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"Ich wollte doch nur mein Kind sehen"

Der Kampf um seine Tochter brachte Gerd-Walter Bertram in die Psychiatrie. Heute sind ihm nur seine Fotos geblieben.

Von Henry Berndt
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Nach längerer Eingewöhnungszeit fühlt sich Gerd-Walter Bertram inzwischen im Seniorenheim wohl.
Nach längerer Eingewöhnungszeit fühlt sich Gerd-Walter Bertram inzwischen im Seniorenheim wohl. © Sven Ellger

Die große Schublade des Nachtschränkchens neben seinem Bett ist randvoll mit Kameras. Große, schwere Kameras mit Film. Gerd-Walter Bertram wird immer ein leidenschaftlicher Fotograf sein, ganz gleich, welche Motive ihm sein Leben noch ermöglicht.

Seit Ende Januar wohnt der 75-Jährige in der "Pro Seniore Residenz" in der Dresdner Neustadt. Hier teilt er sich ein Zimmer mit einem anderen Bewohner. Bei seinem Einzug musste er die meisten seiner Möbel und den Großteil seiner Bibliothek zurücklassen. Immerhin hat sein fast neuer Ledersessel hier einen Platz gefunden. Der ist noch nicht mal abbezahlt.

16 Jahre lang hatte er zuletzt allein in einer Wohnung in Klotzsche gewohnt. Zeit, um zu Hause die wichtigsten Dinge zu packen und zu ordnen, war ihm nicht geblieben. Eine schwere Wirbelsäulenentzündung brachte ihn ins Krankenhaus und von dort direkt ins Pflegeheim. Erst wenige Monate zuvor hatte er nur knapp eine Lungenembolie überlebt. Nun konnte er kaum noch laufen, stürzte oft. Sein Betreuer suchte den Platz für ihn.

Die Briefe, Münzen und die meisten Bücher sind nun weg. Die Schränke sowieso. "Das war so gemein", sagt er, inzwischen habe er sich aber ganz gut eingelebt. "Die Pfleger sind alle lieb zu mir.“ Bertram hat Mühe zu sprechen, seit er vor einiger Zeit beim Essen seine Zahnprothese verloren - und nicht wiedergefunden - hat. Eine neue ist bislang nicht beantragt worden.

Seinem Rücken geht es aber inzwischen viel besser, was nicht zuletzt an der neuen Matratze liegt, die er mit Unterstützung der Stiftung Lichtblick bekommen hat. Seine kleine Rente fließt komplett in die Miete. Dazu kommt die Grundsicherung vom Staat. Das muss reichen. Oft reicht es nicht.

Eine Zeit lang hat Gerd-Walter Bertram viele Fotos von den anderen Bewohnern  im Heim gemacht. Das darf er jetzt nicht mehr wegen des neuen Datenschutzgesetzes. Dann fotografiert er jetzt eben die Häuser draußen im Hof. Weiter weg kommt er nur noch selten. Auch nicht zu seiner Kochgruppe in der Alaunstraße, die ihm lange Freude gemacht hat.

Früher, da nahm er seine damalige Pentacon Six überall mit hin. Am liebsten fotografierte Bertram seine Frau und seine Kinder. Gerade erst hat er wieder neue Abzüge der alten Fotos machen lassen. 40 mal 40 Zentimeter. 

Auf den Bildern sind zwei Mädchen zu sehen. Die größere ist seine Stieftochter Kathrin, die kleine seine leibliche Tochter Yvonne. "Yvonne ist jetzt 42", sagt Gerd-Walter Bertram und kämpft mit den Tränen. Das letzte Mal habe er sie gesehen, als sie sechs war.

Gerd-Walter Bertram mit seiner Tochter Yvonne, 1981  an der Elbe in Riesa.
Gerd-Walter Bertram mit seiner Tochter Yvonne, 1981  an der Elbe in Riesa. © privat

Er selbst stammt aus Magdeburg. Für seine Frau zog er einst nach Riesa. Allerdings hielt die Bindung nur vier Jahre. "Die Stasi hat meine Ehe kaputt gemacht", sagt er heute und berichtet von Anwerbeversuchen, auf die er sich nicht eingelassen habe. Wie genau die Stasi das angestellt haben soll, bleibt ungewiss.

Die erste Zeit nach der Trennung sei noch friedlich verlaufen, doch irgendwann habe ihm die Mutter verboten, seine Kinder zu sehen. Der fünf Jahre andauernde Kampf mit den Behörden und Gerichten habe ihn krank gemacht. Als er am Ende recht bekommen habe, seien seine "Nerven kaputt" gewesen und er sei für längere Zeit in der Psychiatrie in Arnsdorf gelandet. "Ich wollte doch nur mein Kind sehen, aber ich durfte nicht."

So gern würde er sich noch mal wie ein Papa fühlen. So aber ist er nur Rentner - und Elektroniker natürlich. Auf seinen Beruf war Bertram immer besonders stolz. Zu DDR-Zeiten arbeitete er beim VEB Zentrum für Forschung, Technologie und Mikroelektronik. Bis heute steht der Zusatz "Elektroniker" auf seinen Visitenkarten und Briefköpfen.

Regelmäßig schreibt er sich mit Brieffreunden in der Schweiz und in Kanada. Ein paar Kontakte mit der großen weiten Welt. Als seine Yvonne 16 war, hat auch sie ihm noch einen Brief geschrieben. Darin stand, dass sie ihn lieb hat. Dann verbot die Mutter auch das Schreiben. Für Gerd-Walter Bertram war es der letzte Kontakt zu seiner Tochter. Den Verlust hat er bis heute nicht überwunden. "Yvonne war doch immer ein so Papa-Kind", sagt er. "Sie hing immer an mir." Davon zeugen heute nur noch Erinnerungen und Fotos. Aber wenigstens die.

So können Sie helfen:

  • Die Stiftung Lichtblick veranstaltet dieses Jahr die 24. Spendensaison für unschuldig in Not geratene Menschen.
  • Die Spenden können online über dieses Formular überwiesen werden.
  • Der Überweisungsbeleg gilt bis 200 Euro als Spendenquittung. Für größere Überweisungen senden wir automatisch eine Quittung,
  • Hilfesuchende wenden sich bitte an Sozialeinrichtungen ihrer Region wie Diakonie, Caritas, DRK, Volkssolidarität, Jugend- und Sozialämter.
  • Die Sächsische Zeitung veröffentlicht automatisch die Namen der Spender. Wer anonym spenden will, vermerkt beim Verwendungszweck „Anonym“.
  • Erreichbar ist Lichtblick telefonisch Dienstag und Donnerstag von 10 bis 15 Uhr unter 0351/4864 2846, Fax - 9661. E-Mail: [email protected]. Post: Sächsische Zeitung, Stiftung Lichtblick, 01055 Dresden
  • www.lichtblick-sachsen.de
  • Konto-Nummer: Ostsächsische Sparkasse Dresden, BIC: OSDDDE81, IBAN: DE88 8505 0300 3120 0017 74

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