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Kletter-Krach in der Sächsischen Schweiz

Abgeflexte Sicherungsringe an festen Routen sollen Neueinsteiger vom Elbsandstein abhalten. Der Streit erreicht eine neue Stufe. 

Von Jochen Mayer
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© Monika Skolimowska/dpa-Zentralbild/ZB

Die Empörung ist groß über den gehäuften Vandalismus in der Sächsischen Schweiz. 24 Sicherungsringe wurden in den vergangenen Monaten an Kletterwegen im Elbsandstein abgeflext, zerstört oder mutwillig beschädigt. Betroffen sind Klettergipfel im Bielatal und in den Affensteinen. Bereits vor Monaten gab es die verstörende Meldung, dass Markierungen für Zugänge zu Kletterrouten unkenntlich gemacht wurden.

„Die Zerstörungen im senkrechten Sandstein sind nur für geübte Klettersportler mit sehr guter Ortskenntnis erreichbar“, heißt es in der Pressemitteilung vom Sächsischen Bergsteigerbund (SBB) – der damit den Täterkreis deutlich eingrenzt. Gegen die Zerstörer wurde Anzeige erstattet. Laut SBB nehmen die Täter „in Kauf, dass Leib und Leben von Klettersportlern, die sich auf die Unversehrtheit der Ringe verlassen, gefährdet werden. Ein Sturz an Stellen, wo Sicherungen fehlen oder unbrauchbar sind, kann tödlich enden“.

Der SBB-Vorsitzende Alexander Nareike erklärte, dass sein Verband dennoch „weiterhin für die Erhaltung des Kletterns in der Sächsischen Schweiz im Einklang mit dem Naturschutz eintreten und für die Bewahrung der sächsischen Klettertradition kämpfen“ wird. Das klingt schon nach Kulturkampf, der mit krimineller Energie in der Natur ausgetragen wird.

So sieht es auch Bergsteiger-Legende Bernd Arnold. „Die sächsischen Kletterer haben das Glück, im goldenen Käfig zu leben“, sagt der 72-Jährige im Gespräch mit der Sächsischen Zeitung. „Das Elbsandsteingebirge ist für mich das großartigste der Welt, das dazu noch seine eigenen Regeln hat.“ Die gingen Anfang des vergangenen Jahrhunderts in die Welt und entwickelten sich zu einer populären globalen Abenteuersportart mit zahlreichen Sparten und Spielwiesen in der Vertikalen.

Das Foto zeigt einen zerstörten Sicherungsring am Klettergipfel Bielawächter. Insgesamt sind in der Sächsischen Schweiz derzeit 24 solcher Fälle dokumentiert.  Fotos: SBB, Steffen Unger
Das Foto zeigt einen zerstörten Sicherungsring am Klettergipfel Bielawächter. Insgesamt sind in der Sächsischen Schweiz derzeit 24 solcher Fälle dokumentiert. Fotos: SBB, Steffen Unger © Sächsischer Bergsteigerbund

Am Ursprungsort haben die alten Regeln Bestand: Mit Händen und Füßen wird im Elbsandstein geklettert, künstliche Hilfsmittel sind nicht erlaubt. Nur Seile, Schlingen und Karabiner dienen zur Sicherung. Sicherungsringe setzen lediglich die Erstbegeher der Routen – oder eine Fachkommission entscheidet darüber. Klemmkeile oder ähnliche Sicherungsmittel aus Metall sind am weichen Elbsandstein verboten, mobile Sicherungsschlingen – wie zum Beispiel Knoten, Platten und Sanduhren – sind dagegen erlaubt.

Damit pflegen die Elbsandsteinkletterer ihren eigenen, harten, aber eben auch traditionellen Stil. Auf den ist Arnold stolz, er fühlt sich dieser Tradition verpflichtet. Sorgfältig jedes Wort abwägend fügt der Hohnsteiner hinzu: „Aber die Entwicklung geht weiter, man kann und darf sich dem nicht verschließen. 

Das Abenteuerklettern in der Sächsischen Schweiz ist nur ein Teil des Klettersports. Viel mehr Menschen als früher haben jetzt durch die verschiedenen Sparten einen Zugang zum Klettersport gefunden. Nicht alle können und wollen so einen langen Entwicklungsweg nehmen wie wir.“ Arnold galt zu seinen stärksten Zeiten als einer der weltbesten Kletterer. Er erschloss und stieg durch mehr als 900 neue Routen im sächsischen Fels und sammelte weltweit Erfahrungen in der extremen Vertikalen.

"Abflexer und Abkratzer haben Defizite. Sie stellen sich gegen die Gesellschaft. Ich reiße ja auch keine Straßenschilder ab oder streue Nägel auf den Asphalt, um Tempolimits zu erzwingen", sagt  Kletterlegende Bernd Arnold.
"Abflexer und Abkratzer haben Defizite. Sie stellen sich gegen die Gesellschaft. Ich reiße ja auch keine Straßenschilder ab oder streue Nägel auf den Asphalt, um Tempolimits zu erzwingen", sagt  Kletterlegende Bernd Arnold. © Steffen Unger

Die Bewahrung der Tradition, die für ihn „ein Schatz ist“, war Arnold immer wichtig. Aber er wirbt seit Jahrzehnten auch für eine minimale Öffnung an dafür klar definierten Stellen. „Es ist doch erfreulich, wenn immer mehr Leute klettern gehen“, sagt er und fügt lächelnd hinzu, „umso weniger anderen Blödsinn machen sie. Klettersport ist eine Charakterschule. Aber wir dürfen dabei nicht egoistisch sein und sagen: ,In unserem Becken wird nur Brust geschwommen.‘ Die anderen sind ja auch noch da und haben das Recht, ihre Form des Klettersports auszuleben.“

Wie traditionelles Klettern im Elbsandstein zeitgemäßer sein kann? Darüber gab es 2017 eine Umfrage unter SBB-Mitgliedern. Für das Projekt Johanniswacht, so der Vorschlag, sollten im Bielatal 60 neue Sicherungsringe an einer Gipfelgruppe angebracht werden. 73,1 Prozent waren für diese eng begrenzte Sonderreglung, die dann trotz des Protestes der Traditionalisten umgesetzt wurde. Dabei, meint Arnold, hätte man noch weiter gehen sollen, um auch in anderen Klettergebieten „sicherer klettern zu können, als es die Norm ist. Womit auch ein vielfältigeres Naturerleben vermittelt würde“.

Streit um das Elbsandstein-Klettern gab es schon immer

Hohnsteins Ehrenbürger weiß, dass sich „bei einigen wenigen der Gedanke festgesetzt hat, dass durch diese Öffnung das traditionelle Klettern in Sachsen gefährdet sei. Sie haben sich zu kriminellen Handlungen entschlossen, die neuen Sicherungen zu zerstören. Das ist etwas sehr Verwerfliches, ignoriert die gesamte Kletter-Gemeinschaft, die sich für die Änderungen eingesetzt hat.“ Diese Art des Vandalismus wirke wie eine Bilderstürmerei, „die nicht von Weitsicht zeugt, weil es nachweislich immer mehr aktive Kletterer gibt, die den Zugang zum Naturklettern suchen. Diese Einsteiger hatten vor allem im Bielatal neue Gelegenheiten zum Klettern.“

Kurzsichtig nennt Arnold die Täter, weil sie nur ihre momentane Situation sehen wollen. „Denn die werden ebenfalls älter und hätten dann möglicherweise besser gesicherte Routen.“ Für die Zukunft wünscht er sich, dass alle Aktiven – beim sächsischen Felsklettern, Sportklettern und Bouldern – gleichberechtigte Möglichkeiten für ihre Aktionen bekommen. „Denn jeder Aktive macht seinen Sport mit Freude, was eine wichtige Triebfeder ist“, weiß der einstige Vorkletterer aus eigener Erfahrung. „Umso unverständlicher ist mir, dass sich einige wenige dagegenstemmen.“

Doch Streit um das Elbsandstein-Klettern gab es schon immer. 1905 wurde der erste Sicherungsring am Großen Wehlturm eingeschlagen. Rudolf Fehrmann und Oliver Perry-Smith betraten damit Neuland. „Ohne Debatten ging das damals natürlich nicht“, sagt Arnold, der sich intensiv mit der Geschichte beschäftigte. „Aufsätze in alten Zeitschriften handelten immer wieder von den Ringen, um die Abstände zwischen ihnen. Das war häufig ein Streitthema. Wenn es um die Sicherheit beim Klettern geht, muss man jedoch kompromissbereit sein, darf nicht von seiner hohen Warte ausgehen. Bei den vielen Kletterwegen, die es gibt, ist das aber eigentlich auch kein Problem.“

Auf der Suche nach Kompromissen

Zum Kletter-Erlebnis gehört in der Sächsischen Schweiz die Suche nach den Zustiegen zu den Kletterfelsen. „Durch die naturschützerische Regelung der Markierung ist sicher ein Stück Erlebnis geringer geworden“, sagt die Kletterlegende und meint die Markierungen an Felsen oder die Orientierungsschilder. „Das lässt sich aber nicht vermeiden. Je mehr Leute klettern gehen und draußen unterwegs sind, umso mehr Kanalisierungen sind erforderlich, ob mir das gefällt oder nicht. Es ist ein Kompromiss. Ich kann mich auch an anderen freuen, die Erfolgs- und Naturerlebnisse haben. Ich kann mich überhaupt daran freuen, dass der Klettersport noch so unbegrenzt ausführbar ist.“

Gedanklich kann Arnold nachvollziehen, was hinter den zerstörten Zustieg-Orientierungen steckt. „Aber es zeugt von Unverstand. Abflexer und Abkratzer haben Defizite. Sie stellen sich gegen die Gesellschaft. Ich reiße ja auch keine Straßenschilder ab oder streue Nägel auf den Asphalt, um Tempolimits zu erzwingen“, sagt er entschieden. Der Bergsport lasse allen genügend Raum und Freiheit. „Man darf Entwicklungen nicht negieren, kann die Zeit nicht anhalten. Sonst läuft man Gefahr, dass Entwicklungen verbogen werden und unbefriedigend für alle enden. Mit Toleranz lässt sich viel mehr bewirken“, betont Arnold.

Der ideelle Schaden durch den Vandalismus sei groß, der wirtschaftliche komme dazu. „Es ist auch eine Ignoranz gegenüber ehrenamtlicher Arbeit. Leider lässt sich auf andere Lebensbereiche übertragen, was gerade in der Sächsischen Schweiz passiert, wenn Menschen stur durchs Leben gehen und versuchen, anderen ihre Meinung aufzuzwingen“, so Arnold.