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Dresdens „schönste und freundlichste Straße"

Wie die „Straße der Befreiung“, heute Hauptstraße, vor 40 Jahren als sozialistischer Prachtboulevard das Stadtbild veränderte.

Von Ralf Hübner
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Die Straße der Befreiung 1981 als sozialistischer Boulevard mit Plattenbauten.
Die Straße der Befreiung 1981 als sozialistischer Boulevard mit Plattenbauten. © Sammlung Holger Naumann

Die Fassaden angegraut und immer wieder leer stehende Läden: Der frühere Prachtboulevard ist in die Jahre gekommen. Die einstige Straße der Befreiung in der Inneren Neustadt, die jetzt wieder Hauptstraße heißt, galt vor 40 Jahren, als sie am 4. Oktober 1979 kurz vor dem 30. Jahrestag der DDR offiziell übergeben wurde, als „schönste und freundlichste Straße“ Dresdens. Mehr als zehntausend Dresdner hatten sich am Goldenen Reiter versammelt, ein Spielmannszug sorgte mit flotten Märschen für den musikalischen Rahmen, die Sonne lugte hinter den Wolken hervor, wie die „Sächsische Zeitung“ berichtete. 

Oberbürgermeister Gerhard Schill (SED) hielt eine Rede, der damalige Erste Sekretär der SED-Bezirksleitung, Hans Modrow, durchschnitt das weiße Band, die Menschen strömten über die Allee. Sie bewunderten die in einer Vitrine aus dickem Glas aufgestellte Standuhr, die historischen Plastiken, die aus dem Zwinger dorthin gebracht worden waren, „warfen einen Blick in diesen oder jenen Laden, in diese oder jene Gaststätte“ und „genossen – soweit es bei dem Trubel möglich war – den Reiz dieses besonderen städtebaulichen Ensembles“, wie es hieß.

Fünf Jahre zuvor war mit dem Aufbau der während des Krieges zerstörten Straße als Fußgängerzone begonnen worden. Die fünfstöckigen Plattenbauten der Wohnungsbauserie WBS 70 mit vorspringenden Ladenzeilen orientierten sich an historischen Firsthöhen und Fluchtlinien.

Mehr als 1.000 Neubauwohnungen sowie erhalten gebliebene und sanierte barocke Bürgerhäuser aus dem 18. Jahrhundert verliehen der Straße eine anmutige Atmosphäre. Die sechs neuen gastronomischen Einrichtungen seien „jede auf ihre Art ein Knüller“, schrieb die Zeitung. Es gebe 18 attraktive „Einzelhandelseinrichtungen“ und „viel Platz zum Bummeln, zum Ausruhen und Schauen unter den alten Platanen.“

Die Hauptstraße um 1920. Die sich allmählich verjüngende Straße, ein Kunstgriff der Bauleute, ließ die Allee endlos erscheinen. 
Die Hauptstraße um 1920. Die sich allmählich verjüngende Straße, ein Kunstgriff der Bauleute, ließ die Allee endlos erscheinen.  © Sammlung Holger Naumann

Das bekannteste der rekonstruierten barocken Bürgerhäuser war das Haus „Gottessegen“, wo nach 1808 die Familie des Malers Gerhard von Kügelgen gewohnt hatte und wo dessen Kollegen und Größen wie Caspar David Friedrich oder Philipp Anton Graff verkehrt hatten. Die bei den Bauarbeiten freigelegten Gewölbekeller des ehemaligen Neustädter Rathauses wurden als Gaststätte „Meißner Weinkeller“ in die Laden- und Gastronomie-Zeile integriert.

Anfang August 1685 hatte ein großer Brand Altendresden, wie die jetzige Innere Neustadt damals hieß, in Schutt und Asche gelegt. Das Unglück bot Kurfürst Johann Georg III. Gelegenheit, das Gebiet nach den Vorstellungen eines absolut regierenden Herrschers neu zu ordnen, es repräsentativ zu gestalten und der Residenz anzugliedern. Die Regierung nahm deshalb den Wiederaufbau in eigene Regie.

Der Entwurf von Oberlandbaumeister Wolf Caspar von Klengel sah statt krummer Gassen ein großzügig angelegtes Straßennetz vor. Dieser Vorschlag stieß jedoch auf heftigen Widerstand des Altendresdner Rates, denn die Bürger fürchteten um ihren Besitz. Etwa ein Drittel der Grundstücke lag dort, wo künftig Straßen und Plätze vorgesehen waren. Der Plan sah auch vor, anstelle der schmalen Gasse zwischen dem Markt und dem Schwarzen Tor, dem jetzigen Albertplatz, eine breite Straße anzulegen, die jetzige Hauptstraße.

Geldmangel verzögerte zunächst die Ausführung, und 30 Jahre später lag das Gebiet noch immer brach. Dann drückte August der Starke beim Bau seiner Neuen Königsstadt aufs Tempo. Und weil die 1730 gerade erst fertiggestellte Dreikönigskirche der neuen Hauptstraße im Weg war, ließ sie der Kurfürst und König kurzerhand wieder wegräumen und von 1732 bis 1739 nach Plänen von Matthäus Daniel Pöppelmann an der Westseite der Straße neu bauen.

Geistige Größen trafen sich

Um ankommende Reisende zu beeindrucken, bedienten sich die Baumeister eines Kniffs, indem sie die rund 400 Meter lange Straße von anfangs 38 Meter bis zum Markt auf 52 Meter weiteten. Wenn Gäste nun durch das Schwarze Tor in die Stadt kamen, hatten sie so den Eindruck von räumlicher Weite, von der Augustusbrücke aus wirkte die Allee hingegen schier endlos. Die Straße wurde mit vier Reihen Linden bepflanzt. Auf roten Säulen standen Laternen. In der Mitte hatten die wichtigsten der Häuser ihren Platz. Von 1750 bis 1754 entstand an der Ecke zum Markt das ansehnliche Neustädter Rathaus, das bis zur Zerstörung 1945 das dominierende Gebäude am Platz blieb. 

Die neue Straße zog Gelehrte, Reisende und Künstler an. Im Haus des Juristen Christian Gottfried Körner, der Vaters des späteren Freiheitsdichters Theodor Körner, trafen sich die geistigen Größen der Stadt zum Gedankenaustausch. Es wurde musiziert, es wurden Leseabende gegeben. Auch Wolfgang Amadeus Mozart war bei seinem kurzen Dresden-Aufenthalt Gast der Körners. Die Hauptstraße galt als ein Ort, wo die Ideen der Aufklärung gepflegt wurden.

1807 fuhr Napoleon von Tilsit kommend in Gesellschaft von König Friedrich August I. zu seinem ersten Besuch in Dresden im Wagen durchs Schwarze Tor und durch ein Spalier von Soldaten an der Hauptstraße über die Augustusbrücke zum Schloss, begleitet vom Jubel der Menschen. Sechs Jahre später ritten 1813 während der Befreiungskriege König Friedrich Wilhelm von Preußen und der russische Zar Alexander auf dem gleichen Weg in die Stadt ein. Wieder kamen die Menschen geströmt. Nachdem die Festungsbauwerke abgetragen waren, entstand an der Stelle des Schwarzen Tores ein kreisrunder Platz mit der Hauptstraße als Mittelachse, der jetzige Albertplatz, der Mitte des 19. Jahrhunderts als einer der schönsten und prächtigsten Plätze Deutschlands galt.

Die Zerstörung Dresdens im Zweiten Weltkrieg traf die Innere Neustadt schwer. Die Markthalle und einige Häuser auf der Westseite der Straße kamen jedoch glimpflich davon. Viele Häuser, die den Feuersturm überstanden hatten, verfielen nach dem Krieg immer mehr, bis 1974 das Signal zum Aufbau kam.