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Wir wollten Freiheit für alle Schulen

Elke Urban hielt bei den Leipziger Montagsdemos ein Pappschild für freie Schulen in die Höhe. Ein Text aus der Reihe "Perspektiven". 

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© dpa/David-Wolfgang Ebener

Von Elke Urban

Seit fast 30 Jahren gibt es in Sachsen endlich wieder das Recht, Freie Schulen zu gründen. Das war zuvor über 50 Jahre lang verboten. Die ersten Freien Schulen wurden bereits 1990 genehmigt. Ein Gesetz dafür wurde von der letzten, frei gewählten Volkskammer der DDR verabschiedet. Nach der Gründung des Freistaates Sachsen wurden eigene sächsische Schulgesetze erlassen, die sich am Grundgesetz Artikel 7 und dem Artikel 102 der sächsischen Verfassung ausrichten mussten. Dieser speziell sächsische Aspekt ist eine Errungenschaft der Friedlichen Revolution von 1989. Wie es dazu kam, warum es wichtig ist, dieses erkämpfte Recht wertzuschätzen und warum mich die zunehmenden Versuche erschrecken, Freie Schulen zu verhindern, möchte ich im Folgenden schildern.

Als die Sächsische Verfassung am 27. Mai 1992 unterzeichnet wurde, war die Sprache der Friedlichen Revolution in mehreren Artikeln wahrnehmbar. Es ist der Geist der 89er-Bürgerbewegung, der uns hier besonders auffällt. Darauf können wir heute stolz sein. Mein Pappschild „Wir wollen Freie Schulen“ hatte mich bei den Montagsdemonstrationen in Leipzig und im Neuen Forum mit Gleichgesinnten von der Kirche und von der Straße zusammengebracht. Die Vision von einer Schule, die ganz anders sein sollte als die DDR-Einheitsschule, hatte uns – ein Häuflein von Künstlern, Ärzten und ganz wenigen Lehrerinnen – zur Initiative Freie Pädagogik zusammengeführt. Wir wollten mehr als nur einige freie Schulgründungen. Wir wollten die Freiheit für alle Schulen, die damit verantwortungsvoll umgehen können und wollen.

Elke Urban
Elke Urban © Facebook

Weil ich das Ende der DDR und die Einheit Deutschlands wollte, wurde für mich das Grundgesetz der Bundesrepublik zum Maßstab für alle weiteren Überlegungen. Am besten gefiel mir im Artikel 7 der Satz: Das Recht zur Errichtung von privaten Schulen wird gewährleistet. An diesem Satz störte mich das Wort „privat“, weil ich das sofort mit Schulgeld in Verbindung bringen musste, das für uns völlig undenkbar war. Wir wollten nicht nur kleine Inseln für wenige zahlungskräftige, bildungsbewusste Eltern. 

Eine Sonderung nach den Besitzverhältnissen der Eltern war uns vollkommen suspekt. Das hat uns ja zum Glück auch das Grundgesetz untersagt. Auch das Wort „Ersatzschule“ störte mich. Bei unseren Bemühungen um schulische Innovationen wollten wir natürlich das Original. Nach der Idee unserer Verfassung sollten alle Schulen, egal in welcher Trägerschaft, öffentliche Schulen sein, die in den neuen Verfassungen und Schulgesetzen auch gleichrangig zu behandeln sind. Die Monopolstellung des Staates über die Schulen hatten wir lange genug leidvoll erfahren. Nie wieder sollte eine Ministerin allein darüber befinden dürfen, was für alle gut und richtig ist.

Im Januar 1990 hatte unsere „Initiative Freie Pädagogik“ in den Hörsaalbau der Leipziger Universität eingeladen. Wir lernten verschiedenste Schulansätze kennen. Wir nahmen die Anregungen dankbar auf, wollten aber durchaus auch eigene neue Wege gehen. Die Euphorie war grenzenlos – trotz aller politischen und wirtschaftlichen Unwägbarkeiten. In unserer „Leipziger Erklärung für Freiheit im Bildungswesen“ vom April 1990 hieß es unter anderem: Zivilcourage hat den staatlichen Rechtsrahmen gesprengt. Auch Bildung und Erziehung sind im Aufbruch. Jetzt wollen wir als Bürger die Schulen umgestalten. Schulen gedeihen besser in Bürgerhand als in Staatshand. Schaffen wir mehr Freiheit für alle Schulen! Im Interesse der Kinder haben die Eltern das Recht auf freie Wahl der Schule. Der Staat muss eine Vielfalt von Schulen in staatlicher, kommunaler und freier Trägerschaft gewährleisten. Wir fordern Schulchancengleichheit – rechtlich und finanziell.

Unsere Autorin:

Elke Urban, geboren 1950 in Altenburg, war Lehrerin für Musik und Französisch. Sie quittierte 1975 wegen der zunehmenden Militarisierung und des politischen Drucks den DDR-Schuldienst. Nach der Wende war sie Vorsitzende mehrerer Schulgründungsvereine und von 2000 bis 2015 Leiterin des Leipziger Schulmuseums.

Unsere Autorin:

Unter dem Titel Perspektiven veröffentlicht die SZ kontroverse Texte, die zur Diskussion anregen sollen.

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Von Gleichrangigkeit weit entfernt

Mit einem Mandat der Initiative Freie Pädagogik konnte ich vom 10. bis 12. Oktober 1990 an den Beratungen zur sächsischen Verfassung in Gohrisch teilnehmen. Unsere Vorschläge für den Bildungsartikel 102 leuchteten ein: Unterricht und Lernmittel an den Schulen in öffentlicher Trägerschaft sind unentgeltlich. Damit waren selbstverständlich alle öffentlich legitimierten Schulen gemeint, egal ob in staatlicher oder in freier Trägerschaft. Die altmodischen Begriffe „Ersatzschulen“ oder „Privatschulen“ wurden nicht mehr verwendet. Ein Satz aus der baden-württembergischen Verfassung gefiel mir besonders. Er wurde noch zusätzlich mit aufgenommen. Soweit Schulen in freier Trägerschaft, welche die Aufgaben von Schulen in öffentlicher Trägerschaft wahrnehmen, eine gleichartige Befreiung gewähren, haben sie Anspruch auf finanziellen Ausgleich.

Die Gleichrangigkeit aller Schulen schien mir damit für Sachsen festgeschrieben. Schulen in freier Trägerschaft hätten ohne Schulgeld arbeiten und sich ihre Freiheit nicht „erkaufen“ müssen. Das Engagement der Eltern hätte sich dann auf pädagogische Sonderwünsche oder auf spezielle Bauvorhaben beschränken können. Wir wissen, dass es anders gekommen ist. Die Interpretation unseres einzigartigen Verfassungsartikels 102 wurde im Laufe der Jahre immer mehr von westlichen Unarten überschüttet. Eine mehrjährige Wartefrist überging die spezifischen Bedürfnisse eines ostdeutschen Bundeslandes.

Das neue Gesetz schränkt nun die Handlungsspielräume dieser Schulen noch weiter ein. Die Personalkosten werden nur zu 90 Prozent anerkannt. Von einer Gleichrangigkeit sind wir weiter entfernt als vor 25 Jahren. Die Vorstellung von Schulvielfalt, die den Eltern das Recht auf eine freie Schulwahl ohne Schulgeld einräumt oder die den verschiedenen Schulträgern gleiche Chancen auf eigene Entwicklungsmöglichkeiten gestattet, wurde von Landesregierung und Schulverwaltung immer stärker zurückgedrängt. Immer mehr wurden die Schulgründungsinitiativen zu Bittstellern degradiert. Die Hürden für Genehmigungen von Schulen in freier Trägerschaft erhöhten sich von Jahr zu Jahr.

Mehr Neugier und mehr Mut zur Freiheit

Zwischen 1995 und 2010 verschärfte der dramatische Geburtenrückgang in Sachsen noch zusätzlich die Spannungen zwischen Elternwünschen und Verwaltungshandeln. Mehr als 200 sächsische Schulen wurden wegen fehlender Kinder geschlossen. Immerhin wurden einige dieser Schulen von Eltern ein Jahr später in freier Trägerschaft wieder eröffnet. Ich kann verstehen, dass die Verwaltung durch diese Gegenbewegung mehr als irritiert war. Die Eltern wollten zunächst ihren Kindern stundenlange Schulwege ersparen, mussten sich aber für eine Genehmigung einer Grundschule darüber Gedanken machen, ob sie eine reformpädagogisch interessante oder eine evangelische Schule haben wollten. Meistens wollten sie beides.

Inzwischen hat sich die demografische Situation vollkommen geändert. Die sächsischen Großstädte kommen nicht mehr nach mit ihrem riesigen Bedarf an neuen Schulen, die plötzlich geschaffen und gebaut werden müssen. Wie gut und nützlich wäre da eine Politik gewesen, die Eltern noch mehr dazu ermutigt hätte, neue Schulen zu gründen? Zudem fehlen Lehrer überall in Sachsen. Mehr Freie Träger hätten diese jungen Leute vielleicht mit unbefristeten Stellen und ordentlicher Bezahlung vom Weggehen abhalten können. Oder sie hätten noch mehr geeignete Lehrer aus anderen Bundesländern nach Sachsen gelockt. Fehlender Beamtenstatus ist nicht der einzige Grund, warum einige Lehrer nicht im staatlichen Schulsystem in Sachsen arbeiten wollen.

Es gibt gute sächsische Schulen in freier und in staatlicher Trägerschaft, die sich auf den Weg gemacht haben, in Freiheit und Verantwortung Neues zu erproben oder auch gegen den Mainstream unsinniger Vorschriften Bewährtes zu erhalten. Ich wünsche mir bei den Verantwortlichen in der Bildungspolitik und in der Verwaltung mehr pädagogische Neugier und mehr Mut zur Freiheit. Dann wird bürgerschaftliches Engagement im Bildungswesen belohnt. Dann hätte der Geist der Friedlichen Revolution eine Überlebenschance auch noch für die nächste Generation.