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Herr Müller ist auf YouTube

Vor seinen Schülern kann Peter Müller wegen der Corona-Krise zurzeit nicht stehen. Deshalb macht der Lehrer aus Radebeul Unterricht per Video.

Von Nina Schirmer
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Das Rentensystem erklärt Peter Müller seinen Schülern bei YouTube mithilfe von Quietscheentchen.
Das Rentensystem erklärt Peter Müller seinen Schülern bei YouTube mithilfe von Quietscheentchen. © Screenshot: youtube

Radebeul. Hallo zusammen, ruft Peter Müller in die Kamera. Normalerweise guckt der Radebeuler in die Gesichter vieler Schüler, wenn er am Lößnitzgymnasium über ein Thema referiert. Doch seit die Schule coronabedingt geschlossen ist, geht das nicht mehr. Müller möchte trotzdem mit seinen Schülern in Kontakt bleiben und ihnen Unterrichtsstoff erklären. Deshalb filmt er sich jetzt täglich selbst und lädt die Filme auf seinem YouTube-Kanal hoch. Ursprünglich hatte er den mal für Videos über sein Hobby - alte Ventilatoren - angelegt, jetzt wird er als virtuelles Klassenzimmer genutzt.

Die ersten Filme hat er noch in der leeren Schule gedreht, inzwischen sieht man den Lehrer zu Hause am Schreibtisch sitzen, im Hintergrund seinen Computer, auf dem er Abbildungen und Grafiken zeigt. Müller unterrichtet Gemeinschaftskunde, Recht und Wirtschaft, in den Videos geht es um Themen wie  Arbeitslosigkeit, Konjunkturverlauf, Demografie im ländlichen Raum und Sicherheitspolitik. 

Das Rentensystem mit Quietscheenten erklärt

Damit es für die Gymnasiasten nicht zu abstrakt wird, greift der Lehrer auch mal zu ungewöhnlichen Hilfsmitteln. Das Rentensystem zum Beispiel erklärt er mithilfe von Quietscheentchen. 1888, als Bismarck die Sozialversicherungssysteme installierte, wurden die Menschen durchschnittlich 35 Jahre alt, referiert Müller und stellt drei Enten, die die junge, arbeitende Bevölkerung symbolisieren, auf. Darüber kommt ein Blechschild und obendrauf eine weitere Ente, die den Rentner darstellt. Das Konstrukt steht stabil. 

"Heute ist das durchschnittliche Lebensalter 80", erklärt der Lehrer weiter und nimmt unten eine Ente weg, weil ja vergleichsweise weniger arbeiten. Jetzt wird das Gebilde kippliger. Die Renten seien aber noch sicher, weil der Staat Geld hinzuschießt, verdeutlicht Müller. Schwierig wird es in Zukunft, wenn auf der arbeitenden Seite nur noch eine Ente steht, die oben eine Rentner-Ente finanzieren soll. "Egal wie viel Mühe ich mir gebe, es funktioniert nicht", kommentiert der Lehrer seinen Versuch, das Gleichgewicht herzustellen.

Für verschiedene Klassenstufen nimmt Müller solche Videos auf, je nach dem, was im Lehrplan gerade dran ist. Für die Zwölftklässler, die bald in die Abiturprüfungen müssen, wiederholt er den Stoff der letzten beiden Jahre. "Zum Glück habe ich dieses Jahr keine Schüler mit schriftlicher Prüfung", sagt er. Für die mündlichen Tests können sich die Abiturienten mit den Videos vorbereiten.

Kollegen zu digitalem Unterricht ermutigen

Sich Gedanken über den Unterricht während der Corona-Krise zu machen, ist für den Lehrer eine Selbstverständlichkeit. "Es macht mich wirklich fassungslos, wenn Kollegen den Schülern einfach sagen, sie sollen die Aufgaben im Lehrbuch abarbeiten." Schließlich bekämen die Pädagogen weiterhin ihr volles Gehalt und gerade jetzt müssten Aufgaben gestellt werden, die  mit dem Leben zu tun haben, findet Müller. "In Mathe zum Beispiel können die Schüler ja  mal ausrechnen, wie viel Prozent der Leute sich noch in einem Park aufhalten dürfen."

Die Videos von Peter Müller sind einfach gehalten, technisch nicht aufwendig und perfekt. Darum gehe es  nicht, sagt der Lehrer, der auch Kollegen ermutigen will, digitalen Unterricht auszuprobieren. Deshalb hat er auch sein erstes Video, bei dem die Tonqualität  ziemlich schlecht war, online gelassen. "Ich verspreche mich auch mal oder bilde grammatikalisch nicht perfekte Sätze, aber das passiert im Unterricht ja auch und es macht uns zu Menschen und nicht zu Robotern", sagt der Radebeuler. 

Nicht alle können sich Technik leisten

Viele Lehrer hätten Berührungsängste mit der Technik. "Schule ist sehr konservativ", sagt Müller. Er ist sogar der Meinung, Verweigerer unter den Lehrern sollten verpflichtet werden, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Dafür müsste der Arbeitgeber aber auch die Technik zur Verfügung stellen, damit es keine Ausreden gibt. "Wir unterrichten in Gebäuden des 19. Jahrhunderts mit Methoden des 20. Jahrhunderts."

Gleichwohl gebe es nicht nur Vorteile einer digitalen Schule. Eltern, die Geld haben, könnten in Technik für die Kinder investieren und andere nicht. Müller befürchtet eine Zweiklassengesellschaft in den Schulen, wenn dieses Problem nicht bedacht wird. In Radebeul habe vermutlich jeder Schüler ein Smartphone, aber in anderen, gerade großstädtische Gebieten, gebe es auch Familien, die sich die Technik nicht leisten können. Es dürfe nicht sein, dass irgendwann ein bestimmter Prozentsatz an Schülern durch den Unterricht nicht mehr erreicht wird, weil sich die Eltern kein Smartphone und keinen Laptop kaufen können.

Fitnessübungen für zu Hause

Abgesehen von Gemeinschaftskunde unterrichtet Peter Müller am Lößnitzgymnasium auch Sport. Deshalb gab es auch schon ein Video mit Fitnessübungen für die Schüler. Jetzt, wo er selbst auch nicht mehr in die Turnhalle darf, hat er solche Aufnahmen vorübergehend ausgesetzt. "Im Wohnzimmer würde das blöd aussehen", findet er. So bald es wärmer ist, soll es dann aber auch mal das ein oder andere Video aus dem Park geben, das die Schüler zur Bewegung motiviert.  Auch während der Osterferien will er weiter täglich Videos aufnehmen.

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