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Matheweltmeister lässt die Köpfe qualmen

Wie Dr. Dr. Gerd Mittring aus Schülern am Dresdner Bertolt-Brecht-Gymnasium in zwei Stunden Kopfrechen-Asse machte.

Von Henry Berndt
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Haben das alle verstanden? Nur auf den ersten Blick wirkt Dr. Dr. Gerd Mittring wie ein besonders strenger
Mathelehrer. Nur zu gern will er seine Freude am Rechnen weitergeben – am liebsten an die Jüngsten.
Haben das alle verstanden? Nur auf den ersten Blick wirkt Dr. Dr. Gerd Mittring wie ein besonders strenger Mathelehrer. Nur zu gern will er seine Freude am Rechnen weitergeben – am liebsten an die Jüngsten. © Marion Doering

In diesem Raum soll wirklich niemand sitzen, der in einem Schaltjahr geboren wurde und vor dem 1. März Geburtstag hat? „Das ist statistisch höchst unwahrscheinlich“, sagt Dr. Dr. Gerd Mittring, der Wert auf seine beiden Doktortitel legt, aber trotzdem ziemlich sympathisch ist. Er lässt nicht locker: „Auf mindestens sieben oder acht Personen muss das zutreffen“, sagt er und tigert unruhig vor den Stuhlreihen auf und ab, bis sich doch ein Schüler erbarmt und als passender Proband für die nächste Aufgabe zur Verfügung stellt. Nach vorn an die Tafel zu müssen – dieser Gedanke verbreitet unter Schülern heute genauso wie früher Angst und Schrecken. Erst recht in der Mathematikstunde.

Doch diese Mathematikstunde ist keine gewöhnliche. In der Aula des Bertolt-Brecht-Gymnasiums in Johannstadt ist niemand geringeres zu Gast, als der zwölffache Kopfrechenweltmeister. Vor zwei Jahren stellte Gerd Mittring einen neuen Weltrekord im Wurzelziehen auf. In 6 Minuten und 1,4 Sekunden berechnete er im Kopf die 89247. Wurzel einer millionenstelligen Zahl. Jene Ausgangszahl füllte dabei ein Buch mit 156 Seiten. Diese Berechnung gilt bis heute als die größte Leistung, die je ein Mensch im Wurzelziehen im Kopf erbracht hat. Nicht nur für Normalos, die bei Aufgaben jenseits des kleinen Einmaleins automatisch nur noch einen Piepton hören, ist so etwas schwer verständlich. Keine Frage, dieses Genie liebt und lebt Mathematik.

Rund 200 Schüler von acht sächsischen Schulen bekamen am Freitagnachmittag die Chance dazu, ein paar Rechentricks des Großmeisters kennenzulernen. Einige von ihnen qualifizierten sich mit einer erfolgreichen Mathe-Olympiade für ihren Platz in der Aula, andere wurden gezielt über ein bundesweites Projekt zur Begabtenförderung hier hin gelotst. Über jenes Projekt namens „Leistung macht Schule“ konnte auch Mittring für den Vortrag gewonnen werden, der eher zu einem Workshop werden sollte.

Schon als der 50-Jährige den Raum betritt und seine Colaflasche auf den Tisch stellt, schaut er in die Runde, als nehme er die Zuschauermenge mal Pi. Dieser Blick, der direkt ins Hirn geht und prüft: Bei dir hat es Sinn – und bei dir nicht. Seine Freude darüber, es an diesem Tag mit einer ganzen Reihe junger Mathe-Freaks zu tun zu haben, ist ihm anzumerken.

Zunächst will er sich ein bisschen warmrechnen. Die Schüler sollen wahllos Zahlen rufen, die er im Kopf potenziert. Erst zweistellige, dann dreistellige, dann vierstellige. Statt die Aufgabe auf dem Flipchart zu notieren, schreibt er direkt die Lösung auf, ohne auch nur eine Sekunde nachzudenken. 713 zum Quadrat? Natürlich 508369. Schon bleibt den ersten Schülern der Mund offenstehen. Ungläubig schauen sie sich um. „Da es keine Proteste gibt, gehe ich davon aus, dass das Ergebnis richtig ist“, sagt Mittring.

Von Wochentagen und Fingertricks

Jetzt soll Aaron nach vorn kommen und mithilfe seines Smartphones eine beliebige vierstellige Zahl ins Quadrat nehmen. Der Weltmeister will nur das Ergebnis hören. 48790225. Genüsslich zieht Mittring die Wurzel und notiert: 6985. Niemand widerspricht. „Gerade Aufgaben wie diese sind innerhalb einiger Stunden erlernbar“, behauptet der Meister und macht den jungen Zuhörern schon mal Hoffnung.

Eines der beliebtesten Themen seiner Referate sei stets die Wochentagberechnung. Auch die sächsischen Schüler sind heiß auf das Wissen, wie um alles in der Welt man für jedes beliebige Datum in kürzester Zeit den korrekten Wochentag ermitteln kann. „Wer hatte als letztes Geburtstag?“, fragt Mittring. Maximilian durfte am 13. Januar feiern. Geboren wurde er im Jahr 2001. „Wir alle wissen, dass das ein Freitag war“, sagt Mittring und sorgt für respektvolles Gelächter. Dann erklärt er ausführlich seine selbstentwickelte Formel. Er spricht von 7er-Resten, ordnet jedem Wochentag und jedem Monat Kennzahlen zu, addiert ein paar Zahlen und teilt sie wieder durch 7. „Konnte mir jeder folgen?“ Das Nicken im Raum wird leiser. Einige Schüler schreiben alles eifrig mit. Andere haben angesichts bester Unterhaltung einfach ihren Spaß.

Höchste Zeit für ein bisschen Fingermathematik, wie Mittring es nennt. Die hat er erfunden, um auch diejenigen mitzunehmen, die von sich selbst behaupten, nicht rechnen zu können. Und tatsächlich: Zwanzig Minuten später lässt er die Schüler in der Aula mit Fingern nach unten (die „Bösewichte“) und nach oben (die „Guten“) nach Belieben zweistellige Zahlen miteinander multiplizieren.

Mathe kann so einfach sein. Aber auch so schwer. In seinem eigenen Abitur bekam der Mann mit einem IQ über 145 im Fach Mathematik einst eine glatte 5. Seine Erklärung dafür: „Meine Lösungen passten nicht ins Konzept meines Lehrers. Ich habe nicht verstanden, warum ich Zwischenschritte aufschreiben musste, wenn ich die Lösung doch schon hatte.“