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Dresdner wehrt sich gegen weniger Rente für NVA-Zeit

Ein Dresdner führt ein Musterverfahren für die Gleichstellung des DDR-Grundwehrdienstes. Es geht um viel Geld.

Von Kornelia Noack
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Frank Haney heute mit seinem Rentenbescheid.
Frank Haney heute mit seinem Rentenbescheid. © Jürgen Lösel

Frank Haney aus Dresden war 24 Jahre alt, als er zur Armee nach Frankenberg eingezogen wurde. Als gelernter Facharbeiter für Nachrichtentechnik musste er in der Nachrichtenzentrale des NVA-Standortes bei Chemnitz Telefondienste übernehmen und die Technik warten. Da Haney ein guter Fußballspieler war, wurde er auch öfter für den Sport freigestellt. Genau 18 Monate dauerte sein Grundwehrdienst – vom 1. Mai 1979 bis Oktober 1980. Der heute 64-Jährige erinnert sich gern daran. Nur eines ärgert ihn: „Warum bekomme ich für die Armeezeit weniger Rentenpunkte als ein Soldat, der zur selben Zeit in der Bundesrepublik gedient hat?“, fragt Haney.

Darauf aufmerksam gemacht, hat ihn Rentenberater Christian Lindner aus Dresden, als Haney von ihm seinen Rentenbescheid prüfen lassen wollte. „Ich fühle mich benachteiligt und will mich wehren“, sagt er. Gemeinsam mit Lindner hat er im vergangenen Jahr Klage eingereicht. Genau geht es um zwei Regelungen, die seit 1992 im Sozialgesetzbuch VI festgeschrieben sind: Männer, die ihren Wehr- oder Zivildienst zwischen dem 1. Mai 1961 und dem 31. Dezember 1981 in den alten Bundesländern geleistet haben, erhalten für jedes Kalenderjahr einen Entgeltpunkt für die Rente (Paragraf 256 Absatz 3). Bei ehemaligen NVA-Soldaten werden für den Grundwehrdienst in diesem Zeitraum dagegen nur 0,75 Entgeltpunkte berücksichtigt (Paragraf 256a Absatz 4).

Christian Lindner hält das für verfassungswidrig. „Der Gleichheitssatz nach Artikel drei Grundgesetz ist verletzt. Denn die Versicherten selbst können ja nichts für die Ungleichbehandlung“, sagt Lindner.

Der Hintergrund: In den westdeutschen Bundesländern bestand seit 1957 eine Rentenversicherungspflicht für Wehrdienstleistende. Damit wirken sich Wehrdienstzeiten heute automatisch positiv auf die Rente aus. In der DDR gab es diese Pflichtversicherung nicht. „Aus diesem Grund schien es dem Gesetzgeber nicht verfassungsrechtlich geboten, für den genannten Zeitraum die Werte für das Bundesgebiet auf das Beitrittsgebiet zu übertragen“, sagt Matthias Jäkel, Pressereferent der Deutschen Rentenversicherung Mitteldeutschland. Damit die Ex-Soldaten der NVA nicht benachteiligt werden, wird zumindest ihr Grundwehrdienst für die Rente anerkannt. „Aber eben nicht in gleichem Maße“, sagt Rentenberater Lindner.

Jährlich rund 150 Euro weniger

Auf den ersten Blick scheinen die 0,25 Entgeltpunkte bei der Rentenberechnung kaum einen Unterschied zu machen. Doch das täuscht. In der DDR konnten junge Männer zwischen dem 18. und 26. Lebensjahr zum Grundwehrdienst bei der Nationalen Volksarmee herangezogen werden. In der Regel dauerte er anderthalb Jahre. Das ergibt insgesamt einen Unterschied von 0,375 Entgeltpunkten (0,25 + 0,125). Beim aktuellen Rentenwert-Ost von 33,23 Euro macht das einen Bruttobetrag von 12,46 Euro im Monat aus. Pro Jahr sind das immerhin 149,53 Euro weniger Rente. „Warum sollte ich darauf verzichten?“, fragt Haney.

In der ersten Instanz hatte das Sozialgericht Dresden die Klage bereits abgelehnt. In der Begründung heißt es unter anderem: Es bestehe kein Rechtsanspruch auf einen Entgeltpunkt. Zudem sei die unterschiedliche Bewertung nicht gleichheitswidrig. Nun liegt das Verfahren mit dem Aktenzeichen L 4 R 453/20 beim Landessozialgericht. Sollten der Rentenberater und Haney dort scheitern, führt der nächste Weg an das Bundessozialgericht, danach wäre der Weg zur Verfassungsbeschwerde frei. „Ich rechne nicht damit, dass das Ganze vor Mitte 2021 geklärt ist“, sagt Lindner.

Haben die Dresdner vor Gericht Erfolg, können all jene Ex-Soldaten profitieren, die in nächster Zeit in den Ruhestand gehen. „Wer jetzt seinen Rentenbescheid erhält, sollte unbedingt mit Verweis auf das Verfahren Widerspruch einlegen“, rät Lindner. So halte man sich die Möglichkeit offen, dass der Bescheid später korrigiert und die höheren Entgeltpunkte berücksichtigt werden.

Frank Haney zu seiner NVA-Zeit in Frankenberg im Fußballtrikot der Armeesportvereinigung (ASV).
Frank Haney zu seiner NVA-Zeit in Frankenberg im Fußballtrikot der Armeesportvereinigung (ASV). © privat

Leer geht nach einem Gerichtserfolg dagegen aus, wer nicht innerhalb eines Monats Widerspruch gegen seinen Bescheid eingelegt hatte und bereits eine Rente bezieht. „Denn rückwirkend kann die Rente nicht mehr angepasst werden“, sagt Lindner. Das träfe dann Rentner wie Claus Bernhardt aus Bergen im Vogtland. Der 69-Jährige ist bereits seit sechs Jahren in Rente. Er hatte in der Zeitung von der Ungleichbehandlung gelesen und schaute in seinem Rentenbescheid nach. Tatsächlich wurden ihm für seine Grundwehrzeit, die er Anfang der 70er Jahre in Erfurt absolviert hatte, nur die 0,75 Punkte pro vollem Jahr angerechnet. „Ich hoffe, dass diese Ungerechtigkeit irgendwann mal ein Ende hat“, sagt Bernhardt. Dass für ehemalige West-Soldaten, die erst nach dem 1. Januar 1982 gedient haben, auch nur die 0,75 Entgeltpunkte pro Jahr angerechnet werden, sei für ihn kein Trost.

Welche Zeiten für den Grundwehrdienst berücksichtigt werden, ist aus dem Versicherungsverlauf ersichtlich, den jeder Versicherte mit dem Rentenbescheid erhält. Wie viele Entgeltpunkte es genau sind und wie sie sich zusammensetzen, geht daraus jedoch nicht hervor. „Versicherte können die entsprechende Anlage aber jederzeit beim Rententräger anfordern“, empfiehlt Lindner.

Als Nachweis für die Armeezeit gilt der Sozialversicherungsausweis oder aber der Wehrpass. Wer gar keine Bescheinigungen mehr hat, kann sich an die Außenstelle des Bundesverwaltungsamtes in Strausberg bei Berlin wenden. Dort werden alte Personalunterlagen archiviert.

Und wie verhält es sich mit der Rentenanrechnung bei DDR-Soldaten, die länger als die Grundwehrdienstzeit gedient haben? „Die Männer wurden damals in das Sonderversorgungssystem der NVA aufgenommen. Diese Zeiten wurden 1992 in die gesetzliche Rentenversicherung überführt und werden heute bei der Rente voll berücksichtigt“, sagt Lindner. Wer bereits Ende 1991 eine Rente aus der Sonderversorgung bezogen hat, erhielt diese weiter.

Musterwiderspruch: www.sz-link.de/Wehrdienst

Bundesverwaltungsamt, Außenstelle Strausberg, Prötzeler Chaussee 25, 15344 Strausberg