SZ + Niesky
Merken

Ein Stück Provence kurz hinter Niesky

Was die Franzosen können, funktioniert auch in See: Lavendel anbauen. Mit einem Pilotprojekt wird hier der Klimawandel ausgetrickst.

Von Frank-Uwe Michel
 5 Min.
Teilen
Folgen
NEU!
Die erste Lavendelernte hat Andreas Graf mit seiner Agrargenossenschaft See schon eingefahren. Im September könnte der zweite Schnitt folgen.
Die erste Lavendelernte hat Andreas Graf mit seiner Agrargenossenschaft See schon eingefahren. Im September könnte der zweite Schnitt folgen. © André Schulze

Es blüht lila auf dem Acker gleich hinter dem Sitz der Agrargenossenschaft in See. Hier wächst etwas, das es sonst nur  vereinzelt gibt in Deutschland. In der Oberlausitz gar nicht. Es ist Lavendel.

 Jene Pflanze, die man von riesigen Feldern aus der französischen Provence kennt. Wo sich pralle Blütenstände im Winde wiegen - ein wunderbares Bild. Nun also zwei Hektar lila Blütenpracht ein paar Kilometer von Niesky entfernt. Doch warum? "Wir haben eine junge Frau im Betrieb, die hat bei uns gelernt. Nun macht sie an einer Fachschule ihren Techniker. Und brauchte dazu ein ordentliches Thema für ihre Belegarbeit", erklärt Andreas Graf. Er ist Geschäftsführer der Agrargenossenschaft See und immer bereit, neue Dinge auszuprobieren.

Erst im vergangenen Jahr hat sich das Unternehmen ein paar Bienenstöcke zugelegt - um die rund 400 Hektar Blühflächen besser zu nutzen, die es seit 2014 in der Firma gibt. Das ist rund ein Viertel der Gesamtfläche, die von dem Landwirtschaftsbetrieb bewirtschaftet wird. Die Bienen sorgen nun schon im zweiten Jahr für Honig. Und nutzen dafür seit ein paar Wochen auch den Pollen des Lavendels. Neben Rettich, Borretsch, Kornblume, Dill, Koriander und Senf, die auf den Blühflächen wachsen und gedeihen.

So kennt man es aus der Provence: Blühende Lavendelfelder.
So kennt man es aus der Provence: Blühende Lavendelfelder. © dpa

"Uns geht es darum, Kreisläufe zu schaffen", sagt Graf. Deshalb kam ihm das Anliegen seiner jungen Kollegin gerade recht. Weizen und Roggen waren als Themen schon "ausgekaut". Mit Lavendel aber hatte sich noch niemand beschäftigt. "Jetzt, beim Klimawandel, muss man immer überlegen, wie es sich besser darauf reagieren lässt. Und Lavendel ist eine Pflanze, die nicht unbedingt viel Feuchtigkeit braucht."

So ist aus der Idee ein Pilotprojekt geworden, das von der Europäischen Innovationspartnerschaft (EIP) Agri mit Fördermitteln unterstützt wird. Das reicht vom Pflanzen über die Pflege und die Ernte bis hin zur Verwendung der Lavendelblüten. "Wir sind noch in einem frühen Stadium", erklärt Graf. Erst im Mai wurden 34.000 Pflanzen in die Erde gebracht. "Damit gerechnet, dass wir noch in diesem Jahr den ersten Schnitt machen können, haben wir aber nicht." Denn die See'r wollten in erster Linie Erfahrungen sammeln: Wie viel Trockenheit verträgt die Art? Welche Unterschiede gibt es in den Sorten? Wie hoch ist der Pflegeaufwand? Und lohnt es sich tatsächlich - auch finanziell - langfristig den Lavendelanteil im Feldfruchtportfolio zu erhöhen?

Ergiebigkeit des Lavendels wächst mit der Wärme

Zwei Hektar groß ist das Lavendelfeld in See, das im Zentrum eines Pilotprojektes steht. Mit ihm soll untersucht werden, ob der Anbau in Zeiten des Klimawandels in unseren Breiten möglich ist.
Zwei Hektar groß ist das Lavendelfeld in See, das im Zentrum eines Pilotprojektes steht. Mit ihm soll untersucht werden, ob der Anbau in Zeiten des Klimawandels in unseren Breiten möglich ist. © André Schulze

Manche Antworten ließen nicht lange auf sich warten. So entpuppte sich das lila blühende Feld schon sehr bald zu einem Lieblingsort für Bienen, Hummeln, Schmetterlinge. Allerdings zeigte sich die Pflege als sehr arbeitsintensiv. "Wir arbeiten hier komplett ohne Chemie. Deshalb wächst das Unkraut ungehemmt. Zuerst haben wir es per Hand beseitigt, inzwischen aber eine technische Lösung gefunden", erläutert Andreas Graf.

Nur zum Anwachsen haben die Pflanzen zusätzliche Wassergaben bekommen, seit Anfang Juli wird nicht mehr künstlich bewässert. Dabei stellte sich heraus, dass der Lavendel tatsächlich eine trockenheitsbeständige Pflanze ist, deren Ergiebigkeit mit der Wärme sogar noch steigt. Auch Fressfeinde hat die Art offenbar nicht zu fürchten - Hasen und Mäuse verschmähen die Triebe und Blütenstände, wahrscheinlich wegen der darin enthaltenen ätherischen Öle.

Insgesamt 400 Kilo wiegt die erste Ernte des Lavendelfeldes in See. In einem nächsten Schritt soll daraus Öl gewonnen werden.
Insgesamt 400 Kilo wiegt die erste Ernte des Lavendelfeldes in See. In einem nächsten Schritt soll daraus Öl gewonnen werden. © André Schulze

Inzwischen konnten die Landwirte aus See schon rund 400 Kilo ernten, einen zweiten Schnitt soll es im September geben. "Verkaufen werden wir noch nichts, denn wir sind weiter in der Erprobungsphase", stellt der Geschäftsführer klar. Labore sollen feststellen, welche Qualität der Lavendel aus See besitzt. Ist sie hoch, wären Kosmetikproduzenten potenzielle Abnehmer. Ist sie noch höher, kämen Aufkäufer aus der pharmazeutischen Industrie in Betracht. "Wenn wir nicht gut sind, müssen wir noch Hausaufgaben machen."

Abfallprodukte gehen in die Tierproduktion

Der Bedarf ist auf jeden Fall da. Allerdings wird er momentan noch von ausländischen Lieferanten gedeckt. Für Graf steht deshalb fest: "Wir werden nicht mit Billigpreisen in das Geschäft einsteigen können, müssen vielmehr mit unserem Produkt überzeugen." Dies zu schaffen, ist der zweite Schritt, der fürs nächste Jahr angedacht ist. Dann soll zum Beispiel eine mobile Destillationsanlage auf den Hof rollen. Aus einem Kilo Lavendel lassen sich 15 bis 16 Milliliter Öl gewinnen. 

Abfallprodukte soll es nicht geben. Denn die Reststoffe der Destillation wollen die See'r in der Tierproduktion verwenden. Zum Beispiel in der Kälberfütterung, um Atemwegserkrankungen bei Jungrindern vorzubeugen. Oder auch als Beigabe in der Silage. Nicht zuletzt könnten Lavendelsträuße in den Ställen aufgehangen werden, um mit ihrem speziellen Geruch Ungeziefer von den Kühen fernzuhalten. "All das wäre ein ideales Forschungsthema", meint der Firmenchef und hofft auf das Interesse von Studenten. Zusammen mit der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Dresden sowie einem Wirtschaftsberater gibt es schon jetzt regelmäßige Treffen, um den weiteren Weg abzustecken.

Für Schmetterlinge, aber auch Bienen, Hummeln und andere Insekten, ist das Lavendelfeld ein "gefundenes Fressen". Zudem unterstützt es die eigene Honigproduktion.
Für Schmetterlinge, aber auch Bienen, Hummeln und andere Insekten, ist das Lavendelfeld ein "gefundenes Fressen". Zudem unterstützt es die eigene Honigproduktion. © André Schulze

Andreas Graf und seine 29 Mitarbeiter fühlen sich durch die bisherigen Erkenntnisse bestärkt in ihrem Bemühen, den Klimawandel offensiv anzugehen. "Wir müssen agieren, statt zu reagieren. Außerdem gibt es in der Landwirtschaft noch viele weitere Unwägbarkeiten, wenn ich nur an den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln denke." Deshalb sei es wichtig, außer den bekannten auch andere, neue Standbeine zu entwickeln. Wenn sich der Lavendelanbau bewährt, könne er perspektivisch durchaus einen viel größeren Teil der Felder des Unternehmens füllen.

2021 - so der Plan - geht es aber erst einmal zu den Wurzeln der vor allem farblich sehr ansehnlichen Kultur. "Wir wollen eine Studienreise nach Frankreich machen. Und uns vor Ort umschauen, was dort vielleicht anders läuft, wo wir selbst uns noch verbessern können."

Mehr Nachrichten aus Niesky lesen Sie hier.

Mehr Nachrichten aus Görlitz lesen Sie hier.