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"Das ist der Wahnsinn"

Ovid Hajou und Massimilian Porcello sind Co-Trainer bei Dynamo Dresden – wie sie ihre Aufgabe verstehen und was sie begeistert.

Von Sven Geisler
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Massimilian Porcello (l.) und Ovid Hajou sind als Assistenten von Dynamos Cheftrainer Maik Walpurgis weit mehr als nur die Hütchenaufsteller.
Massimilian Porcello (l.) und Ovid Hajou sind als Assistenten von Dynamos Cheftrainer Maik Walpurgis weit mehr als nur die Hütchenaufsteller. © Robert Michael

Ihre Karriere müssen sie beide vorzeitig beenden, nur der eine besonders früh. Ovid Hajou ist erst 21 und in Ahlen auf dem Sprung ins Zweitliga-Team, als ihm der Arzt rät, mit dem Fußball aufzuhören. Andernfalls bräuchte er in fünf, maximal zehn Jahren ein neues Knie. Aus einer scheinbar harmlosen Meniskusverletzung ist ein massiver Knorpelschaden geworden. „Das war natürlich ein Schock“, erzählt der heute 35-Jährige. Massimilian Porcello erhielt die Diagnose mit 32, und als er die Geschichte von Hajou hört, ist er beeindruckt. „Mit 21 aufhören zu müssen, das ist der Wahnsinn. Ich weiß nicht, wie ich damit umgegangen wäre.“

Beide haben ihren Weg gefunden, und der hat sie nun zusammengeführt: als Assistenten von Maik Walpurgis bei Dynamo in Dresden. Hajou arbeitet bereits im elften Jahr mit dem Cheftrainer zusammen, seit sie sich bei den Sportfreunden Lotte kennengelernt haben. „Dort durfte ich im Scouting und als Co-Trainer anfangen“, erzählt Hajou. Sein Fachabitur hatte er abgebrochen, weil Werner Lorant, damals Trainer in Ahlen, sagte: „Entweder du kommst zum Training oder wirst Lehrer, dann kannst du weiter zur Schule gehen.“ Das hat er später nachgeholt, eine Ausbildung zum Personaldienstleistungskaufmann abgeschlossen.

Jetzt wird er Fußballlehrer, im März schließt Hajou die Ausbildung an der Sporthochschule in Köln ab. Für Porcello ist Dynamo die erste Station als Trainer, zumindest offiziell. Walpurgis’ hat er schon während dessen Zeit in Ingolstadt beratend unterstützt. Eine andere Option, als im Fußball zu bleiben, gab es für den 38-Jährigen nach der Profi-Laufbahn nicht. „Mein Vater ist Italiener, bei uns dreht sich alles um den Fußball“, erzählt er. „Mein Herz schlägt für Inter Mailand, damit bin ich aufgewachsen, der Kopf ist aber für Juventus Turin.“

Porcello weiß natürlich, dass die „Alte Dame“, wie der Traditionsklub genannt wird, im Europapokal gegen die SGD gespielt hat. Wie das Duell vor 45 Jahren ausgegangen ist, darüber schweigt er lieber. Die Schwarz-Gelben sind nach einem 2:0-Sieg zu Hause und dem knappen 2:3 auswärts nämlich weitergekommen. „Im Ausland kennt man Dynamo besser als manchen aktuellen Bundesligisten.“ Er konnte sich seinen Kindheitstraum verwirklichen, hat in den obersten drei Ligen gespielt und vor allem als Freistoßschütze Tore erzielt.

"Es gibt keinen Treuebonus"

Das ist nun auch sein Spezialgebiet als Assistent von Walpurgis, aber die Zusammenarbeit im Trio viel breiter angelegt. Sie sind ständig im Austausch, sogar abends, wenn sie gemeinsam essen gehen. „Wir sind nicht immer einer Meinung“, betont Hajou, „aber gerade das ist es, was uns ausmacht. Wir diskutieren kontrovers, nur so kann man sich weiterentwickeln.“ Nach mehr als zehn Jahren weiß der eine, wie der andere tickt, hat sich ein freundschaftliches Verhältnis entwickelt, aber: „Sobald es um Dynamo geht, zählt nur professionelle Arbeit. Wenn ich einen Fehler mache, gibt’s keinen Treuebonus.“ Wer der Chef ist, steht außer Frage, aber sie begreifen sich nicht als Erfüllungsgehilfen – und als solche sieht sie Walpurgis schon gar nicht.

Er schätzt ihre Fachkompetenz und setzt auf sie als wichtiges Bindeglied zu den Spielern. „Wir versuchen, mit den Jungs eine Vertrauensbasis aufzubauen, aber trotzdem eine gewisse Distanz zu wahren“, erklärt Hajou. „Das ist von Charakter zu Charakter unterschiedlich. Es gibt den Familienvater mit drei Kindern und den 19-Jährigen, der Flausen im Kopf hat. Den muss ich anders anpacken.“

Dieses „Beziehungsmanagement“, wie er sagt, ist auch Porcello wichtig. „Als ehemaliger Profi kenne ich die Situation, wenn du nicht weißt, wo du stehst und wie es weitergeht. Ich weiß auch, wie man sich fühlt, wenn man sich dann niemandem anvertrauen kann.“ Bei ihnen, das betonen beide, dürfen sie sich auch mal auskotzen. „Klar sind sie Profis, aber auch Menschen und brauchen Wertschätzung, wollen ernstgenommen werden. Es ist ganz simpel: Wenn der Mensch funktioniert, funktioniert auch der Spieler.“

Porcello legt sich deshalb auch gern mit ihnen an, hat sie herausgefordert zum Wettstreit mit Klimmzügen. „Ich habe Nachholbedarf“, meint er, „aber ich habe angekündigt, dass ich mich steigern werde. Sie müssen sich ranhalten.“ Die Zeiten, in denen der Co-Trainer nur dazu da war, die Hütchen für die Übungen aufzustellen, sind längst vorbei, wobei Hajou und Porcello sich dafür nicht etwa zu schade sind. Im Gegenteil. „Es ist uns wichtig, dass die Spieler sehen, dass alles perfekt vorbereitet ist, wenn sie auf den Trainingsplatz kommen“, meint Porcello.

"Unsere Frauen haben mehr gesehen"

Wenn die beiden erzählen, kann man sich vorstellen, wie sie untereinander über jedes Detail diskutieren. „Die Abende werden lang“, sagt Porcello lachend. Die Frage, was er von Dresden gesehen hat, werde ihm oft gestellt. „Ein paar Restaurants haben wir schon kennengelernt“, antwortet er – und Hajou ergänzt: „Unsere Frauen haben mehr von der Stadt gesehen, als sie uns besucht haben und wir beim Training waren.“ Er sieht seine Elena wenigstens am Abend, wenn er zum Trainerlehrgang in Köln ist.

Porcello nutzt die freien Tage wie zu Wochenbeginn, um zu seiner Familie nach Elverdissen bei Bielefeld zu fahren. „Das tut so gut, da kann ich runterfahren, und der Kopf ist danach wieder aufgeladen“, sagt der 38-Jährige – und zur Fernbeziehung mit seiner Nadine: „Ich kannte das ja schon aus meiner aktiven Zeit, wobei es mit Kindern schon noch etwas anderes ist.“ Emilio ist sieben, Elia drei. Es wäre natürlich eine Option, dass sie mit nach Dresden ziehen. Sein Vertrag bei Dynamo gilt jedoch vorerst nur für diese Saison, „von daher handhaben wir das erst einmal so“. Hajous Vertrag hingegen läuft bis Juni 2020.

Sie hätten beide nichts dagegen, länger zu bleiben. „Wir spielen hier jede zweite Woche vor fast 30.000 Zuschauern, das ist der Wahnsinn! Für so einen Traditionsklub zu arbeiten, ist etwas Besonderes“, sagt Porcello. „Da möchte ich mir am liebsten selber die Schuhe wieder anziehen und auf den Rasen springen“, meint Hajou. Nach seinem Knie-Fall kann er den Spielern gut vermitteln, wie wertvoll es ist, vor einer solchen Kulisse auflaufen zu dürfen.