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Erdige Eiszapfen

Auf zwei Hektar wächst im Lausitzer Hügelland Spargel. Doch nach dem kalten Mai braucht das „weiße Gold“ dringend Sonne – und viele helfende Hände.

Von Miriam Schönbach
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Der geübte Schnitt: Armin Seifert (vorn) sticht seit fünf Jahren Spargel auf den Feldern der Lausitzer Hügelland Agrar AG. Sein Kollege Nico Putz gehört seit acht Jahren zum Team. Früh um 6 Uhr beginnt für sie die Arbeit auf dem Feld.
Der geübte Schnitt: Armin Seifert (vorn) sticht seit fünf Jahren Spargel auf den Feldern der Lausitzer Hügelland Agrar AG. Sein Kollege Nico Putz gehört seit acht Jahren zum Team. Früh um 6 Uhr beginnt für sie die Arbeit auf dem Feld. © Matthias Schumann

Haselbachtal. Der Asparagus mag gern so um die 20 Grad mit ein bisschen Sonne. Karina Rietscher schaut in den Himmel über Häslich. Gerade ziehen die dunklen Wolken ein bisschen auf. Kälte hat die Nacht trotzdem gebracht. Die Chefin der Spargelstechtruppe der Lausitzer Hügelland Agrar AG schlägt die Plane über den angehäufelten Beeten zurück und legt die Hand auf die kalte Erde. „Bei der Witterung wächst der Spargel sehr langsam. Selbst, wenn die Temperaturen jetzt steigen, brauchen die Dämme mindestens drei Tage zum Erwärmen“, sagt sie und schneidet mit einem langen Messer den gerade gewachsenen Schönling aus seinem Wachs-Reich.

Im viereckigen Metallkorb wandert das Gemüse so über das Feld. Karina Rietscher bildet mit Angelika Johne ein Team. In der Furche zwischen den Beeten steht das Wasser. Die Gummistiefel schmatzen bei jedem Schritt. Die Handgriffe der beiden Frauen sitzen wortlos. Erst kommt die Plane hoch. Aus der Erde stecken ein paar neugierigen Spargel ihre zarten Köpfe heraus. Die erdigen Eiszapfen kapern die Stecherinnen mit einem gezielten Schnitt. Mit der Kelle holen sie dann wieder den nach unten gerutschten Sand nach oben und drücken die Erde wieder an. Dann nehmen sie die nächste Stange ins Visier. Daumendick haben sie eine gute Stärke.

An diesem Morgen erinnern manche nur an den kleinen Finger. Angelika Johne holt ein solches Exemplar aus dem Boden. „Früher“, sagt sie und läuft weiter, „gab es hier nirgends Spargel. Schwarzwurzel kannten wir. Die mag ich heute noch gern“, sagt die 65-Jährige. Als Agrotechnikerin hat sie früher in der LPG gearbeitet, Traktor und Mähdrescher ist sie gefahren. Jetzt verdient sie sich beim Spargelstechen in den frühen Morgenstunden noch einen Obolus zur Rente dazu. Nach dem letzten Spargel geht es in den Urlaub. Aber jetzt befördert die Aushilfe ein paar Disteln vom Damm – und dann die nächste Stange in den Korb.

In der Spargelaufbereitung kommt das „weiße Gold“ direkt vom Feld an. Zuerst säubert Karina Rietscher die Stangen grob, bevor sie in der Sortiermaschine landen.
In der Spargelaufbereitung kommt das „weiße Gold“ direkt vom Feld an. Zuerst säubert Karina Rietscher die Stangen grob, bevor sie in der Sortiermaschine landen. © Matthias Schumann

Es ist Eile geboten. Die Morgenernte soll spätestens bis mittags in der Hütte und vor allem in der Spargelaufbereitung sein. Karina Rietscher stiefelt voran. „Anfang April haben wir die Dämme gezogen und die Folien gelegt“, sagt die gelernte Gärtnerin. Ihre Ausbildung hat sie im Spargeldorf Nieschütz zehn Kilometer flussabwärts der Elbe in der Nähe von Meißen absolviert. Im VEG Zierpflanzen kümmert sich die heute 50-Jährige damals um die Züchtung und Pflege von Azaleen und Hortensien. Nebenbei bekommt sie auch einiges rund um den Spargelanbau mit. „Gärtner war damals mein Traumberuf“, sagt die Haselbachtalerin und schlägt die Folie zurück. Drei Spargelköpfe genießen kurz das Tageslicht. Dann landen sie schon im Korb.

Christian Slotta kommt mit dem Spargelexpress an das andere Ende der gut 150 Meter langen Reihen. Er fährt gleich das „weiße Gold“ ins Nachbardorf zur Weiterbearbeitung. Karina Rietscher zeigt auf die Erde. Der typische Spargelboden im Brandenburgischen sieht da ganz anders aus. „Normalerweise mag der Spargel einen sandigen und luftigen Untergrund. Durch unseren schweren Boden bekommt er aber einen intensiveren Geschmack“, sagt sie und sticht wieder eine Stange. Vor 20 Jahren kamen in der Lausitzer Hügelland Agrar AG die ersten Spargelpflanzen in den Boden. Drei Jahre später gab es die erste Ernte.

Spargel galt einst als Heilmittel

Der erste urkundliche Anbau von Spargel in Deutschland ist auf 1565 datiert und führt den Spargelliebhaber in den „Stuttgarter Lustgarten“. Nach Ansicht von Historikern sollen Mönche die nötigen Pflanzen im Mittelalter über die Alpen nach Mitteleuropa in ihre Klöster mitgebracht haben. Damals galt der Spargel noch als Heilmittel für Leiden der Leber und Niere. Seine Wirkung schätzten bereits die Menschen in der Antike. Der römische Geschichtsschreiber Marcus Porcius Cato widmet dem Spargelanbau ein Kapitel in seiner Schrift „Über den Landbau“. Der Arzt Hieronymus Bock beschreibt das Gemüse 1539 in seinem „New Kreuterbuch“ als Arznei gegen Fieber und Wassersucht.

Lang und kurz, dick und dünn: Vor dem Verkauf werden die Spargel nach Güteklassen sortiert – von üppig-vollschlanken Exemplaren bis zur spindeldürrem Suppeneinlage.
Lang und kurz, dick und dünn: Vor dem Verkauf werden die Spargel nach Güteklassen sortiert – von üppig-vollschlanken Exemplaren bis zur spindeldürrem Suppeneinlage. © Matthias Schumann

Seinen Siegeszug tritt der Spargel Mitte des 16. Jahrhunderts, zuerst natürlich in den Königs- und Fürstenhäusern. Sonnenkönig Ludwig XIV. ließ sogar Spargel in den Gärten von Versailles anpflanzen. Für Otto-Normal-Spargel-Gourmet brechen bessere Zeiten Anfang des 20. Jahrhunderts an. Damals beginnt die systematische Spargelzüchtung – und die Anbaugebiete im heutigen Niedersachsen, Schleswig-Holstein und im Brandenburgischen wachsen. Über 100 Jahre später meldet das Statistische Bundesamt, dass 2018 knapp 130 000 Tonnen Spargel auf deutschen Feldern gestochen wurden. Der Pro-Kopf-Konsum von Spargel lag im Vorjahr bei 1,7 Kilogramm.

Karina Rietscher und Angelika Johne sind in der Mitte ihrer Reihe angekommen, ihre Körbe sind voll. „An guten Tagen holen wir hier 750 Kilo raus. Heute, schätze ich, bekommen wir wohl nicht mal 200 Kilo zusammen“, sagt die Spargelanbauchefin. Ihre Ausbeute wird wie die der anderen sechs Spargelstecher gewogen. Dann setzt sie sich mit ihrer Kollegin ins Auto, um zur Spargelaufbereitung ein Dorf weiter zu fahren.

Arbeit auf dem Feld beginnt 6 Uhr

Ihre Reihe übernimmt nun Armin Seifert. In der DDR hat der 71-Jährige die Milchviehanlage in Kriepitz geleitet, nach der Wende wechselte er als Putzer auf den Bau. Seine Beine stecken in wasserdichten, gelben Hosen. Die Jacke legt er ab.

Trotz niedriger Temperaturen kommt Armin Seifert ins Schwitzen. „Ich bin auf einem Bauernhof in Weißbach bei Pulsnitz groß geworden. Damals konnten wir uns nicht vorstellen, dass hier mal Spargel wächst“, sagt der Senior und hebt die Plane nach oben. Drei zarte Spitzlein sind zu sehen, ein weiterer Spargel versteckt sich noch in der Erde, auf der sich ein feines Muster abzeichnet. Es sieht aus, als hätte jemand die Grabegabel in die Erde gestochen und die Krumme leicht angehoben. Mit Zeige- und Mittelfinger gräbt er den Versteckling aus. Auch er landet bei den anderen Schönheiten im Korb. 

Immer Ende April heuert er wie seine Kollegen auf dem Spargelfeld an. Armin Seifert stapft weiter. „Drei Körbe sind normal pro Reihe. Das schaffen wir momentan noch nicht. Im vergangenen Jahr standen die Spargel hier dicht an dicht“, sagt er und schneidet mit dem langen Messer wieder eine Stange ab. Seit fünf Jahren gehört er zur Hügelland-Spargelbrigade. Damals stachen noch 20 Leute, doch den Job will keiner mehr machen, wissen auch andere Spargelerzeuger zu berichten. Für den 71-Jährige ist sein morgendlicher Ausflug mehr als Zeitvertreib. „Ich komme unter Leute, werde gebraucht und den Urlaub nach Ungarn finanziert es auch“, sagt er und legt seine zerbrechliche Beute in den Korb.

Neben dem Haselbacher Agrarunternehmen bauen etwa 20 Betriebe im Freistaat Spargel auf 265 Hektar an. Früh um 6 Uhr beginnt die Arbeit, drei Stunden später ist die Ernte beendet. Bei Häslich stehen etwa zwei Hektar „weißes“ Gold und die Variante in Grün. Mit ihren Spargelfeldern hat die Lausitzer Hügelland Agrar AG ihre Produktpalette erweitert. Für neue Ideen sind ihre Landwirte immer zu haben. Schließlich bauen sie nicht nur Getreide und Kartoffeln an und züchten Rinder. In den Becken des Landwirtschaftsbetriebs schwimmt auch der Afrikanische Wels in der Aquakultur. Neben der Spargelsaison kümmert sich Karina Rietscher auch um die Produktion des Schuppentieres.

Handarbeit am Laufband: Nach der Vorreinigung legt Angelika Johne die Spargel einzeln in die Sortiermaschine, wo das Gemüse noch mal gewaschen und auf eine Länge gebracht wird.
Handarbeit am Laufband: Nach der Vorreinigung legt Angelika Johne die Spargel einzeln in die Sortiermaschine, wo das Gemüse noch mal gewaschen und auf eine Länge gebracht wird. © Matthias Schumann

Die Hände der Spargelbrigade-Chefin stecken inzwischen in Handschuhe, mit einer großen Schürze schützt sie sich vor dem spritzenden Wasser in der Spargelaufbereitung. Gerade hat Christian Slotta eine neue Fuhre frische Ernte vorbeigebracht. Zur ersten Reinigung nimmt Karina Rietscher einen Wasserschlauch von der Wand und spritzt die Erde grob ab. Dann kommt das kostbare Gut in ein großes Waschbecken. Drei Kisten passen dort locker nebeneinander. Davor steht Angelika Johne und macht schon eine erste Gütekontrolle, bevor sie die Stangen auf die Spargelaufbereitungsmaschine sortiert. Nun heißt es noch mal waschen, schneiden – und legen – und zwar in die passende Kiste und nach ganz speziellen Qualitätskriterien.

Ganz links landen vor Karina Rietscher die besten Schönlinge, ganz rechts endet der Suppenspargel in seinem Fach. Gute Qualität überwiegt an diesem Stechtag. „Der Spargel wächst zwischen zehn bis zwölf Zentimeter am Tag. Wenn er zu lange steckt, aufgrund der Witterung, wird er braun“, erklärt die Asparagus-Fachfrau die dunklen Stellen an einigen Grazien, die sie aussortiert. Schließlich soll nur die beste Ware beim Kunden direkt, in der Hütte am Nahkauf in Gersdorf oder zahlreichen Gaststätten aus der Region landen. Und die Spargelsaison geht noch einen guten Monat. Traditionell endet die Ernte am 24. Juni, dem Johannistag.

Zwischen üppig-vollschlank und spindeldürr

Zwei spargelhungrige Damen schauen in der Spargelaufbereitung vorbei. Neben der gewünschten Ware bekommen sie gleich auch noch einen Rezepttipp. „Zu Spargel braucht es kein Fleisch. Die Italiener machen es uns vor. Probieren Sie mal Spargel und Nudeln“, sagt Karina Rietscher und verabschiedet sich von ihren Kundinnen. 

Dann geht sie wieder in den gekachelten Raum und widmet sich ihren schlankgewachsenen Sprösslingen. An ihrer Gütekontrolle kann sich keiner von ihnen auf dem rollenden Laufsteg vorbeimogeln. Konzentriert gehen die unterschiedlichen Güten zwischen üppig-vollschlank und spindeldürr in ihre zugeteilten Kisten.

Die Finger fliegen in Windeseile über die Apparatur. „In den Hoch-Zeiten stehen wir hier auch manchmal bis 15 Uhr und dann müssen wir aufpassen, dass wir an manchen Tagen selbst noch ein paar Spargel abbekommen“, sagt Karina Rietscher lachend. Über das Laufband kommt bereits die nächste Fuhre angekullert – und draußen kämpft sich mühsam die Sonne durch das Dunkelgrau der Wolken. Jetzt muss es nur noch ein bisschen wärmer werden. Denn der Asparagus wächst ja am liebsten bei Temperaturen so um die 20 Grad.