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Grönemeyers Welt der Heilpflanzen

Warum der bekannte Schulmediziner mit seiner Tochter ein Buch über Heilpflanzen geschrieben hat. Ein Interview.

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Ein Team: Heilpraktikerin Friederike und Schulmediziner Dietrich Grönemeyer. Beide schwärmen für Pflanzenmedizin.
Ein Team: Heilpraktikerin Friederike und Schulmediziner Dietrich Grönemeyer. Beide schwärmen für Pflanzenmedizin. © Sascha Reichert

Die Naturheilkunde ist umstritten, weil dazu viele Heilverfahren gerechnet werden, deren Wirksamkeit nicht bewiesen ist. Die Pflanzenmedizin hingegen sei wissenschaftlich gut belegt und habe sich über Jahrtausende bewährt, sagt Professor Dietrich Grönemeyer. Er gilt als prominenter Verfechter einer ganzheitlichen Weltmedizin zwischen Hightech und Naturheilkunde. Gemeinsam mit seiner Tochter Friederike Grönemeyer, der Heilpraktikerin und Psychologin, hat er ein Buch über Pflanzenheilkunde für zu Hause herausgegeben. Die SZ hat mit ihm gesprochen.

Herr Professor Grönemeyer, Sie sind Schulmediziner. Warum haben Sie sich den Heilkräutern gewidmet?

Sie waren die ersten Medikamente, über die unsere Vorfahren verfügten. Nur mit dem, was in der freien Natur wuchs, konnten sie Schmerzen lindern und Krankheiten heilen. So hat sich über die Jahrtausende ein Erfahrungsschatz angesammelt, der es erlaubte, bestimmte Kräuter, Samen und Wurzeln immer gezielter einzusetzen. Auch die Schulmedizin hat davon profitiert. Der Wirkstoff des Aspirins, die Acetylsalicylsäure, wurde zunächst aus der Weidenrinde gewonnen, später synthetisiert.

Wird die oft technisch ausgerichtete Medizin, die an den Hochschulen gelehrt wird, dem Menschen also nicht mehr gerecht?

Selbstverständlich wird sie ihm gerecht. Was wir dem schulmedizinischen Fortschritt verdanken, kann man nicht hoch genug schätzen. Epidemien wurden besiegt. Krankheiten, die früher zum Tode führten, sind heute heilbar. Organe bis zum Herz, Haut oder Zellen können wir verpflanzen. Das alles haben wir der Schulmedizin, nicht der Naturheilkunde, zu verdanken. Andererseits haben wir, fixiert auf den naturwissenschaftlichen Fortschritt, allzu oft Wesentliches aus dem Auge verloren. Ich meine die Kraft der Pflanzen in unserer Ernährung genauso wie zur Behandlung von Volkskrankheiten in der Frühphase. Von der Seite her haben Sie mit Ihrer Frage auch ein wenig recht.

Und deshalb ist es wichtig, sich auf traditionelle Heilverfahren zu besinnen?

Ja. Weil sie besonders bei leichteren Erkrankungen oder ergänzend zu schulmedizinischen Behandlungskonzepten hilfreich sind und meist schonender für den Patienten. Meine Behandlungsdevise ist „von leicht nach schwer“ anfangen, also immer mit dem, was am wenigsten belastet. Niemand kann in der Heilkunst den Anspruch erheben, über das allein selig machende Wissen zu verfügen. Alle Therapeuten sind gehalten, voneinander zu lernen. Mein Credo lautet: Wer heilt, hat recht.

Wie kam es zu diesem Gemeinschaftswerk mit Ihrer Tochter?

Gerade in den letzten Jahren, in denen ich mich mit der ganzheitlichen Weltmedizin intensiv beschäftige, habe ich mich auch von dem Wissen meiner Tochter anregen lassen. Wir ergänzen uns gegenseitig. Sie verfügt als Psychologin und Naturheilkundlerin über fundierte Kenntnisse im Bereich der Pflanzenheilkunde, ich über die Kenntnisse und Erfahrungen eines praktizierenden, aber auch forschenden Schulmediziners und Wissenschaftlers.

Welches Potenzial hat die Pflanzenheilkunde?

Ein riesiges. Man schätzt, dass 28.000 Pflanzenarten therapeutisches Potenzial haben – bestimmt sogar noch viel mehr. 1.500 davon werden in Deutschland medizinisch genutzt. 750 Betriebe in Deutschland bauen auf 12.000 Hektar rund 120 verschiedene Arzneipflanzen an. Da ist noch viel mehr möglich, was auch einen bedeutenden wirtschaftlichen Faktor darstellt.

Drei Heilpflanzen, die jeder zu Hause nutzen kann:

Als Einschlafmittel und zur Beruhigung gehört Baldrian zu den ältesten Rezepturen der Kräuterapotheke. Er wirkt entkrampfend und schmerzlindernd auf Magen, Darm und Unterleib sowie die nicht bewusst zu steuernde Muskulatur, zum Beispiel die Blase. 
Als Einschlafmittel und zur Beruhigung gehört Baldrian zu den ältesten Rezepturen der Kräuterapotheke. Er wirkt entkrampfend und schmerzlindernd auf Magen, Darm und Unterleib sowie die nicht bewusst zu steuernde Muskulatur, zum Beispiel die Blase.  © Whitewa
Lavendel kann bei schlechtem Einschlafen sowie Hyperaktivität von Kindern helfen – zum Beispiel mit einem Lavendelblütensäckchen oder durch einen Tropfen Öl auf einem feuchten Tuch oder Kissen. Dampfbäder werden gegen Husten, Hals- und Rachenentzündungen eingesetzt. Belebend wirken heiße Lavendelbäder, was besonders bei niedrigem Blutdruck hilfreich sein kann. 
Lavendel kann bei schlechtem Einschlafen sowie Hyperaktivität von Kindern helfen – zum Beispiel mit einem Lavendelblütensäckchen oder durch einen Tropfen Öl auf einem feuchten Tuch oder Kissen. Dampfbäder werden gegen Husten, Hals- und Rachenentzündungen eingesetzt. Belebend wirken heiße Lavendelbäder, was besonders bei niedrigem Blutdruck hilfreich sein kann.  © Jürgen Becker
Die Nutzung von Fenchel als Nahrung, Gewürz und Heilkraut ist uralt. Bereits im Altertum wurden Knollen und Samen zur Magen-Darm-Beruhigung verwendet. Fenchelhonig gilt den Autoren zufolge als traditionelles Mittel bei Erkältungsbeschwerden. Noch heute werde Fenchel stillenden Müttern empfohlen, um die Milchproduktion zu fördern.
Die Nutzung von Fenchel als Nahrung, Gewürz und Heilkraut ist uralt. Bereits im Altertum wurden Knollen und Samen zur Magen-Darm-Beruhigung verwendet. Fenchelhonig gilt den Autoren zufolge als traditionelles Mittel bei Erkältungsbeschwerden. Noch heute werde Fenchel stillenden Müttern empfohlen, um die Milchproduktion zu fördern. © Jürgen Becker

In welcher Form werden die Pflanzen angewendet?

Ganz klassisch ist Tee aus frischen oder getrockneten Heilpflanzen. In höherer Konzentration lassen sich diese Zubereitungen auch als Badezusätze verwenden. Für Abkochungen werden die Kräuter einige Minuten im Wasser gekocht. Ein Kaltauszug wird für Kräuter eingesetzt, deren Inhaltsstoffe durch Hitze zerstört werden können. Ferner gibt es Heilpflanzen als Kapseln, Dragees oder Filmtabletten zu kaufen.

Es gibt mehr Heilpflanzen als im Buch aufgeführt. Wie haben Sie ausgewählt?

Wir haben uns auf die Vorstellung von Heilpflanzen konzentriert, deren therapeutische Wirkung durch nationale und internationale Studien oder Institutionen – etwa der Weltgesundheitsorganisation – bestätigt ist, oder sogar in schulmedizinische Leitlinien aufgenommen wurden, wie das Johanniskraut oder die Kapuzinerkresse zum Beispiel. Ganz bewusst haben wir darauf verzichtet, Kräuter aufzunehmen, deren Anwendung umstritten ist. Große Bedeutung bei uns haben auch Kamille, Leinsamen, Mariendistel, Pfefferminze, Sanddorn, Fenchel und Fingerhut.

Wollen sie damit die Menschen motivieren, ihre Gesundheit selbst in die Hand zu nehmen?

Ja. Denn jeder ist zunächst selbst für seine Gesundheit verantwortlich. Wir Ärzte können ihm nur helfen, beistehen oder ihn in Notfällen retten.

Bei welchen Erkrankungen würden auch Sie selbst zur Heilpflanze greifen?

Bei allen leichteren Beschwerden: Beim sprichwörtlichen Husten und Schnupfen mit Salbei, Thymian, Pfefferminze oder Senfölen. Bei Fieber mit Wadenwickeln und Arzneien mit Weidenrinde oder Mädesüß, bei Übelkeit mit Ingwer und Heilerde, bei Magen- und Darmproblemen wie Völlegefühl, Blähungen oder Bauchschmerzen mit Kümmel, Kurkuma, Kamille oder Melisse, bei Hautentzündungen mit Aloe Vera oder Kamille, bei leichten Infekten mit Sonnenhut, mit Kapuzinerkresse bei Harnreizungen. Bei Muskelverspannungen, Rücken- und Gelenkschmerzen helfen gut Weidenrinde, Mädesüß oder auch Pfefferminzöl und Teufelskralle.

Was halten Sie von Informationen aus dem Internet über Heilkräuter?

Man kann da wirklich viel erfahren. Nur ist nicht alles zutreffend. Hinter vielen Empfehlungen steckt ein Verkaufsinteresse. Der Laie kann das meist nur schwer durchschauen. Deshalb rate ich, sich lieber mit dem Arzt oder Apotheker zu besprechen. Auch im Reformhaus gibt es Naturheilmittel, deren Qualität kontrolliert ist; und auch da wird man fachkundig beraten.

Empfehlen Sie, die Kräuter beim Spaziergang selbst zu sammeln?

Man sollte über ein gewisses Grundwissen verfügen. Denn nicht alles, was in Wald und Feld wächst, ist genießbar. Außerdem stehen viele Pflanzen unter Naturschutz. Wer ihre Blätter pflückt oder sie gar mit Stumpf und Stiel ausreißt, macht sich strafbar. Besser ist es, sich ein kleines Kräuterbeet im eigenen Garten oder auf dem Balkon anzulegen. Auch auf dem Fensterbrett kann man manches ziehen, Kresse, Salbei, Pfefferminze oder Petersilie zum Beispiel.

„Selbst heilen mit Kräutern“ von Professor Dietrich Grönemeyer und seiner Tochter Friederike Grönemeyer.
29,95 Euro
„Selbst heilen mit Kräutern“ von Professor Dietrich Grönemeyer und seiner Tochter Friederike Grönemeyer. 29,95 Euro © Unbekannt

Wie wichtig ist kontrollierter Anbau?

Sehr wichtig. Die Standardisierung und damit auch die gleichbleibende Dosis von therapeutisch wirksamen Einzelkomponenten in den Pflanzen machen den reproduzierbaren Effekt in der Therapie aus. Hierbei spielen auch die Boden-, Standort- und Wachstumsbedingungen eine wesentliche Rolle, denn Thymian ist nicht gleich Thymian. Produzenten müssen daher sehr verantwortungsvoll mit der Fruchtfolge, mit der Düngung und Vermeidung schädlicher Einflüsse umgehen.

Wird der Phytotherapie in der medizinischen Ausbildung unserer Ärzte genügend Rechnung getragen?

Langsam beginnt sich da eine Wende abzuzeichnen. In den Lehrplänen finden sich immer häufiger naturheilkundliche Elemente, und Patienten konfrontieren uns Ärzte, aber auch Heilpraktiker damit.

Und in der Wissenschaft? Spielen Pflanzen da noch eine Rolle?

Viele Wirkungen von pflanzlichen Inhaltsstoffen auf neurologischer Ebene, bei Schmerz oder Demenz, zur hormonellen und immunologischen Behandlung werden zurzeit weltweit wissenschaftlich erforscht. Das macht hoffnungsfroh!

Was würden Sie sich von den Patienten in Zukunft wünschen?

Dass sie ihrem Körper und ihrer Seele wieder mehr Aufmerksamkeit schenken, ihnen liebevoller begegnen, statt den Körper als eine Maschine zu betrachten, die man wie das Auto gelegentlich zur Inspektion bringt und notfalls reparieren lässt.

Wie sehen Sie die Medizin von morgen?

Sie soll sich nicht auf diese oder jene Schule versteifen, sondern alles nutzen, was dem Patienten hilft.

Das Gespräch führte Stephanie Wesely.