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Erst Bühnenleiche, dann Festivalchefin

Das Dresdner Drum & Bass-Festival setzt jetzt auf klarere Strukturen, auf mehr Programm und auf gehörloses Publikum.

Von Andy Dallmann
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Macht mal richtig Lärm! Pitti Hecht, der bereits Trommelkurse in über 30 Ländern gab, wird in Dresden jetzt vor allem die Kinder auf Touren bringen.
Macht mal richtig Lärm! Pitti Hecht, der bereits Trommelkurse in über 30 Ländern gab, wird in Dresden jetzt vor allem die Kinder auf Touren bringen. ©  PR

Die neue Chefin staunte zunächst selbst, was für ein absolut massentaugliches Spektakel dieses Festival ist, um es dann zu retten und gleich noch zu leiten. Vor einem Jahr erklärte Matthias Barthel, der das Dresdner Drum & Bass-Festival erfunden und zwölf Jahre lang maßgeblich organisiert hatte, sich ausklinken zu wollen. Sein Finale wurde Karoline Müllers Premiere. „Ich wusste gar nichts von diesem Festival, wurde zufällig mitgenommen und war absolut begeistert.“ Trafen dort eben nicht ausschließlich Schlagzeuger und Drummer aufeinander, um sich wechselseitig die Taschen vollzuhauen, sondern lauter offene Menschen, Gleichgesinnte mit großer Lust auf Musik. Ein zutiefst entspanntes Publikum, das sich austauschte, feierte und exquisite Konzerte genoss.

„Als ich mitbekam, dass es keine Fortsetzung ohne ein neues Team geben wird, war ich schockiert“, sagt Karoline Müller. „Dresden braucht nicht weniger, sondern eindeutig mehr solche komplexe Veranstaltungen. Da blieb mir förmlich keine andere Wahl.“

Zusammen mit Philip Brehmer, einem befreundeten Dresdner Schlagzeuger, meldete sie ihr Interesse beim scheidenden Festival-Chef an. Der reichte umgehend die Verantwortung weiter an die neue Doppelspitze, stand jedoch weiterhin als Berater zur Verfügung. Regelmäßig werde Karoline Müller seither gefragt, ob sie denn nun Bassisten oder Schlagzeugerin sei. Noch immer schafft sie es, lachend zu antworten: „Ich kann gar kein Instrument spielen, aber ich höre sehr, sehr gern und intensiv Musik.“ Seit einem Jahr macht sie das sogar mit dem klaren Auftrag, aus der Masse an Bewerbern die Musiker rauszufiltern, die zum Drum & Bass-Festival passen.

Dieses erlebt am Wochenende dank Karoline Müllers Einsatz seine 13. Auflage und ist noch ein Stück weiter vom vermeintlichen Nischen-Ereignis weggerückt.

Workshops, Kinderprogramm, Konzerte und Partys blieben. Doch diesmal wird deutlich mehr geredet. Etwas, das sich tatsächlich aus Karoline Müllers Broterwerbs-Job ergibt. Die Kommunikationspsychologin arbeitet bei der Dresdner Jugendhilfe genau mit solchen Kindern, um die es im diese Woche angelaufenen Kinofilm „Systemsprenger“ geht. Kinder, die Halt suchen, aber nicht ausreichend klar vermitteln können, wie das konkret für sie aussehen soll. Nicht wirklich therapeutisch, vielmehr auf Austausch gepolt ist die Gesprächsrunde „Vom Flüstern zum Schreien“, die am Sonnabend ab 18.30 Uhr in der Scheune stattfindet und die Veränderungen in der hiesigen Kulturlandschaft seit dem Mauerfall thematisieren soll. Dabei sind unter anderem Udo-Lindenberg-Schlagzeuger Bertram Engel, Rammsteins Drum-Techniker Rossi Roßberg und Torsten Wiegel, Chef des Bautzner Steinhauses. Die Chefin hält sich dabei eher im Hintergrund, dabei hat sie einschlägige Bühnenerfahrungen. Unter anderem als Statistin an der Semperoper. In Verdis „Macbeth“ stand, besser lag die 36-Jährige als Leiche auf der Bühne. „Kein leichter Job, wenn erst der ganze Chor über einen drüber rennt und dann aus vollem Hals singt, man sich aber nicht mal zucken darf.“

Karoline Müller ist ein Teil der Doppelspitze, die das Dresdner Drum & Bass-Festival fortführt und sanft erneuern will.
Karoline Müller ist ein Teil der Doppelspitze, die das Dresdner Drum & Bass-Festival fortführt und sanft erneuern will. ©  privat

Karoline Müller lacht diskret, verweist dann mit fast ernster Miene darauf, dass dieses Nerventraining eine gute Vorbereitung auf die Festivalleitung gewesen sei. „Hätte ich das auch übernommen, wäre mir klar gewesen, wie viel Arbeit das ist?“ Drei Sekunden Pause, einmal durchatmen. „Ja, selbst dann hätte ich’s gemacht.“

Jetzt weiß sie immerhin auch, dass eine nach anfänglicher Skepsis doch abgeschlossene Reiserücktrittsversicherung hilfreich ist, kommt ein Musiker eben nicht wie ursprünglich geplant aus Los Angeles, sondern fliegt aus Tel Aviv ein. Bei einem Festival, das komplett ehrenamtlich organisiert wird, zählt nun mal jeder Euro.

Um eine völlig neue Zielgruppe anzusprechen, geben die Macher hingegen gern zusätzlich Geld aus. „Wir haben uns beraten lassen, was wir tun müssen, um das Festival für Gehörlose erlebbar zu machen.“ Gebärdendolmetscher für Vorträge sind nun dabei, für Konzerte wurden Ballons angeschafft. Karoline Müller: „Mit denen in den Händen können Gehörlose bestimmte Frequenzen spüren. Am besten funktioniert das, wenn sie zudem barfuß in der ersten Reihe stehen.“ Die Resonanz bei Betroffenen sie zwar gut gewesen, wie viele tatsächlich kommen, sei nicht absehbar. „Doch wir halten auch künftig an diesem Angebot fest.“ Der Name des Festivals hingegen wackelt. „Es passiert leider, dass Leute denken, wir machen eine Drum ’n’ Bass-Party“, erklärt die Chefin. „Also überlegen wir intensiv, wie wir das Ganze nächstes Jahr nennen.“ Fest steht bereits, dass mit strafferen Strukturen mehr Programm geboten werden soll. „Mit mehr Partnern und mehr Bühnen“, sagt Karoline Müller. „Vor allem auch außerhalb der Neustadt.“

Das Dresdner Drum & Bass-Festival findet vom 20. bis 22. September statt. Austragungsorte sind Scheune, Groove Station, Katys Garage und das Ballroom Studio. Der Festivalpass kostet 40 Euro, einzelne Konzertkarten gibt es für zehn Euro. Das komplette Programm: www.dresdner-drum-bass-festival.de