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Corona: "Kein Patient muss qualvoll sterben"

Das sagt Dr. Dr. Daniel Kügler. Er leitet das Ethik-Komitee der Helios-Klinik Leisnig. Es berät Ärzte nicht nur in Corona-Zeiten bei Entscheidungen über Leben und Tod.

Von Heike Heisig
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Dr. Dr. Daniel Kügler leitet seit 2017 die Klinik für Innere Medizin an der Helios-Klinik in Leisnig – und nun auch das Klinische Ethik-Komitee. Es berät Ärzte in Konfliktsituationen, wie sie wegen der Corona-Pandemie bevorstehen könnten.
Dr. Dr. Daniel Kügler leitet seit 2017 die Klinik für Innere Medizin an der Helios-Klinik in Leisnig – und nun auch das Klinische Ethik-Komitee. Es berät Ärzte in Konfliktsituationen, wie sie wegen der Corona-Pandemie bevorstehen könnten. © Lars Halbauer

Die Bilder aus Italien, Spanien und Frankreich sind schrecklich: Ärzte und Schwestern kämpfen Seite an Seite rund um die Uhr um das Leben von Menschen, die sich mit dem Coronavirus infiziert haben. Es stehen weder genügend Betten, noch Beatmungsgeräte, noch Schutzkleidung zur Verfügung. Kranke liegen teilweise auf Fluren, müssen abgewiesen werden, weil das medizinische System in diesen Ländern zu kollabieren droht.

Was Millionen Fernsehzuschauer daheim an den Bildschirmen erschreckt, lässt auch deutsche Ärzte nicht kalt. Im Gegenteil. 

Denn sie könnten – in ein paar Tagen, Wochen oder Monaten – genau wie ihre Kollegen in den jetzt stärker betroffenen Regionen vor ähnliche Entscheidungen gestellt werden: Wem kann ich noch helfen und wem nicht? Vielleicht einmal pro Woche oder sogar pro Tag.

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So genau weiß das niemand. „Trotzdem wollen wir auf diese Situation vorbereitet sein“, sagt René Schwarz. Der ärztliche Direktor der Leisniger Helios-Klinik hat dabei die furchtbaren Zustände in Krankenhäusern im Elsass und anderswo vor Augen. Dass es in Deutschland, in Leisnig, ähnliche Ausmaße erreichen könnte, übersteigt im Moment noch seine Vorstellungskraft.

Eine schwer vorstellbare Situation in Deutschland

Ähnlich geht es Dr. Dr. Daniel Kügler (50). Der Sachsen-Anhalter ist Facharzt für Innere Medizin, Gastroenterologie, Pneumologie, Internistische Intensiv-, Notfall-, Sucht- und Palliativmedizin. Am Leisniger Helios-Krankenhaus leitet er seit 2017 die Klinik für Innere Medizin – und nun auch das am Freitag gegründete Klinische Ethik-Komitee.

Am Dienstag haben sich die Mitglieder das erste Mal getroffen, um Details ihrer Arbeit abzusprechen. Dem Komitee gehören vier Ärzte aus verschiedenen Fachbereichen, vier nichtmedizinische Mitarbeiter wie Sozialpädagogen und Psychologen sowie eine auch in der Seelsorge erfahrene Krankenschwester an.

Sie alle sind Kügler zufolge angetreten, um Ärzten einen Rat zu geben, wenn diese nicht allein entscheiden wollen oder sich dazu nicht in der Lage fühlen. Es geht um die Frage, was mit Patienten passiert, für die es in Leisnig und womöglich auch in der Region keine Behandlungsmöglichkeit, kein Bett mit Beatmungsgerät mehr gibt. 

Auf insgesamt 29 Intensivbetten will und kann die Klinik aus heutiger Sicht ihre Kapazität für Corona-Patienten erweitern. Genügt das? Und wenn nicht, was dann?

Immer eine Einzelfallentscheidung

„Diese Situation ist für alle Kollegen neu“, sagt Daniel Kügler. Nach seinen Überlegungen soll sich jetzt erst einmal das Klinische Ethik-Komitee intensiver damit beschäftigen. „Wenn der Fall eintritt, sollten wir binnen zwei bis drei Stunden hier in der Klinik zusammenkommen.“ 

Von Telefonkonferenzen oder Videoschaltungen halte er in diesem Punkt wenig. „Wir müssen uns das anschauen: Wie ist die Situation im Krankenhaus? Wie ist es genau um den Patienten bestellt? Das ist ganz individuell. Ich denke“, so der Mediziner, „es sind nicht unbedingt in jedem Fall die Jüngeren, die bessere Prognosen haben.

 Das und andere Dinge müssen wir sehen, um dem behandelnden Arzt einen Rat zu geben“, veranschaulicht er. Dieser Rat sei eine Empfehlung an den Kollegen. Beherzigen müsse er ihn letztlich aber nicht. Die Entscheidung liege nach wie vor bei dem verantwortlichen Mediziner.

Wie furchtbar es ist, wenn die Luft zum Atmen knapp wird, davon haben Betroffene vielfach in verschiedenen Medien berichtet. Das löst Ängste aus, die der Leiter des Ethik-Komitees nachvollziehen kann. Deshalb beruhigt er: „Kein Patient muss hier qualvoll sterben.“ Um das behaupten und auch Wort halten zu können, zieht er seine Erfahrungen als Palliativmediziner heran. „Es gibt Medikamente, die die Schmerzen linden. Die würden und werden notfalls eingesetzt“, so Dr. Dr. Kügler.

Auch das Personal im Blick

Er ist erleichtert darüber, dass im Komitee auch auf Erfahrungen in einem Kriseninterventionsteam zurückgegriffen werden kann. Das dürfte hilfreich sein, wenn Ärzte, Schwestern und Pfleger an die Grenze ihrer körperlichen und psychischen Belastbarkeit gehen müssten. 

Das könnte nach vielen, langen Schichten ohne genügend Zeit zum Ausruhen passieren, aber genauso, wenn zum Beispiel Familienmitglieder, Freunde oder Bekannte eines Mitarbeiters weggeschickt werden müssten. „Wir sehen es auch als Aufgabe des Komitees an, unsere Kollegen in solchen emotionalen Ausnahmesituationen zu schützen  und zu unterstützen“, so der Leiter des Ethik-Komitees.

Letzteres soll über die Zeit der aktuellen Corona-Pandemie fortbestehen. „Es hat seine Berechtigung“, findet Daniel Kügler. Es gebe eine Reihe von Situationen, in denen ein Arzt nicht allein entscheiden möchte und in denen vielleicht auch Betreuer eine andere Empfehlung aussprechen. 

Ein Beispiel dafür könnte das Einsetzen einer Magensonde sein, ein anderes, ob eine Dialyse- oder Krebsbehandlung fortgesetzt oder abgebrochen werden soll. In diesen und ähnlichen Fällen kann ein Ethik-Komitee in Zukunft tätig werden.

Der feine Unterschied

Ethik-Komitees gibt es schon an einigen Krankenhäusern in Deutschland. „Die meisten nutzen allerdings ihr Potenzial nicht“, denkt Kügler. Bundeseinheitliche Richtlinien oder Empfehlungen für solch ein Gremium hat er in der Kürze der Zeit noch nicht gefunden. „Sie würden uns die Arbeit aber erleichtern“, meint er.

In einer „Ethik-Kommission zur Bewertung klinischer Prüfungen von Arzneimitteln des Landes Sachsen-Anhalt“ hat der 50-Jährige übrigens schon einmal mitgearbeitet. In Ethik-Kommissionen geht es um die Beurteilung von Forschungsvorhaben, in die gesunde Probanden wie Patienten einbezogen sind. Darin liegt der Unterschied zum Klinischen Ethik-Komitee.​

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