SZ + Feuilleton
Merken

Die Karikaturistin, die Mitleid mit Idioten hat

Die Bremerin Bettina Bexte gewann zweimal den Deutschen Karikaturenpreis. Sie lacht gern, aber merkt immer mehr, wie ihr Humor polarisiert.

Von Peter Ufer
 5 Min.
Teilen
Folgen
NEU!
Bettina Bexte gewann 2016 den Geflügelten Bleistift in Bronze und 2018 den Publikumspreis des Deutschen Karikaturenpreises.
Bettina Bexte gewann 2016 den Geflügelten Bleistift in Bronze und 2018 den Publikumspreis des Deutschen Karikaturenpreises. © Kerstin Rolfes

Bettina Bexte sitzt täglich im Café. Sie sitzt da gern einfach so rum, sieht aus dem Fenster auf den bewegten Ausschnitt des Alltags. Die Norddeutsche trinkt einen Latte Macchiato, hört die Gespräche am Nebentisch, wirft gedanklich Netze aus, fischt ab, was sie kriegen kann. Hier im „Coffee Corner“ an der Sielwallkreuzung im Zentrum von Bremen befindet sich ihr Fangplatz für Ideen. Die 55-Jährige skizziert den frischen Rohstoff in ein Buch. Später vermalt sie ihn zur Karikatur.

Dazu fährt sie mit dem Rad vom Café aus in ihre Altbauwohnung unweit des Weserstadions in den Stadtteil Peterswerder zurück. Dort döst Kater Tiger auf einem Sessel vor sich hin. „Ich liebe Bremen, die Leute haben die Ruhe weg. Und natürlich mag ich den Hafen, das Wasser. Es gibt viel zu gucken hier“, sagt die Zeichnerin. 

Geboren wurde die große schlanke Frau mit den langen braunen Locken 1964 in Buchholz bei Hamburg. Schon in der Schule wollte sie malen, am liebsten Illustratorin für Kinderbücher werden. Zunächst jedoch begann sie nach dem Fachabitur eine Tischlerlehre, aber das war nichts, sie wollte unbedingt Kunst studieren.

Die Bewerbung an der Kunsthochschule in West-Berlin ging schief. Bettina Bexte erhielt eine Ablehnung mit der schriftlichen Begründung, sie besäße kein Talent. „Damit wäre mein Ende als Zeichnerin besiegelt gewesen, wenn ich mich nicht zeitgleich an der Hochschule für Künste in Bremen beworben hätte. Die haben mich sofort genommen“, sagt die Künstlerin, die in den 1980er-Jahren erfolgreich Illustration und Trickfilm studierte. Während des Studiums besuchte sie ein Cartoon-Seminar und entdeckte das Humorfach. Sie entwickelte eigene Plots, Figuren, Texte, ohne mit einem Autor diskutieren zu müssen.

Bettina Bexte wollte schon in der Schule malen, begann jedoch nach der Schule erst einmal eine Tischlerlehre. 
Bettina Bexte wollte schon in der Schule malen, begann jedoch nach der Schule erst einmal eine Tischlerlehre.  © privat

Sie blieb in der Hansestadt an der Weser, arbeitete für verschiedene Verlage, heiratete, brachte zwei Kinder auf die Welt. Jetzt sind alle raus aus der Wohnung. Die Ehe zerbrach, der Mann zog aus, die Tochter lebt in Essen, befasst sich mit künstlicher Intelligenz, der Sohn studiert in Düsseldorf visuelle Kommunikation. „Der will dasselbe wie ich, das macht mir echt Sorgen“, sagt Bexte. Denn vom Zeichnen zu leben, das sei kein einfaches Leben. Sie wollte es aber genau so, selbstständig sein, selbst entscheiden, was ihr der Tag bringt, welche Idee sie fängt. Und vor allem wollte sie sich als Alleinarbeiterin durchschlagen.

„Ich verdiene nicht viel, aber kann machen, was ich will“, sagt die Bremerin. Altersvorsorgepanik habe sie keine, sei aber eine potenzielle Kandidatin für die gerade von der Bundesregierung beschlossene Grundrente. Bis zur möglichen Auszahlung der ersten Seniorenrate liefert sie weiter zuverlässig Karikaturen an verschiedene Zeitschriften wie den Stern, Brigitte, Juris, Nebelspalter, Eulenspiegel, Familie&Co, die Kinderzeitschrift Gecko oder Zeitungen wie den Weser Kurier, die Stuttgarter Nachrichten und an private Auftraggeber wie Ärzte. Einer von ihnen ist zum Beispiel Onkologe, der reist durch die Welt und erklärt mithilfe ihrer Bilder bei Vorträgen seine Behandlungsmethoden. Mit Humor gegen den Tumor.

Der gut geschützte Familiendackel war 2016 Bettina Bextes Antwort auf die wachsende deutsche Terrorangst. Die Jury zeichnete sie dafür mit dem Geflügelten Bleistift in Bronze aus. Im vergangenen Jahr avancierte Bexte zum Publikumsliebling. 
Der gut geschützte Familiendackel war 2016 Bettina Bextes Antwort auf die wachsende deutsche Terrorangst. Die Jury zeichnete sie dafür mit dem Geflügelten Bleistift in Bronze aus. Im vergangenen Jahr avancierte Bexte zum Publikumsliebling.  © Bettina Bexte

Bettina Bexte zeichnet auf jedem Blatt meist ein kleines Kapitel für die große Geschichte der Menschheit. Ihre Personen sind nie die Sieger, sondern stehen auf der anderen Seite. „Ich habe Mitleid mit den Idioten. Schadenfreude finde ich kein bisschen lustig“, sagt Bexte und gewann mit ihrer Sichtweise 2016 den Geflügelten Bleistift in Bronze und 2018 den Publikumspreis des Deutschen Karikaturenpreises. 

Dafür erfand sie ein vierteiliges Potpourri deutscher Schrulligkeit. Auf Bild eins knallt eine Frau im Supermarkt einen Warentrenner aufs Kassenband, auf Bild zwei werfen zwei deutsche Urlauber mitten in der Nacht ihre Handtücher auf die Liegen am Pool, auf Bild drei beschimpft ein Auto- einen Radfahrer, und Bild vier zeigt einen Schiedsrichter, der die Richtigkeit der Mülltrennung beurteilt. Der Deutsche wahrt Struktur, plant voraus, grenzt sich ab und maßregelt gern den jeweils anderen.

© Bettina Bexte

„Die Preise brachten mir viel Aufmerksamkeit“, sagt sie. Nachdem die Bremerin 2007 zwei Bücher, „Super-Mama“ und „Super-Oma“ im Carlsen-Verlag veröffentlichte, sei erst mal Schluss gewesen mit solchen Verlagsprodukten. Aber die positiven Reaktionen auf ihre Auszeichnungen haben ihr Schwung gegeben. 2017 brachte sie im Eigenverlag ein neues Buch heraus, „Fluch der Akribik“. Zur Präsentation des Cartoonwerkes entstand eine Show mit dem Bremer Saxofonisten Peter Dahm. Das Format nennt sich „Cartoonlesung mit Musik“, eine Mischung aus bewegten Bildern, gesprochenen Sprechblasentexten, passenden Geräuschen und Live-Musik. Dabei tauschen Musiker und Zeichnerin auch ihre Rollen, dann spricht er, sie spielt Bassklarinette. „Das macht echt Spaß“, sagt Bexte.

Humorarbeit gegen das Unsägliche

Allerdings sei die Humorarbeit in den vergangenen Jahren nicht einfacher geworden. „Ich kann mich immer weniger raushalten aus der politischen Diskussion. Doch nicht nur ich bekomme plötzlich Gegenwind oder Zustimmung von Seiten, von denen ich es nie erwartet habe. Da wird auch bewusst falsch verstanden, um einen zu instrumentalisieren“, erklärt Bettina Bexte. 

Sie habe das Gefühl, dass einerseits Begrenzung der Meinung stattfinde und andererseits Entgrenzung. Die Sprache verändere sich, sie klinge drastischer, brutaler, rauer. Das Unsagbare werde ausgesprochen und so zum Unsäglichen. „Der Grundkonsens für eine demokratische Gesellschaft existiert nicht mehr wie bisher“, sagt Bettina Bexte. Es würde nur noch über ein Entweder-Oder verhandelt, und die Zwischentöne fehlen. Da könne jede Karikatur zum Aggressionsauslöser werden.

Sie wolle eigentlich nur, dass die Leute Spaß haben und aus ihrer Zeichnung einen Gedanken mitnehmen. Ihr gehe es um menschliche Werte, die nicht aufzukündigen sind wie ein abgelaufener Kaufvertrag. Respekt und Verantwortung gegenüber anderen Menschen und der Natur seien nicht verhandelbar. Da wird sie plötzlich ernst. „Wir sollten deutlich entspannter miteinander umgehen“, meint Bexte. Dann lacht sie wieder, und es ist klar, dass sie sich die Laune nicht verderben lässt.