderen Perspektive erlebt. Allein zu Haus habe er Gelegenheit erhalten, zu lesen, zu spazieren und zu fotografieren. Vieles sei möglich geworden, was sonst im eng geknüpften Zeitplan der Internatsschule kaum realisierbar wäre. Gleichzeitig habe die besondere Situation dazu geführt, dass sich die Schulabgänger fast ausschließlich auf ihre Prüfungsaufgaben konzentrieren konnten, sagt der 18-Jährige. Zusatzaufgaben entfielen.
Vielen geht es nicht so gut
Die Privilegien seiner privaten Existenz haben den Afraner dabei nicht blind werden lassen für die Probleme, welche die Corona-Krise im engeren und weiteren Umfeld mit sich bringt. "Vielen geht es nicht so gut", sagt Wilhelm. Sie leben auf engstem Raum. Die Natur liegt nicht direkt vor der Tür. Um die sächsische Bildungsplattform Lernsax nutzen zu können, fehlen Breitbandanschluss und Technik. Die Eltern sind nicht in der Lage, den Lehrerjob zu Hause zu übernehmen.
Vielleicht ist auch diese Erfahrung ein Motiv für die Auswahl der künftigen Optionen. Sowohl Samira als auch Wilhelm könnten sich vorstellen, im Anschluss an ihr Abitur über eine der anerkannten Organisationen ein Jahr als Helfer in der Ferne zu verbringen. Alles abhängig vom weltweiten Verlauf der Pandemie. Zunächst heißt es abwarten.
Lehrerin Claudia Portogallo begleitet die Presse zurück zur Pforte. Die Herausforderungen für sie und das Afra-Kollegium fallen ganz konkret aus. Nach den Elfern gilt es in den nächsten Wochen nach Wegen zu suchen, wie die restlichen Klassenstufen möglicherweise vor den Sommerferien wieder nach Meißen zurückgeholt werden können. Dann dürfte sich auch der Haupteingang wieder öffnen.
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