Warum immer wieder Connewitz?

Von Sven Heitkamp, Leipzig
Brennende Baustellen, Angriffe auf Polizisten, Faustschläge gegen die Mitarbeiterin einer Immobilienfirma - mutmaßlich verübt von einer selbst ernannten „Kiezmiliz“: Leipzig macht wieder düstere Schlagzeilen. Ins Visier gerät dabei einmal mehr das Szeneviertel Connewitz als Heimat einer teils militanten, linksextremen Szene. Neu sind dabei die Häufigkeit und die Härte der Konflikte – offenkundig kommt es zurzeit zu einer Radikalisierung.
In linken Internetforen wie indymedia.org beklagen Autoren vor allem eine Verdrängung von Bewohnern und die Schaffung von „No-Go-Areas für all diejenigen, die aufgrund ihrer sozialen Herkunft, aufgrund von äußeren Merkmalen vom Wettbewerb des Marktes ausgestoßen werden“. Manche Verfasser fordern einen polizeifreien und selbstbestimmten Stadtteil: „Gegen Repression und Verdrängung! Für ein rebellisches und solidarisches Viertel!“
Laut sächsischem Verfassungsschutz wird Connewitz von Autonomen als ein „Freiraum“ verstanden, der einen ersten Schritt zur Etablierung einer „herrschaftsfreien“ Gesellschaft darstelle. Autonome beanspruchten eine kulturelle Hegemonie in ihrem Viertel. „Insofern werten sie dessen Einschränkung stets als einen Angriff gegen die Verwirklichung ihrer Zielsetzungen.“ Nicht umsonst kündigen der Freistaat, die Stadt und die Sicherheitsbehörden jetzt ein härteres Vorgehen und eine Sonderkommission gegen Linksextremismus an.
Seit einer Weile lässt sich in Connewitz beobachten, dass der Hype um Leipzig, das Wachstum der Stadt und steigende Mietpreise auch um das alternative Viertel keinen Bogen machen. Allein in der Wolfgang-Heinze-Straße, wo die Immobilienfirma der angegriffenen Prokuristin gerade eine Baugrube aushebt, entstehen auf wenigen Hundert Metern gleich mehrere private Wohnungsbaukomplexe.
„Gelegen in Leipzigs Süden treffen hier Kapitalanleger und Eigennutzer auf ein Immobilieninvestment, das im Immobilienmarkt der Metropole Maßstäbe setzt“, wirbt die Firma Wassermühle Immobilien. Auch an anderen Stellen drehen sich die Kräne, werden Brachflächen bebaut und Altbauten saniert. Mietpreise von mehr als zehn Euro sind nicht unüblich.
Ein Streetworker, der wohnungslose junge Leute betreut, kennt Connewitz seit den 1990er Jahren. Seine „Kids“, sagt er, gehörten garantiert nicht zu Randalierern. Aber über die Ursachen der Angriffe macht er sich Gedanken. „Es geht nicht darum, dass gebaut wird. Sondern darum, was gebaut wird“, nimmt er an. Meist seien es neue Wohnungen, die sich kaum jemand aus dem Viertel leisten könne, doch die den Mietspiegel weiter steigen lassen.

Wer von Hartz 4 lebe und unter der Wohnungsknappheit leide, werde früher oder später gezwungen, wegzuziehen. Eine Entschuldigung für Gewalt soll das keineswegs sein. Ohnehin dürfe man sich den Stadtteil nicht als eine geschlossene linksextreme Hochburg vorstellen. „Die linke Szene in Connewitz“, betont der Sozialarbeiter, „ist nicht homogen, es gibt keine Anführer.“
Um den „Mythos Connewitz“ besser zu verstehen, muss man auch dessen Geschichte kennen. Ende der 1980er Jahre wollte die DDR-Führung dort ganze Straßenzüge unsanierter Gründerzeitbauten abreißen. Dagegen wehrten sich etliche Besetzer und erhielten die Häuser. Anfang der 90er Jahre tobten heftige Straßenschlachten, die das heutige Ausmaß weit überstiegen – aber es gab auch „Sicherheitspartnerschaften“ mit der Polizei gegen angreifende Rechtsextreme, erinnern alte Bewohner des Viertels.
„Gemessen an der Zeit ist es heute ruhiger“, sagte eine ältere Dame in der Wolfgang-Heinze-Straße und verweist auf Punks und Rentnerinnen, die hintereinander an der Supermarktkasse stehen. Doch dessen Fenster sind nach mehreren Angriffen vergittert. Für eine Buchhändlerin ist Connewitz trotzdem ihr Zuhause: „Ich lebe seit fast 50 Jahren hier – und ich möchte auch nicht weg“, sagt sie. Dabei wurde ihr Geschäft bei den Ausschreitungen von Rechtsextremisten im Januar 2016 ebenfalls attackiert.

Klar ist: Ein gewisser Teil der Connewitzer Szene ist radikal, militant und schottet sich ab. Interviews werden klar abgelehnt. Selbst Wohlmeinende, die versucht haben, Konflikte zu moderieren, haben ihre Bemühungen mitunter aufgegeben. Laut Verfassungsschutz ist Leipzig mit etwa 250 Personen Schwerpunkt der autonomen Szene Sachsens und der Brennpunkt linksextremistischer Gewalt.
Autonome würden sich als Opfer von staatlicher Gewalt und von politischen Gegnern sehen. „Insofern halten sie ihre eigene Gewaltausübung für legitim.“ Klare Organisationsformen gebe es indessen naturgemäß nicht: „Strukturell ist die autonome Szene im Allgemeinen stark zersplittert und in örtlichen Szenen und Kleingruppen organisiert.“
Ob und wer den Angriff auf die Immobilienentwicklerin verübt hat, wird noch vom Landeskriminalamt ermittelt. Szenekenner halten den Angriff dabei für äußerst untypisch für die Szene. Der Angriff auf die Privatwohnung von Justizminister Sebastian Gemkow (CDU) Ende 2015 in der Leipziger Südvorstadt blieb indessen auch in zwei Gerichtsverfahren ungeklärt, der Beschuldigte wurde freigesprochen. Angeklagt war ein Mann aus der rechten Szene – doch eine Spur führte einen Polizeihund auch nach Connewitz.