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Das Klima an der Grenze wird rauer

Die Grenzkriminalität hat sich seit der EU-Osterweiterung verändert. Besonders eine Sache bereitet Polizisten Sorge.

Von Theresa Hellwig
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Seit der EU-Ost-Erweiterung und der Grenzöffnung haben Polizeiobermeisterin Jessica Hempel (links) und Polizeioberkomissar Alfred Klaner Verlagerungen der Kriminalität erlebt.
Seit der EU-Ost-Erweiterung und der Grenzöffnung haben Polizeiobermeisterin Jessica Hempel (links) und Polizeioberkomissar Alfred Klaner Verlagerungen der Kriminalität erlebt. © SZ/Uwe Soeder

Manchmal merkt Jessica Hempel erst, wenn sie an einer Ampel zum Halten kommt, was für eine rasante Verfolgungsjagd sie sich da gerade geliefert hat. Nimmt wahr, dass sie das Lenkrad eine Spur zu fest umklammert. Dann atmet die Bundespolizistin tief durch, lockert die Anspannung, Pause. Jessica Hempel wird in solchen Momenten bewusst, wie weit manche Kriminelle mittlerweile gehen.

 Mit 200 Stundenkilometern über die Autobahn brettern, unter Drogeneinfluss stehend, ohne Führerschein – das ist keine Seltenheit mehr. Manchmal rammen die verfolgten Fahrer sogar andere Autos. Immer mehr dieser Verfolgungsjagden mit gestohlenen Autos gibt es, erzählt sie. „Es ist eine der Veränderungen, die ich merke, seit 2007 die Grenzen in Richtung der EU-Länder im Osten geöffnet wurden“, sagt die 36-Jährige.

Vor 15 Jahren, am 1. Mai 2004, traten viele Länder der EU bei, darunter Tschechien und Polen. Was als EU-Osterweiterung in den Geschichtsbüchern steht, wurde damals heiß diskutiert: Die Länder, die durch den Eisernen Vorhang von der europäischen Entwicklung abgeschnitten waren, gehörten nun zur Europäischen Union; von der Wiedervereinigung des Kontinents war die Rede. Auch kritische Stimmen wurden laut: Würde die Zuwanderung von Arbeitskräften aus dem Ausland zu Niedriglöhnen führen? Würde die Erweiterung Kriminalität mit sich bringen? Heute, 15 Jahre später, zieht die Polizei Bilanz. Wie ist die Lage im Kreis Görlitz? Wie hat sich die Kriminalität entwickelt?

„Im Fokus steht, wenn es um Grenzkriminalität geht, immer wieder die EU-Osterweiterung“, sagt Bundespolizist Alfred Klaner. „Die hat dabei aber eigentlich weniger Relevanz.“ Einen Wandel bemerkten er und seine Kollegin Jessica Hempel vielmehr nach 2007, als dann auch die Grenzkontrollen abgebaut wurden. Heute ist die Grenzkriminalität nach Polizeiangaben niedrig wie seit der Abschaffung der Kontrollen nicht mehr. Aber das trifft nicht auf alle Delikte zu. Nach der Grenzöffnung stieg beispielsweise die Zahl der Autodiebstähle in den Kreisen Görlitz und Bautzen an. Nach und nach entwickelte sich ein Anstieg der Rauschgiftkriminalität.

© SZ-Grafik

Die Bundespolizisten bemerken in ihrer Arbeit vor allem, dass sich die Grenzkriminalität seit der Öffnung verändert hat. Noch gut erinnert sich Alfred Klaner an die Jahre vor der Grenzöffnung, in denen er nachts mit seinen Kollegen im grünen Polizeibus saß – irgendwo im Zittauer Gebirge. Draußen die Wärmebildkamera, drinnen ein Bildschirm, der weiße Flecken zeigte, wo sich Menschen oder Tiere bewegten. Über die sogenannte grüne Grenze kamen illegale Einwanderer zumeist zu Fuß durch den Wald, begleitet von einem Schleuser. „Grenzkontrollen wie diese gibt es heute so nicht mehr“, erzählt der Bundespolizist. Die Zahl der Schleusungen nahm nach der Grenzöffnung ab.

Während 2004, zu Zeiten der EU-Osterweiterung mit Kontrollen an den Grenzen, noch 290 geschleuste Personen im Bereich der Grenzen zu Tschechien und Polen, von Hagenwerder bis Schmilka, festgestellt wurden, brachen die Zahlen nach der Grenzöffnung ein. 2009 gab es nur noch 22 Fälle. „Die Kriminalität an den Grenzen hat sich verlagert“, erklärt Klaner seine Beobachtungen. Er meint damit den Ort – die EU-Außengrenzen liegen jetzt woanders und der Transportweg über die Straße ist nicht mehr versperrt – und auch die Art der Grenzkriminalität.

„Oft kamen damals ganze Reisebusse mit Rumänen nach Deutschland“, erinnert sich Polizeihauptmeister Roland Eberl. Seit 2007 gehört auch Rumänien zur EU, die Rumänen und viele andere dürfen nun ganz einfach nach Deutschland einreisen. Die Zahl der Schleusungen und auch der illegalen Einreisen hat zwar abgenommen, doch in kleinen Größen besteht das Problem noch immer. Wenn heute Menschen aus ferneren Ländern illegal einreisen, benötigen sie den Umweg durch den Wald nicht – sie kommen zumeist über die Autobahn oder die Landstraße.

Die Polizisten sitzen nun nicht mehr nachts im Wagen an den Grenzen. Sie fahnden stattdessen auf den Straßen. „Wenn ein Transporter abgedunkelte Scheiben hat und hinten stark hängt, dann werden wir aufmerksam“, sagt Klaner. Die Polizisten, die sich einst Bundesgrenzschutz nannten und nun Bundespolizei heißen, haben ihre Arbeit den Gegebenheiten angepasst.

Vieles hat sich seit der Grenzöffnung auf die Straßen verlagert, weiß auch Jessica Hempel. „Seit die Grenzen offen sind, drücken viele einfach aufs Gas. Sie wissen: Es hält sie keine Grenze auf“, sagt Jessica Hempel. Als Polizei könne man bei einigen Verfolgungen kaum mithalten, ohne den normalen Verkehr zu gefährden.

Noch viel schlimmer ist für sie aber: Das Klima an der Grenze wird rauer. „Man weiß nie, ob die verfolgte Person eine Waffe zückt“, sagt sie. Kurz hält sie inne, sagt dann: „Das ist ein ganz blödes Gefühl.“ Auch Alfred Klaner hat eine Veränderung in der Gewaltbereitschaft der Menschen beobachtet. „Früher brauchten wir nur eine Waffe, die Pistole. Heute haben wir auch Schlagstöcke und Pfefferspray dabei“, sagt der Polizist.

Vieles, was die Polizisten aus ihrem Arbeitsalltag erzählen, zeichnet ein eher düsteres Bild der Polizeiarbeit nahe den Grenzen. Ob sie deshalb der EU skeptisch gegenüberstehen? Alfred Klaner schüttelt den Kopf. „Ich bin absoluter Fan der EU, viele Bundespolizisten sehen das so“, sagt er. „Ein vereintes Europa, der Frieden – das ist wichtig“, sagt er. „Auch die Reisefreiheit ist toll“, findet Jessica Hempel. Dennoch, ein Anliegen hat sie: „Kurzfristige Grenzkontrollen in Ausnahmesituationen, die müssen schon möglich sein“, sagt sie. „Das ist für uns wichtig.“

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