Anja Kaltofen, Martin Kaden und Elmar Vogel hocken an einem Basaltbrocken am Tolkewitzer Elbufer, der seit Wochen auf dem Trockenen steht. Das Exemplar ist mit Sept. 2016 markiert. Daran haben die Archäologin, der Präparator für Geologie und der Steinmetz eine besondere Aktie. Unter ihrer Federführung wurde den Hungersteinen, die eine lange Tradition haben, ein weiteres Exemplar hinzugefügt.
Die Hungerstein-Forscher: Alle Zeitzeugen entlang der Elbe erfasst
Die mit Jahreszahlen und Wasserstandslinien gekennzeichneten Hungersteine erinnern an Dürrezeiten, in denen die Elbe sehr niedrig stand, erläutert Prof. Jan-Michael Lange. Er leitet bei den Senckenberg Naturhistorischen Sammlungen Dresden die Sektion Petrographie, also Gesteinskunde. Trockene Zeiten waren hart für die Landwirtschaft, die Schifffahrt und die Fischerei. Also musste die Bevölkerung früher hungern, weshalb die bei Niedrigwasser markierten Steine so genannt wurden. Lange beschäftigt sich seit Jahren mit den Hungersteinen.
Als im Hitzesommer 2003 das Geröll an der niedrigen Elbe untersucht wurde, sei er das erste Mal darauf aufmerksam geworden. Nach einer kleinen Ausstellung 2012 wurden die Hungersteine an der Elbe zwischen Decin und Magdeburg erstmals 2015 systematisch erfasst, verweist er auf den Auftakt. Unter seiner Leitung wurden die aufgetauchten Steine mit Bürsten geschrubbt, bis die alten Inschriften ans Licht kamen. 2018 wurden die Hochwasserzentrale und die Archäologische Gesellschaft Sachsen einbezogen und die Hungersteine erneut detailliert inspiziert. Allein in Dresden gibt es zwischen Schloss Pillnitz und einer Ufermauer in Cotta acht Hungersteine an der Elbe.
In der Sächsischen Schweiz: Mindestens fünf Hungersteine
In der Sächsischen Schweiz sind zwischen der tschechischen Grenze und Pirna mindestens fünf Hungersteine bekannt. Der bekannteste von ihnen liegt am Postaer Elbufer in Pirna, etwa in Höhe des dortigen Kriegerdenkmals. An die 15 Jahreszahlen sind in den Stein eingemeißelt. Die jüngste stammt aus dem Sommer 2015. Weitere Hungersteine liegen in Königstein (Jahreszahl 1681), in Prossen am ehemaligen Bahnwärterhaus unweit des Elberadwegs – die schräg liegende Platte trägt fünf Inschriften mit Jahreszahlen zwischen 1928 und 2015 – sowie in Schmilka.
Erst im vergangenen Sommer tauchte im Stadt Wehlener Ortsteil Pötzscha ein bis dato kaum bekannter Hungerstein auf. Der Pötzschaer Karlheinz Petersen hatte ihn schon 2015 entdeckt, damals waren die Ziffern allerdings noch nicht komplett zu lesen. Im trockenen Sommer 2018 stand das Wasser tief genug. Die Jahreszahl 1868 ist kopfüber in den Stein am linken Elbufer eingraviert.
Das Tolkewitzer Exemplar: In kurzer Zeit wird Idee verwirklicht
Die Idee für den neuen Hungerstein in Dresden-Tolkewitz hatte Prof. Langes Mitarbeiter Martin Kaden und die Archäologin Anja Kaltofen, als im September 2016 die Elbe besonders niedrig stand. Der Fluss hatte einen großen Basaltbrocken freigegeben. Die Idee wurde binnen zwei Tagen umgesetzt, da es am Freitagabend schon wieder regnen sollte. Aus der „Flause“, wie Kaden schmunzelnd die Idee bezeichnet, wurde Realität.
Denn der Tolkewitzer Steinmetz Vogel stellte schnell die Schablone her und trieb mit einem kleinen Drucklufthammer in einer Stunde die Schrift in den Basalt. Freitagabend um sechs wurde der Hungerstein feierlich mit Sekt eingeweiht. Mittlerweile besteht die „Hungersteingemeinde“ aus Hydrologen, Archäologen, Naturwissenschaftlern und Handwerkern, die sich dort treffen, wenn der Stein erstmals auftaucht, so auch dieses Jahr.
Das Elbgestein: Basalt kann bis zu 30 Millionen Jahre alt sein
Der Basalt des Tolkewitzer Brockens ist Vulkangestein. Das kann 20 bis 30 Millionen Jahre alt sein, schätzt Gesteinskundler Lange. „Allerdings wird es erst vor wenigen Tausend Jahren in die Elbe gekommen sein.“ Der Stein könnte aus der Wesenitz oder dem Böhmischen Mittelgebirge stammen. Um das zu ermitteln, wäre aber eine genauere Untersuchung nötig. In der Elbe gebe es vor allem Sandstein, Kieselschiefer, Gneis und Granit.
Der Elbpegel: Dieses Jahr schon wieder auf 50 Zentimeter gesunken
Mit zur „Hungersteingemeinde“ gehören auch die Hydrologen Petra Walther und Stephan Büttig vom Landeshochwasserzentrum (LWHZ). Sie haben einen genauen Überblick der Wasserstände. „Trockenperioden gab es schon immer“, sagt Büttig.
Ein markanter Einschnitt sei die Fertigstellung der tschechischen Elbstaustufen 1965 gewesen. Mit 45 Zentimetern hatte die Elbe seitdem im vergangenen Jahr ihren Tiefststand erreicht. Dieses Jahr lag der bisher im Juni bei 50 Zentimetern. Den niedrigsten Stand seit Beginn der Erfassung habe sie im Winter 1954 erreicht, als sie unter Eis bei zehn Zentimetern lag. (mit SZ/nr)