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Leben nach zwei Schlaganfällen

Musikschullehrer Rolf Annighöfer aus Bautzen konnte wegen einer schweren Krankheit lange nicht arbeiten. Nun hilft ihm Musik bei der Heilung.

Von Ina Förster
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Rolf und Renate Annighöfer aus Bautzen sind ein eingespieltes Team. Nicht erst seit seinen zwei Schlaganfällen 2010 und 2014. „Wir sind die dreihändige Truppe“, sagt sie. Das passt.
Rolf und Renate Annighöfer aus Bautzen sind ein eingespieltes Team. Nicht erst seit seinen zwei Schlaganfällen 2010 und 2014. „Wir sind die dreihändige Truppe“, sagt sie. Das passt. © René Plaul

Bautzen. Rolf Annighöfer sitzt an seinem Keyboard im Erdgeschoss der Wohnung. Mit der rechten Hand streicht er über die Tasten. Zärtlich fast. Die Linke liegt kraftlos im Schoß. Nach zwei Schlaganfällen 2010 und 2014 ist alles anders. „Das macht aber nichts, ich kann wieder Unterricht geben. Das ist die Hauptsache. Sogar am Akkordeon“, sagt der 64-Jährige. Das Leben hat ein Stück mehr Sinn, seitdem der Musikernachwuchs wieder wöchentlich an der Haustür klingelt. Fünf Kinder sind es aktuell. Ein Drittklässler hat ihn vor Längerem gefunden. Irgendjemand hatte von früher erzählt. Und dass der Herr Annighöfer so ein beliebter Lehrer war. „Er stand mit seinem Vater plötzlich vor meiner Tür und hat gebeten, dass ich ihn unterrichte. Ich konnte nicht nein sagen“, sagt Rolf Annighöfer. „Und siehe da – er entpuppte sich als ziemlich begabt!“

Zu diesem Zeitpunkt hatte der Bautzner lange Monate keine Musik mehr gemacht. Nur ein bisschen für sich. Heimlich, fast verschämt. Weil es nicht mehr richtig klappen wollte mit der Fingerfertigkeit. Dabei war Musik sein Leben. Schon immer. „Mit neun Jahren begann alles. Klavier, Keyboard, Akkordeon, Kontrabass – das Leben eine einzige Melodie. „Rolf war bekannt wie ein bunter Hund in der Szene “, sagt seine Frau Renate. So lernte sie ihn auch kennen. Er war viele Jahrzehnte Teil der sorbischen Folkloregruppe „Sprjewjan“. Und reiste mit den Kollegen um die halbe Welt. Im Musikzimmer hängen die Fotos von damals: Sprjewjan in Südkorea, Sprjewjan in Texas. An der Seite ein Mann mit Kontrabass. Oder Dudelsack. Rolf Annighöfer liebte dieses Herumziehen. „Wir waren sogar in Mucks Sendung ‚Sprungbrett’“, lacht er. Ganze 26 Jahre lang war er Teil eines wunderbaren Ensembles. Nebenbei gab er Musikunterricht an Schulen in Ralbitz, Neschwitz oder Weißenberg. Und arbeitete als Hausmeister und Elektriker. Renate Annighöfer hat ihn auf der Arbeit kennengelernt. Aktiv, immer auf Achse. Lebenslustig. Und sie lernte ihn schnell lieben. Die beiden verbindet spätes Glück. Erst vor sieben Jahren heirateten sie. „Wir haben uns in zweiter Instanz gefunden“, lacht sie. „Aber jetzt passt alles genau!“ Das Jahr der Eheschließung in Moritzburg liegt zwischen den beiden Schlaganfällen.

Lange Zeit im Rollstuhl

Bei beiden Schicksalsschlägen ist sie sofort zur Stelle. Bringt ihren Rolf zum Arzt, weil er sich komisch benimmt. „Ich traf den breiten Türrahmen plötzlich nicht mehr, hatte Ausfälle“, erinnert er sich an 2010 zurück. Den ersten Schlaganfall scheint der damals 55-Jährige gut wegzustecken. Die Ärzte diagnostizieren ihm Kavernome im Gehirn. Gefäßmissbildungen, die aus kleinen dünnwandigen Blutgefäßen bestehen. Wenn sie platzen, wird es gefährlich. So wie bei ihm.

Ein Krankenhausaufenthalt folgt. Die halbseitige Lähmung macht ihm zu schaffen. Aber alles ist recht schnell in den Griff zu bekommen. „Eigentlich war alles ziemlich fix wieder beim Alten. Die Arbeit, die Musik. Wir haben längere Fahrten mit dem Rad unternommen, sind mit dem Camper in den Urlaub gefahren“, sagt der EU-Rentner. „Alle sprachen zwar vom Schlaganfall“, sagt Renate Annighöfer. „Aber kein Arzt hat uns gesagt: So, treten Sie mal kürzer und passen Sie mal bisschen auf mit dem Blutdruck. Nicht einmal Tabletten hat er bekommen.“ Ein Fehler. Der zweite Schlaganfall 2014 wiegt schwerer. Und wirft das Leben des Paares vollends aus der Bahn. Im Schlaf platzt abermals ein Kavernom. Rolf Annighöfer sitzt danach zwei Jahre im Rollstuhl. Krankenhausaufenthalte reihen sich an Reha-Kuren. Noch heute geht er wöchentlich viermal zur Ergotherapie Uhlig in Bautzen. Das bringt viel. Doch die linksseitige Lähmung hält ihn in Schach. Mittlerweile kann er frei laufen, längere Strecken mit dem Stock.

Therapie geht ins Geld

Doch der Kampf zurück ins Leben kostet. Nerven. Kraft. Und auch Geld. „Man klammert sich an jeden noch so kleinen Fortschritt. Wir haben recherchiert, sind bis Bayern gefahren, um eine robotergestützte Intensiv-Therapie zu nutzen. Sie brachte etwas, aber alle Ersparnisse gingen zur Neige“, erzählt seine Frau. Die Krankenkasse zahlt für die relativ unerforschte Therapie nicht. Das Geld im Haus Annighöfer wird knapp und knapper. Denn auch sein Zuverdienst fällt weg, die Rente reicht bald nicht mehr für die täglichen Dinge. Geschweige denn für Sonderwünsche. Und Renate? Die kümmert sich um ihren Mann. Als Garten- und Landschaftsbaumeisterin kann sie nicht mehr in Vollzeit arbeiten, verdient nur noch stundenweise etwas dazu. Mittlerweile bei einem Fahrdienst in der Pflege. Als ihr Auto im Sommer eine Durchsicht braucht, Reparaturen nötig werden und die Waschmaschine aussteigt, sind die Beiden am Ende mit ihrem Latein. Und bitten um Hilfe beim Caritasverband Oberlausitz. Über die Aktion Lichtblick werden unkompliziert Mittel aktiviert, die der Familie weiterhelfen. „Wir sind sehr dankbar für diese Möglichkeit“, sagen sie. Um etwas zu bitten, fällt niemanden leicht. Manchmal ist es aber ein letzter Ausweg.

Bald ist Weihnachten. Dann kommen die fünf Kinder und acht Enkel. Das Neunte ist unterwegs. Es wird fröhlich im Patchwork-Hause Annighöfer. Mit ihrem Chor der St. Michael-Gemeinde wird das Paar im Advent Auftritte haben. Auch im Gefängnis. „Das ist die beste Therapie“, freut sich Rolf. Und man wird Heiligabend Musik machen. Mit Akkordeon, so lautet der Plan. „Mit der linken Hand ziehe ich, mit der rechten spiele ich die Melodie“, sagt er. Alles andere managt Renate. „Wir sind die dreihändige Truppe“, lacht sie. Das große Herz ersetzt den Rest.

So geht die Hilfe

Die Stiftung Lichtblick veranstaltet dieses Jahr die 24. Spendensaison für unschuldig in Not geratene Menschen. 

Die Spenden können mit in der Zeitung beiliegenden Überweisungsträgern oder online über www.lichtblick-sachen.de/jetzt-spenden überwiesen werden.

Der Überweisungsbeleg gilt bis 200 Euro als Spendenquittung. Für größere Überweisungen senden wir automatisch eine Quittung.

Hilfesuchende wenden sich bitte an Sozialeinrichtungen ihrer Region wie Diakonie, Caritas, DRK, Volkssolidarität, Jugend- und Solzialämter.  

Die Sächsische Zeitung veröffentlicht automatisch die Namen der Spender. Wer anonym spenden will, vermerkt beim Verwendungszweck "Anonym".

Erreichbar ist Lichtblick telefonisch Dienstag und Donnerstag von 10 bis 15 Uhr unter 0351/4864 2846, Fax: -9661. E-Mail: [email protected]. Post: Sächsische Zeitung, Stiftung Lichtblick, 01055 Dresden

www.lichtblick-sachsen.de 

Konto-Nummer: Ostsächsische Sparkasse Dresden, BIC: OSDDDE81, IBAN: DE88 8505 0300 3120 0017 74

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