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„Es ist schön, wieder an der Grube zu stehen“

Die frühere Weltklasse-Weitspringerin Heike Drechsler hat besondere Erinnerungen ans Dresdner Heinz-Steyer-Stadion. Der Jugend will sie nun etwas zurückgeben.

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Ex-Weltrekordlerin Heike Drechsler gibt U-20-Weltmeisterin Lea-Jasmin Riecke an der Sprunggrube Tipps.
Ex-Weltrekordlerin Heike Drechsler gibt U-20-Weltmeisterin Lea-Jasmin Riecke an der Sprunggrube Tipps. © Ronald Bonß

Sie zögert nicht lang. Als kurz vor der Eröffnung des Weitsprung-Wettbewerbs am Samstagmittag ein Helfer an der Sandgrube fehlt, nimmt Heike Drechsler den Rechen in die Hand. Diesmal hat die zweimalige Olympiasiegerin zwar offiziell keinen Kampfrichtereinsatz wie bei der Leichtathletik-EM im vorigen Sommer in Berlin. Dennoch ist sie sich – selbst als Ehrengast beim DSC-Jugendmeeting – nicht zu fein, kurz auszuhelfen. Aus Erfahrung weiß sie: „Die Kampfrichter bekommen immer alles ab, wenn es beim Athleten nicht läuft.“ Vor zwei Jahren machte Drechsler als Mitglied des LAC Olympia Berlin ihren Schein als Kampfrichterin. „Es ist schön, wieder an der Grube zu stehen. Es ist mir ein Bedürfnis, etwas zurückzugeben“, sagt sie über ihr Ehrenamt.

Die Rückkehr ins Heinz-Steyer-Stadion und insbesondere an die Weitsprunganlage ist für die frühere Weltklasseathletin mit besonderen Erinnerungen verbunden. Die Tribünen waren damals noch gut gefüllt. Am 3. Juli 1986 sprang sie beim 24. Olympischen Tag im sechsten Versuch mit 7,45 Metern Weltrekord und egalisierte damit ihren Super-Sprung von Tallinn, der erst zwölf Tage zurücklag. „Dresden hatte immer gute Windbedingungen. Es war einer dieser ganz besonderen Momente“, sagt Drechsler beim Blick auf die Videoleinwand. Dort laufen gerade Filmsequenzen von ihrem Rekordsprung.

Zwei Meter daneben stehen die jungen Weitspringerinnen am Anlauf vor der neugebauten Tribüne. Ob sie alle noch wissen, wer Heike Drechsler ist? „Ja, das denke ich schon“, sagt sie mit einem Grinsen. Die gebürtige Jenaerin hat im Weitsprung alles abgeräumt, sie wurde zweimal Weltmeisterin – einmal vor und einmal nach der Wende. 1992 gewann sie in Barcelona Olympiagold und wiederholte diesen Triumph sogar noch einmal 2000 in Sydney.

Drechsler verfolgt den Wettkampf und hat ein besonderes Auge auf die 19-jährige Lea-Jasmin Riecke geworfen. Die Magdeburgerin ist U-20-Weltmeisterin, eines der größten Talente in dieser Disziplin. In ihrem Alter war Drechsler schon Weltmeisterin bei den Erwachsenen – mit 18 Jahren übrigens die bis heute Jüngste. „Das war eine andere Nummer. Ich habe schon als 16-Jährige mit 6,91 Metern die DDR-Meisterschaften gewonnen“, meint die Thüringerin. „Wir hatten eine ganz andere Breite, haben uns gegenseitig gepusht – auch international.“ Mit der aktuellen Weltrekordlerin Galina Tschistjakowa (7,52 m) aus der damaligen Sowjetunion lieferte sie sich einige Duelle.

Auf Lanzarote fliegen gelernt

„Du musst mutig sein, es einfach fliegen lassen“, ruft Drechsler nach dem fünften Versuch zu Riecke, der Juniorsportlerin des Jahres 2018. Am Samstag haben die Springer starken Rückenwind. Die 54-Jährige liebte einst solche Bedingungen: „Das muss man richtig reinknallen und den Mut haben, die Geschwindigkeit mit in den Sprung zu nehmen.“ Ihre Trainingsgruppe war oft auf Lanzarote, wo es immer windig ist. „Dort habe ich fliegen gelernt.“

Angeschoben von 3,2 Metern pro Sekunde Rückenwind springt Riecke im letzten Durchgang 6,43 Meter und siegt. Eine der ersten Gratulantinnen ist Drechsler, die der Abiturientin noch größere Weiten zutraut. „Es ist cool, wenn Heike Drechsler daneben steht, und natürlich eine besondere Motivation“, meint Riecke, die in diesem Jahr die WM-Norm von 6,72 Metern angeht. „Irgendwann will ich auch mal sieben Meter springen.“ Dieser magischen Marke am nächsten kommt derzeit Europameisterin Malaika Mihambo mit einer persönlichen Bestleistung von 6,99 Metern.

In nicht allzu ferner Zukunft könnte es auch mal wieder einen 7-Meter-Sprung im Steyer-Stadion geben, zumindest werden die Voraussetzungen dafür geschaffen. Der Stadtrat ebnete im vorigen Jahr den Weg für das seit Jahren größte städtische Sportprojekt. Das Stadion wird für rund 32 Millionen Euro um- und ausgebaut. 2021 beginnt die Bauphase, 2024 sollen die deutschen Leichtathletik-Meisterschaften in Dresden stattfinden. „Es ist ein wunderschönes Stadion mit so viel Charme. Ich habe nie verstanden, warum es hier nach der Wende kaum Wettkämpfe gab“, meint Drechsler und spricht von einem „Traum, wenn dieses Stadion im neuen Glanz erstrahlt“. Dresden hätte so viel zu bieten, und neben der Kultur gehöre eben auch der Sport dazu, findet die Wahl-Berlinerin.

Dass Drechsler dann bei einer Senioren-Meisterschaft antritt, ist allerdings ausgeschlossen. „Ich habe meine lange Karriere gesund abgeschlossen“, meint die Botschafterin einer Krankenkasse. Fürs Sportabzeichen springt sie einmal im Jahr in die Grube und schafft immerhin noch fünf Meter. Ihre Fitness holt sich Drechsler, die wie eh und je sportlich-schlank aussieht, beim Laufen oder Radfahren. Hin und wieder startet sie bei Volksläufen. „Aber da kann ich die Leute entspannt an mir vorbeiziehen lassen.“ Ganz anders als früher.