SZ + Dresden
Merken

Geld weg für neue Radwege

Dresdner Radfahrer demonstrieren für eine Verkehrswende. Doch dafür fehlt gerade über eine halbe Million Euro.

Von Kay Haufe & Melanie Schröder
 2 Min.
Teilen
Folgen
Sie fordern ein Umdenken: Über die Albertstraße sind laut dem Bündnis Verkehrswende Dresden am Montag 500 Menschen zur Carolabrücke gezogen.
Sie fordern ein Umdenken: Über die Albertstraße sind laut dem Bündnis Verkehrswende Dresden am Montag 500 Menschen zur Carolabrücke gezogen. © Sven Ellger

Für eine Stunde wird die Carolabrücke umgenutzt: Autos fahren nur noch stadtauswärts, die zwei Fahrspuren Richtung Innenstadt werden zum Freiluftwohnzimmer. Einige haben Liegestühle mitgebracht und reihen Grünpflanzen um sich auf. Auch Yogamatten und Tücher werden ausgebreitet, Tische und Stühle aufgestellt. In der Nachmittagssonne picknicken Hunderte, eine Familie klopft Karten, eine Band spielt sich warm. Dass das Bündnis Verkehrswende Dresden die wichtige Hauptverkehrsschlagader für eine Kundgebung besetzt, schmeckt nicht jedem. Ein Pkw fährt dauerhupend vorbei, der Fahrer reckt den rund 500 Demonstranten den Mittelfinger entgegen. Es gibt aber auch andere, die das Fenster runterlassen, fragen, was los ist, und erklären: „Find ich gut.“

Die Demo-Initiatoren haben den Zeitpunkt bewusst gewählt. Sie wollen im Feierabendverkehr stören, solidarisieren sich zudem mit der Aktion Extinction Rebellion, bei der Klimaschützer am Montag in Berlin die Oberbaumbrücke besetzt haben. In Dresden geht es vorrangig um die Mobilität: Das Bündnis Verkehrswende will keine Autos mehr in der Innenstadt, zudem werden ein kostenloser öffentlicher Nahverkehr und ein breit ausgebautes, sicheres Radverkehrswegenetz gefordert. Gerade auch auf der Albertstraße, über die der Demozug gekommen ist. Es gehe nicht um eine Mobilitätsbeschränkung für Autofahrer, sondern ein Umdenken und mehr Platz für Radfahrer, Fußgänger und Nahverkehrsnutzer der Stadt, ruft Laura Fiedler durchs Mikrofon: „Der autofreundlichen Politik wollen wir nicht weiter zusehen.“

Dass die Sorgen der Demoteilnehmer nicht unbegründet sind, zeigt der Stadtratsbeschluss zu den geplanten Radwegen auf der Albertstraße. Die Fraktionen von CDU, FDP, AFD und Bürgerfraktion haben nicht nur dafür gesorgt, dass diese nicht gebaut werden. Sie haben auch verfügt, dass die geplanten Baukosten in Höhe von 550.000 Euro in die Liquiditätsreserve fließen. Damit haben diese Stadträte bewusst in Kauf genommen, dass die Stadt nicht nur die Eigenmittel von 123.080 Euro zahlt, sondern auch die 426.920 Euro, die der Freistaat gefördert hätte – aber nicht hat. Die Konsequenz trifft die Radfahrer: Es gibt nicht nur keine sichere Verbindung entlang der Albertstraße, sondern es sind zehn weitere Radprojekte gefährdet, wie Baubürgermeister Raoul Schmidt-Lamontain (Grüne) im Februar auf SZ-Anfrage mitteilte.

Autofahrer müssen warten: Das Bündnis Verkehrswende Dresden hat am Montag viele Pkws ausgebremst. Den Feierabendverkehr wollten die Demonstranten bewusst stören.
Autofahrer müssen warten: Das Bündnis Verkehrswende Dresden hat am Montag viele Pkws ausgebremst. Den Feierabendverkehr wollten die Demonstranten bewusst stören. © Sven Ellger

Die Argumente der Radwege-Gegner auf der Albertstraße stützen sich vor allem darauf, die Autofahrer nicht einschränken zu wollen. Sie zweifeln die Untersuchungen im Auftrag der Stadt an, die ergeben haben, dass es kaum Einschränkungen für Autofahrer geben würde, wenn es nur noch eine Spur auf der Albertstraße in Richtung Alberplatz gebe. Eine Sekunde würden Autofahrer einbüßen. Vor allem die FDP zieht dies in Zweifel. Und leistet damit dem Zerwürfnis zwischen Auto- und Radfahrern Vorschub. Denn nicht nur in den Stadtratsdiskussionen geht es um das „Wegnehmen“ von Privilegien von Autofahrern, auch in den sozialen Netzwerken erhärtet sich der Eindruck, dass sich Autofahrer allein schon durch den Bau von Radwegen eingeschränkt fühlen.

Das verwundert, wenn man die Statistik der Stadt liest. Daraus geht hervor, dass sich in den vergangenen zehn Jahren die Anzahl der Radfahrten um 60 Prozent erhöht hat, Autofahrten bleiben dagegen stabil. Es müssen also zwangsläufig Dresdner vom Auto auch mal aufs Rad umsteigen und deshalb beide Perspektiven kennen. Die Stadt zählt das Aufkommen von Auto-, Radfahrern und Fußgängern jedes Jahr im September. „Die Anzahl an Wegen, die in Dresden mit dem Fahrrad zurückgelegt werden, hat deutlich zugenommen. 2018 wurden knapp 60 Prozent mehr Radfahrer auf den Elbbrücken gezählt als noch 2009“, sagt der Baubürgermeister. Es zeige den hohen Bedarf an sicheren, komfortablen und ausreichend breiten Radverkehrsanlagen.

Keine Fördermittel möglich

Über die Carolabrücke, die direkt auf die Albertstraße führt, fahren täglich mehr als 4.000 Radler, 2009 waren es noch 2.250. Damit sie nicht auf die Hauptstraße ausweichen und dort Konflikte mit Fußgängern hervorrufen, waren die Radwege auf der Albertstraße geplant. Heute steht fest, dass es mindestens drei Jahre dauern wird, bis es eine Radwegelösung auf der Alberstraße geben könnte. Das bestätigt die Verwaltung auf Anfrage von Thomas Löser, dem Fraktionsvorsitzenden von Bündnis 90/Die Grünen im Stadtrat. „Mit dieser rückwärtsgewandten Verkehrspolitik gefährdet die Stadt Menschenleben und verhindert, dass mehr Menschen auf umweltfreundliche Verkehrsmittel, wie das Fahrrad, umsteigen“, kritisiert Löser. Von einer dringend notwendigen Verkehrswende sei die Stadt weit entfernt.

Besonders bedauerlich sei, dass durch das fehlende eigene Geld auch keine Fördermittel eingeworben werden können. Radverkehrsprojekte werden oft mit 80 oder 90 Prozent bezuschusst. Das Radwegekonzept wackelt damit. Diese 550.000 Euro können durch nichts anderes kompensiert werden, sagt der Baubürgermeister. Klar, dass auch der Allgemeine Deutsche Fahrradclub (ADFC) nicht glücklich ist über die Entwicklung an der Albertstraße. Für ihn ist die Ertüchtigung der Nord-Süd-Route, zu der auch der Abschnitt vom Albertplatz bis zur Technischen Universität zählt, eines der wichtigsten Ziele für Dresden.