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Hahny’s Kopfstände

Mit Geschick, Kraft und Ausdauer hat Heiko Hahnewald eine Kultur aus New York in seine sächsische Heimat geholt.

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Von Harald Daßler

Es sieht wie ein Knoten in den Beinen aus, was Markus und die anderen hier auf ihren Matten probieren. Die Jungs stehen auf dem Kopf und verwinkeln ihre in die Höhe gestreckten Beine. Dazu hämmern Rhythmen aus der Lautsprecherbox in die Turnhalle hinein. „Gut so“, lobt Heiko Hahnewald. Behutsam greift er ein, stützt die balancierenden Beine, korrigiert deren Anordnung beim Aufbau der Figuren, die seine sechs Schützlinge aus dem Kopfstand heraus zeigen. Übungen zum Auffrischen, erklärt Heiko Hahnewald. So beginnt die wöchentliche Stunde dieses Ganztagsangebotes an der Förderschule für geistig Behinderte an der Nassau.

Markus, Peer, Mirko und den anderen Kumpels macht das sichtlich Spaß. Heiko Hahnewald versteht es, sie zu bewegen, zum Tanzen zu bringen – auch, damit sie Körperlichkeit spüren, Selbstbeherrschung und Disziplin ausprägen können. Der Breakdancer, der am Sonntag seinen 48. Geburtstag feiert, motiviert seine Schützlinge auch dadurch, dass er ihnen die einzelnen Figuren zeigt, sie vortanzt. Einen Elefantenfreeze zum Beispiel – in der Breakdance-Szene ist das der Begriff für eine Pose, bei der es darauf ankommt, den Körper aus den auf den Boden aufgestützten Armen heraus in einen Handstand zu heben. Oder bei dem sich den Aufwärmübungen anschließenden kleinen Wettbewerb im Kreis, einem „Battle“, bei dem jeder der sechs 12- bis 17-Jährigen Kreativität für seine Schritte oder Figuren entwickelt.

Ein Schädel wie ein Panzer

Leidenschaft und Perfektion, Ausdauer und Konzentration, aber auch Kraft und Akrobatik – darauf kommt es für einen Breakdancer an, sagt Heiko Hahnewald. Dass genau diese Mischung etwas für ihn ist, spürte er bereits im Kindesalter. „Ich wollte Artist werden“, erzählt der Meißner. Auftritte von Artisten im Fernsehen – etwa im Kessel Buntes – faszinierten ihn. Und er versuchte sich selbst – zunächst mit kleinen Einlagen bei Familienfeiern, später an der Coswiger Artistenschule. Aber auch für den Kasatschok, bei dem die Tänzer mit den Beinen regelrecht um sich werfen, konnte sich Heiko Hahnewald in seiner frühen Jugend begeistern.

Als in den 80ern Hip-Hop und Breakdance auch in der DDR viele Fans fand, gehörte Heiko Hahnewald dazu: „Die Musik war ein Katalysator“, beschreibt er, wie er sich von diesem „Virus“ infizieren ließ. Auf der Straße und am Meißner Bahnhof trauten sich „Hahny“ und seine Freunde erstmals an die Öffentlichkeit. Zeigten zu wummernden Beats aus dem Sternrekorder ihre zur Perfektion gebrachten Figuren. Und immer wieder die Breakdance-typischen Verrenkungen von Armen und Beinen aus dem Kopfstand heraus. „Ich habe auf dem Schädel wohl so etwas wie einen Panzer“, antwortet er auf die besorgte Frage des Laien, wie der Körper diese Art sportlicher Akrobatik aushalten kann.

Zwei DDR-Meistertitel, auf die er sehr stolz ist, zeugen auch davon, dass die aus New York stammende Musik und Kultur nicht nur die Jugend in den großen Städten erfasst hatte. Kulturfunktionäre unterstützten die Meißner Breakdancer. Sie halfen dabei, dass Heiko Hahnewald 1989 in Leipzig einen Berufsausweis als „Berufsartist/Breakdancer“ erhielt.

Dennoch musste er einige Umwege beschreiten, ehe er sich seiner akrobatisch-musikalischen Leidenschaft voll und ganz widmen konnte. So lernte er zunächst den Beruf eines Betonbauers. „Mit wenig Lust“, wie er zugibt. Bei der Post fand Heiko Hahnewald dann einen Job als Zusteller. Hier konnte er eine verkürzte Arbeitszeit aushandeln, um Freiraum zum Trainieren und Proben und für Auftritte zu gewinnen. Gemeinsam mit Sten Krüger und Steffen Meinhardt trat er als „Hahnys Break Crew“ auf – in Diskotheken, bei Betriebsfeiern, auf Volksfesten. Bis zu 270 solcher Auftritte kamen in einem Jahr zusammen.

Kontakte in alle Welt

Nach der Wende ging er nach Böblingen, wo er drei Jahre in seinem erlernten Beruf arbeitete. In Diskotheken kam er in Kontakt mit Breakdancern aus dem süddeutschen Raum und der Schweiz. Kontakte wie diese pflegt „Hahny“, der seit 20 Jahren wieder in Meißen lebt, weltweit. Um sie aufzufrischen, gibt es einige Gelegenheiten. Treffen, von denen er im Handy gespeicherte Fotos zeigt. Egal ob an schroffen Küstenfelsen vor dem Schwarzen Meer, in Südkorea oder vor dem Eiffelturm – er ist darauf natürlich kopfüber zu sehen.

Auch mit fast 50 bestimmen allerlei Kopfstände seinen Alltag. Noch immer wirkt der freiberufliche Veranstaltungsmanager in verschiedenen Formationen wie den „Skyliners“ an Bühnenshows und Programmen mit, gibt Kurse für Breakdance-begeisterte Anfänger und Fortgeschrittene, arbeitet mit Schülern und bewertet als Juror bei internationalen Wettkämpfen die Darbietungen von Breakdancern.

Auch in anderen Sportarten ist er aktiv. Derzeit absolviert Heiko Hahnewald eine Ausbildung zum Tischtennis-Trainer beim MSV 08.

An diesem Wochenende ist ein Treffen mit Freunden, Weggefährten und Sportkameraden in Meißen vorgesehen. Außer „Hahnys“ Geburtstag gibt es ein Jubiläum zu feiern: Vor 30 Jahren begann er als freiberuflicher Breakdancer. Herzlichen Glückwunsch!