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Klitten feiert, dass es immer noch da ist

Und das Fest dauert eine ganze Woche lang. Mit Blick auf den 800. Geburtstag erinnert der Ort daran, dass er vor 30 Jahren der Abbaggerung knapp entging.

Von Constanze Knappe
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Betet für Klitten - Demonstration gegen den Abriss von Klitten für die Kohle am 20.01.1990.
Foto aus dem Archiv von Hans-Jürgen Berg.
Betet für Klitten - Demonstration gegen den Abriss von Klitten für die Kohle am 20.01.1990. Foto aus dem Archiv von Hans-Jürgen Berg. © André Schulze

Klitten. Totgesagte leben länger. Diese Binsenweisheit trifft voll und ganz auf Klitten zu. 1222 wurde der Ort erstmals urkundlich erwähnt. Dass er 2022 seinen 800. Geburtstag feiern kann, ist keine Selbstverständlichkeit. Klitten war drauf und dran, dem Erdboden gleichgemacht, vom Tagebau Bärwalde überrollt zu werden. Die Einwohner saßen auf gepackten Koffern. Bis im Februar 1990 die erlösende Nachricht einging, dass der Ort doch erhalten bleibt. Daran wird seitdem alljährlich erinnert – in diesem Jahr nun zum 30. Mal. Deshalb findet vom 21. bis 28. Juni eine ganze Festwoche statt.

Trotz der langen Zeit dazwischen erinnert sich Werner Hippe an die Zeit des Hoffens und Bangens fast so, als sei es erst gestern gewesen. Aus dem häufig gelben Industrienebel in Mitteldeutschland war er seinerzeit nach Klitten gekommen. Hier lebte die Verwandtschaft, hier wollte er „für die Kinder einen schönen Platz schaffen“. Und dann das: Klitten, mit damals an die 2.600 Einwohner um einiges größer als die anderen betroffenen Dörfer, sollte der Kohle weichen. Bis 1986 sollte der Ort geräumt sein. Die Einwohner hatten das Schwarz auf Weiß. „Zwar gab es auch zu DDR-Zeiten Leute, die dagegen waren, aber laut zu protestieren, hat sich kaum jemand getraut“, erinnert sich Hippe. Zum einen hätten das die politischen Verhältnisse nicht zugelassen und zum anderen seien die Erfolgsaussichten gleich Null gewesen.

Drei Jahre lang habe sich jeder Gedanken machen müssen: über einen Vorzugsstandort, einen Haustyp und vieles andere. „Die Bitte der Gemeinde, den Ort insgesamt mit Kirche und Friedhof umzusiedeln, wurde abgewiegelt“, erklärt der Klittener. Das Auseinanderdriften der Dorfgemeinschaft schwebte wie ein Damoklesschwert über ihnen. Pfarrer Daniel Krause von der selbstständigen evangelisch-lutherischen Gemeinde verweist auf Michael Junker, der damals in Klitten als (vermeintlich) letzter Pfarrer ordiniert worden war. Da habe es viele Tränen gegeben. Der Kirche hatte man bereits ein Grundstück in Niesky zugewiesen, wo der Staat, also die DDR, eine neue Kirche gebaut hätte. 1987 feierten die Altlutheraner 140 Jahre Kirchweihfest, weil sie sich nicht sicher war, ob es die Kirche und Klitten zum 150-jährigen Jubiläum noch geben würde.

Hoffnungsschimmer kam aus Leipzig

Als dann in Leipzig die ersten Demonstrationen losgingen, keimte auch in Klitten Hoffnung, „dass für den Ort was rauszuholen ist“. Es dauerte nicht lange, und aus der Messestadt sprang der Funke in die Lausitz über. Erste Versammlungen fanden statt, Spruchbänder wurden gebastelt, Plakate aufgehängt. Es fanden sich Sympathisanten aus Reichwalde, Kreba, und anderen Orten der Umgebung ein – und Unterstützer wie die Domwina. Die sorbischen Schriftsteller seien alle in Klittten gewesen, weiß Werner Hippe. Sogar das ZDF kam hin, das Westfernsehen, welches man bis dato nur vom Hörensagen kannte. Unzählige Brief gingen an die Regierung, an das Braunkohlenkombinat Senftenberg. Die Antworten blieben jedoch vage. „Die Ungewissheit trieb die Menschen um“, sagt der Zeitzeuge. Wöchentlich fanden mittlerweile Demonstrationen in Klitten statt. Immer wieder gab es jemanden, der verkündete, dass der Ort erhalten bleibt. Das aber wollten die Einwohner schriftlich.

Anfang Februar 1990 war der Sieg errungen: Der Gemeindeverwaltung ging das amtliche Schreiben zu, dass die Entscheidung gefallen sei. Die Abbaggerung war vom Tisch. „Die Freude war riesig“, erinnert sich Werner Hippe. Er hat mit Familie und Freunden aus Wittichenau, die mit der Familie demonstriert hatten, zu Hause ordentlich darauf angestoßen.

Jedes Jahr am ersten Sonntag im Februar wird dieser Ereignisse in einem Festgottesdienst gedacht. „Es ist ein großer Segen, dass der Ort erhalten blieb. Wir gedenken gemeinsam, was gewesen ist, dass wir bewahrt worden sind und dass das Leben weitergeht“, so Pfarrer Daniel Krause.

Wollen mit einer Festwoche daran erinnern, dass Klitten vor 30 Jahren den erlösenden Bescheid erhielt, dass der Ort nicht der Kohle weichen muss: Bauunternehmer Sebastian Grubert, Zeitzeuge Werner Hippe und Pfarrer Daniel Krause von der lutherischen Kirch
Wollen mit einer Festwoche daran erinnern, dass Klitten vor 30 Jahren den erlösenden Bescheid erhielt, dass der Ort nicht der Kohle weichen muss: Bauunternehmer Sebastian Grubert, Zeitzeuge Werner Hippe und Pfarrer Daniel Krause von der lutherischen Kirch © Constanze Knappe

Aus dem Programm

Sonntag, 21.6: Gottesdienst, Sportfest und Kinderolympiade

In der Woche: Puppenspiel, Zauberer, Johannissingen, Familientag, Vorführungen der Feuerwehr u.a.m.

Vorträge: 

23.6. Robert Lorenz zur Geschichte Klittens

25.6. OB Torsten Pötzsch (WSW) zur Zukunft der Lausitz

Sonnabend, 27.6.: Heimatfest

Sonntag, 28.6.: Abschluss mit Gottesdienst und Blasmusik

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Wie man das Dorf zusammenhält

Er kam erst vor fünf Jahren nach Klitten. Die Geschichte aber kennt er, als habe er sie selbst erlebt. Dann fügt er hinzu, „dass es in diesen Zeiten wichtig ist, dass man das Dorf zusammenführt und zusammenhält“. Abgesehen von den alljährlichen Gottesdiensten denkt Werner Hippe nicht mehr allzu oft an die Ereignisse vor 30 und mehr Jahren. Für die Menschen in Klitten sei es längst zur Normalität geworden, dass der Ort erhalten blieb, sagt er.

Für die Generation von Sebastian Grubert ist das erst recht ziemlich weit weg. Der Jahmener erzählt von einem Foto, welches ihn als Vierjährigen mit einem Plakat bei einer Demo zeigt; bewusst erinnern kann er sich daran aber nicht. Von ihm kam der Vorschlag, dass man zum 30-Jahr-Jubiläum doch eine Festwoche feiern könnte – und statt im Februar im Sommer. Seit dem Herbst kümmern sich etwa 15 Leute um die Organisation des Ganzen. „Das Programm steht“, freut sich Sebastian Grubert. Neben Pfarrer Daniel Krause, Pfarrer Daniel Jordanov von der evangelischen Kirchengemeinde und Lutz Grohmann gehört er zum engsten Kreis der Organisatoren. Die Pfarrer hatten den Bauunternehmer angesprochen. Nachdem die Klittener Heimatfeste vor vielen Jahren eingeschlafen waren, hatte er schon zweimal einen Neuanfang versucht, musste mangels Mitstreitern aber das Handtuch werfen. „In den Neunzigerjahren gab es einen Bruch und einen zweiten, als die selbstständige Gemeinde Klitten mit acht Ortschaften nach Boxberg eingemeindet wurde“, erzählt er.

Dennoch sei er guter Dinge, was die Festwoche angeht. Der Sportverein, die Feuerwehr und andere hätten ihre Unterstützung zugesagt und bereiten Angebote für Kinder und Familien vor. Dafür werden noch viele helfende Hände und auch Sponsoren gesucht. Sebastian Grubert und Pfarrer Daniel Krause sehen diese Festwoche im Sommer „als ein Schwungrad zu künftigen Heimatfesten“. Die wären alle zwei Jahre vorstellbar, sagen sie.

Das nächste Treffen der Organisationsgruppe findet am 10. März um 19.30 Uhr im Gemeinderaum der lutherischen Kirche, Straße der Jugend 62b, in Klitten statt. Interessenten willkommen. Wer mithelfen möchte, melde sich unter 0171 2817280 oder per eMail: [email protected]