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Lauban putzte der Welt die Nase

Das bedeutendste Zentrum der Taschentuchproduktion lag in der Oberlausitz. Bis ein anderer Stoff aufkam.

Von Ralph Schermann
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Rathaus und Krämerturm gehören zu den Wahrzeichen Laubans.
Rathaus und Krämerturm gehören zu den Wahrzeichen Laubans. © Hans Brettschneider

Hatschi! Gesundheit! Hat mal jemand ein Taschentuch? Danke. Dabei waren solche Stöffchen bis ins 19. Jahrhundert hinein nicht üblich. Weber in Flandern stellten um 1300 erste Stofftaschentücher her. Von Italien und Frankreich ausgehend wurden sie ab 1440 zum Luxusartikel der näselnden Reichen.

Mit dem Aufkommen des Schnupftabaks wandelten die Tüchlein Mitte des 18. Jahrhunderts ihren Charakter und wurden zum Gebrauchsgegenstand, vor allem nach Erfindung der „fliegenden Schiffchen“ in modernen Webstühlen. Ab 1785 war es möglich, Stofftaschentücher farbig zu bedrucken. Vor allem karierte „Schnupptüchel“ oft enormen Ausmaßes wurden bekannt. Für etwas neuen Luxus indes sorgte die 1809 erfundene Technik, industriell Spitze zu fertigen und Damentaschentüchlein damit zu umranden.

Kleine Manufakturen zu Beginn

Traditionell wurden Leinen und Baumwolle für die Putzquadrate verwendet, doch auch Seide steckte in vornehmen Hosentaschen. So oder so aber verlangte ein Taschentuch nach feinen Garnen. Einen besonderen Ruf als Taschentuchhersteller erwarb sich die Oberlausitz. Die gute, alte Sechsstadt Lauban war es, die lange Zeit als Zentrum solcher Produktionen einen guten Ruf verteidigte.

Es war vor 240 Jahren, als dort alles begann: 1779 gründete sich bei einem Meister namens Weinert die erste Taschentuchweberei Laubans. Immer mehr solcher kleinen Manufakturen entstanden dort, bis 1861 der Einsatz erster mechanischer Webstühle das Taschentuchfieber auf den gesamten damaligen Laubaner Kreis ausdehnte. 1900 zählte die mittlerweile zur preußischen Oberlausitz gehörende und damit schlesisch regierte Kreisstadt 18.000 Einwohner, von denen 6.000 in Taschentuchbetrieben arbeiteten, derer Hundert große und kleine es gab.

Im Kreis Lauban ratterten damals auf 3.500 Webstühlen täglich an die 420.000 Taschentücher – das deckte 90 Prozent des gesamten deutschen Bedarfs. Damit nicht genug: In Lauban wurden auch aus Süddeutschland bezogene Halbfabrikate veredelt. 1930 hatte sich die Zahl der Webstühle auf 8 500 erhöht, dazu kamen Tausende Näh- und Hilfsmaschinen.

Allein das bedeutendste Unternehmen, die 1907 gegründete Firma Gustav Winkler, beschäftigte 3 000 Mitarbeiter und erhöhte dies in seinen 16 Fabriken bis 1945 auf 8 700. Über 70 Vertreter wickelten Verkaufsverträge mit fast 50 Ländern ab, was der Stadt den berühmtesten Werbespruch einbrachte: „Lauban putzt der Welt die Nase.“ Tatsächlich brachte die Produktionsmenge an Tüchern für schniefende Nasen auch der Stadt Erfolge.

Über Zeit und Art der Entstehung der 22 Kilometer östlich von Görlitz, am linken Queisufer im Isergebirgsvorland gelegenen Stadt liegen keine zuverlässigen Angaben vor. Es ist aber sicher, dass Lauban um 1220 nach Magdeburger Stadtrecht gegründet wurde. Wie die gesamte Oberlausitz hat auch diese Stadt die verschiedensten Herrscher erlebt: zunächst böhmisch, 1253 zu Brandenburg, 1337 mit Jauer unter böhmischer Lehnshoheit, 1526 mit Böhmen an Habsburg, 1635 zu Kursachsen, 1815 zu Preußen (Schlesien).

Der Ort überstand die Hussitenkriege, den Dreißigjährigen Krieg und den Siebenjährigen Krieg. Die günstige Lage an wichtigen Handelsstraßen zwischen Sachsen, Böhmen und Schlesien brachten der Stadt wirtschaftlichen Aufschwung. Als Zulieferer der Taschentuchindustrie entstanden Kartonage- und Etikettenfabriken, außerdem andere bedeutende Industriebetriebe und begleitendes Gewerbe bis hin zur Gastronomie.

Bachtenswertes Denkmal

Die Einwohnerzahl wuchs mit der Wirtschaft. Die Stadt wurde an das Gas- und Kanalisationsnetz angeschlossen, der Marktplatz gepflastert. 1865 erfolgte die Inbetriebnahme der Eisenbahnstrecke nach Görlitz, ein Jahr später nach Hirschberg. In den Vororten entstanden Villen, Mietshäuser, Fabriken und öffentliche Platzanlagen. Der wirtschaftliche Aufschwung wurde durch die Kämpfe am Ende des Zweiten Weltkrieges unterbrochen, die Altstadt zu etwa 60 Prozent zerstört, 1 858 Gebäude vernichtet.

Dank des Engagements der Bürger wurde im heutigen Luban vieles wieder auf- und neu gebaut. Touristen können wieder Historie erleben – den Krämerturm am Markt, den runden Brüderturm, das alte Lyzeum mit der Jahreszahl 1752, den Rest des 1228 erbauten alten Rathauses, das neue Rathaus von 1539 bis 1541.

Mit seinen Hallen, Portalen und prächtigen Türeinfassungen sowie dem 60 Meter hohen Turm war es ein beachtenswertes Denkmal mittelalterlicher Bau- und Steinbildhauerkunst.

Leider wurde dieses Bauwerk Anfang 1945 teilweise zerstört, jedoch von polnischen Restauratoren 1970 nach alten Vorlagen wieder hergestellt. Heute befinden sich hier ein Heimatmuseum, die Stadtbibliothek Lauban und auch der Inbegriff der Taschentuchnutzung – das Standesamt.

Der Zweite Weltkrieg hat zwei Drittel aller Laubaner Taschentuchfabriken zerstört. Der internationale Ruf dieser Produktion ist seitdem vorbei. Doch dazu trug auch eine andere Entwicklung bei, die bereits 1894 begann. Damals wurde das erste deutsche Patent für ein Papiertaschentuch erteilt.

1929 meldeten die Vereinigten Papierwerke Nürnberg ein Warenzeichen für das erste Papiertaschentuch aus reinem Zellstoff beim Reichspatentamt an. Dieses Taschentuch wird heute noch produziert, und jeder kennt den Namen: Tempo. Dennoch gibt es weiterhin Stofftaschentücher.

Sogar aus der Oberlausitz kommen noch welche. Nach 1980 begann in Löbau das Bedrucken von chinesischem Rohgewebe, was dann in Großröhrsdorf zu „Rotzfahnen“ zugeschnitten wurde. Feinfädige Ware, gar Taschentuchbatist wie einst, das war der DDR zu aufwendig. Schließlich gab es auch hier Papier gegen den Schnupfen, wenn auch nur „Kriepa“ statt „Tempo“. In Lauban, heute Luban, erinnert nicht mehr viel an die alte Industrie.

Doch immerhin: Jetzt werden hier Feuchttücher sowie trockene Zellstofftücher für den Haushalts- und medizinischen Bedarf durch das Imka-Werk hergestellt. Das ist eine Tochterfirma der Schumacher-Gruppe aus Hessen. Hatschi? Gesundheit! (mit Hans Schulz)

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