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Knorkator in Dresden: Höllenfahrt mit Disco-Kugel

Als Deutschlands meiste Band der Welt deckt Knorkator fast alle Stile ab. Beim Konzert in Dresden gibt es zudem Kloppe und öffentlichen Missbrauch.

Von Andy Dallmann
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Knorkator gastierte mit ihrer Tour "Zweck ist widerstandslos" im Alten Schlachthof, Dresden. .
Knorkator gastierte mit ihrer Tour "Zweck ist widerstandslos" im Alten Schlachthof, Dresden. . © Christian Juppe

Wer die Berliner Band Knorkator unbedingt in eine Schublade stopfen will, riskiert mindestens harsche Widerworte. So richtig sauer werden die Musiker allerdings nur, probiert es jemand mit Klamauk-Rock. Dabei gehört doch Klamauk nun mal zur DNA der Truppe. Ebenso wie der Barock-Choral, das ganz derbe Metal-Brett, die geschliffene Piano-Ballade, die pure Wutattacke, Kopf-, Satz- und Schreigesang, Avantgarde-Geschwurbel und eine Brachialshow mit Ganzkörpereinsatz. Das alles war ihnen noch nicht genug.

Mithilfe ihres im September veröffentlichten Albums „Widerstand ist zwecklos“ erweiterten die Herren um Frontmann Gero Ivers alias Stumpen ihr Repertoire um leicht irre Disco-Klänge. Und die sind am Sonnabend im Dresdner Alten Schlachthof der heimliche Höchstpunkt einer an Höhepunkten reichen Show.

Wenn die Riff-Sense zuschlägt

Anita Ward landete 1979 mit der ziemlich lasziv servierten Nummer „Ring My Bell“ ihren einzigen Hit. Knorkator blasen das Schlüpfrige raus und und eine diabolische Grundstimmung rein. Zwar singt Stumpen sehr authentisch und auf nahezu gleicher Höhe wie Frau Ward – eine solide Ausbildung macht’s halt möglich. Auch die Disco-Kugeln drehen sich munter und bescheren dem Schlachthof ein famoses Blinken und Blitzen. Doch dahinter lauert der Abgrund: Alf Ator, Keyboarder und musikalischer Kopf der Band, grummelt, als sänge der Leibhaftige. Drummer und Bassmann kochen einen hitzigen Groove, über dem Gitarrist Buzz Dee die Riff-Sense schwingt. Das ist der Stoff, zu dem in der Hölle getanzt wird. Und in Dresden. Besseres lässt sich mit diesem Song gar nicht anstellen.

Die 2.000 Menschen im seit Monaten ausverkauften Saal kriegen gleich noch so einen Kracher hinterhergeworfen. Diesmal bearbeiten Knorkator „All That She Wants“ von Ace of Base. Auch sehr hübsch. Allerdings tut es danach gut, wieder originäres Knorkator-Liedgut zu hören. Kompositionen, die allesamt Statements sind. „Ich bin der Boss“, „Ich hasse Musik“, „Böse“ oder „Wir werden alle sterben“.


© Christian Juppe
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Ohne jeden Gedanken an die Unversehrtheit des eigenen Körpers fetzt Stumpen über die Bühne und sich den Goldklitzerfummel von selbigem. Im Schniedel-betonenden Höschen hampelt er sodann lustig vor zwei Frauen herum, die sich freiwillig für den öffentlichen Missbrauch meldeten. Während sie am Bühnenrand knien, werden ihnen Helme aufgestülpt, die mit einem Brett verbunden sind. Keyboard drauf und fertig. Einmal in einer solchen Show Keyboard-Ständerin sein... Nicht nur in ihren Wünschen unterscheiden sich die Menschen. Auch in der Art, ihre Liebe zu zeigen. Stumpen etwa kloppt mit einer Schaumstoffkeule auf Buzz Dee ein, weil er von dessen Gitarren-Solo hingerissen ist. Später gibt es dafür Konfetti für alle. Zwei Stunden lang tobt sich die Band aus, und das Publikum, sowohl beim Alter als auch in seinen durch die gewählten Textilien verratenen musikalischen Vorlieben bunt gemixt, hält wacker wie engagiert mit. Stumpen und Co. ziehen daher nicht nach „Zähne putzen, pullern und ab ins Bett“ den Stecker, sondern legen noch „Zu kurz“ und „Warum“ nach.

Nicht nur bei der verarbeiteten Menge der Stile ist Knorkator eben Deutschlands meiste Band. Auch in Sachen Show stellen sie als Meister der Ironie die meisten Konkurrenten in den Schatten. Bei welcher Band sonst tanzt man sich schweißnass, ist heißer vom Lachen, staunt Bauklötzer und ballt zugleich die Fäuste? Für alle, die nicht dabei waren: Das muss man erlebt haben!